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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Chinesische Sprache, Schrift und Litteratur

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Chinesische Sprache, Schrift und Litteratur'

geordnetes Wörterbuch, welches zuerst 1711 in 131 Bänden erschien und später noch ein Supplement von 106 Büchern erhielt. In dieses Riesenwerk sind auch die meisten sog. Komposita, d.h. durch mehrere Charaktere umschriebenen Begriffe, aufgenommen. Unter den für Unterrichtszwecke veranstalteten Vokabularien ist eins der merkwürdigsten das einen durchgehenden Reim festhaltende «Tshian-tze-wen», welches 1000 verschiedene Schriftzeichen zum Memorieren zusammenstellt.

Denkmäler der Poesie der Chinesen liegen aus fast allen Zeitaltern vor, wenn auch in Europa nur erst verhältnismäßig Weniges bekannt geworden ist. Die älteste Sammlung von Liedern ist das obenerwähnte «Schī-kīng». Der größte Teil derselben betrifft die Dynastie der Tscheu, einige jedoch gehen bis auf die ältesten Zeiten der Dynastie Schang (seit 1766 v.Chr.) zurück, ohne daß ihr Alter sich verdächtigen ließe. Die ganze Sammlung zerfällt in vier Bücher, von denen das erste eigentliche Volkslieder, das zweite und dritte Festlieder, das vierte Totenlieder enthält. Die Form der Lieder ist sehr einfach. Sie bestehen aus Strophen von mehrern, an Silbenzahl ziemlich gleichen, gewöhnlich gereimten Zeilen; in der Regel ist an eine einfache Naturanschauung eine Allegorie geknüpft. Der dichterische Wert der einzelnen Stücke ist ungleich; an Zartheit und Unmittelbarkeit der Empfindung übertreffen viele derselben alle spätere Poesie. Es findet sich wenig eigentlich Religiöses; sehr viele Lieder handeln von Kaiser und Staat, meist voll Pietät, aber zum Teil auch politisch widersetzlich und zuweilen voll socialistischer Bitterkeit. Auch an frischen Kriegs- und Jägerliedern fehlt es nicht. Das Leben der Natur und das des Gemüts werden sinnig behandelt und Motive der Liebe mit tiefer Empfindung aufgefaßt. Zwischen der echten Ursprünglichkeit dieser Poesie und der nüchternen, erzwungenen Kunst späterer Zeiten gähnt eine breite Kluft. Die einfache Kunst des Reims, wie sie die alte, mehr volkstümliche Dichtung zeigt, genügte nicht mehr; man begann die Reime in den einzelnen Strophen mannigfach zu kreuzen, welche Tendenz übrigens schon in mancher Ode des «Schī-kīng» vorwaltete. Die Verszeilen haben jetzt gewöhnlich eine Länge von fünf oder sieben Silben mit der Cäsur; unter den Thang hat sich aber ein Gesetz der «Harmonie» (jün) ausgebildet, vermöge dessen gewisse Silben der einen Zeile zu andern in der andern in einem ganz bestimmten Betonungsverhältnisse stehen müssen. Der Sinn darf aus der einen Verszeile nicht in die folgende übergreifen. In ihren Motiven geht die Dichtung im engern Sinne nicht über eine lehrhafte, beschreibende, elegische oder spöttische Lyrik hinaus. Eine neue Blüteperiode erlebte die chines. Lyrik zur Zeit der Thang-Dynastie (618–907). Vgl. Hervey de Saint-Denis, Poésies de l'époque des Thang, traduites du chinois (Par. 1862). Als Meister der Lyrik gelten im 8. Jahrh. Thu-fu (s. d.) und Li-tai-peh (s. d.), wozu noch aus dem 9. Jahrh. Wang-wei kommt. Diese haben seitdem den poet. Geschmack in der chines. Kunstdichtung bestimmt. Vgl. Davis, On the poetry of the Chinese (Lond. 1830).

Kulturhistorisch wichtiger sind die Romane der Chinesen. Sie zerfallen nach Schott in drei Klassen: historische, phantastische und bürgerliche. Am meisten geschätzt von erstern sind «San-kwoh-tschi», d.i. Geschichte der drei Reiche, eine romanhafte Geschichte ↔ Chinas, als es 200 n.Chr. in drei Königreiche zerfiel (französisch von Pavie, 2 Bde., Par. 1845–51), und «Schui-hu-tschwen», eine sehr umständliche Erzählung von Räubern und Abenteurern, welche zur Zeit der Dynastie Song im 10. Jahrh. die Seeküsten der Provinz Kiang-nan beunruhigten, fast ohne histor. Hintergrund. Das erstere Werk ist dem reifen Alter, das andere der Jugend angemessener gedichtet. Beide stammen aus den Zeiten der mongol. Herrschaft. Der phantastische Roman zeigt eine Geisterwelt im Verkehr mit sich selbst und in Einwirkung auf menschliche Schicksale. Hierhin gehört unter andern das «Peh-sche-tsing-ki» (französisch von Julien als «Blanche et bleue, ou les deux couleuvres-fées», Par. 1834). Der bürgerliche oder Familienroman, ungleich objektiver gehalten als die übrigen, bietet ein sehr treues Bild der Licht- und Schattenseiten des chines. Charakters, des öffentlichen wie des häuslichen Lebens dieser Nation. Dahin gehören: «Hao-kieu-tschwen», die Erzählung von der vollkommenen Frau (englisch von Davis u.d.T. «The fortunate union», Lond. 1829; französisch von Guillard d'Arcy, Par. 1842), «Ju-kiao-li», die beiden Basen (wörtlich die Schönen Ju und Li; französisch von Rémusat, 4 Bde., Par. 1826; deutsch, 4 Bde., Stuttg. 1827; mit Erläuterungen von Julien, 2 Bde., Par. 1864), und «Ping-schan-ling-jen», die beiden gelehrten Mädchen (französisch von Julien, «Les deux jeunes filles lettrées», 2 Bde., Par. 1860). Poetisch bedeutender und oft von überraschender Anmut sind die kleinern Erzählungen und Novellen, darunter vieles in dem Sammelwerke «Kin-ku-khi-kwan», d.i. Schauplatz merkwürdiger Begebenheiten aus alter und neuer Zeit, und «Lung-tu-kung-ngan», d.i. Sammlung berühmter Rechtsfälle. Aus diesen und andern Quellen haben Davis («Chinese novels», Lond. 1816), Pavie («Choix de contes et nouvelles», Par. 1839), Thoms, Prémare, Julien u.a. mancherlei übersetzt. Halb lyrisch und halb episch kann man gewisse spießbürgerliche Novelletten in Versen nennen; hierher gehört z.B. das «Hoa-tsien-ki», d.h. die «Erzählung von den Visitenkarten», durch Thoms u.d.T. «Chinese courtship in verse» (Macao und Lond. 1824) übersetzt. Eine große Anzahl von Fabeln, Märchen und Legenden, die großenteils mit dem Buddhismus aus Indien nach China gelangten, hat Julien in «Les Avadanas: Contes et apologues indiens» (3 Bde., Par. 1859) zusammengestellt.

Wie das Zeitalter der Thang die bedeutendsten Lyriker, so hat das der Juen (Mongolen) die meisten und vorzüglichsten Bühnendichter hervorgebracht. Die Anfänge des Dramas wie die des Romans verlieren sich im Dunkeln. Es gab zwar schon unter den beiden vorangehenden Dynastien Bühnenstücke, doch wahrscheinlich noch keine von ernsterer Gattung. Die ersten Lustspiele in regelrechter Form sollen unter den Sung verfaßt worden sein. Seit den Zeiten der Juen ist die dramat. Poesie der Chinesen in zahlreichen Erzeugnissen von dem ergreifendsten Trauerspiele bis herab zur gemeinsten Posse vertreten. Alle Dramen, die in der berühmten Sammlung «Juan-shin-peh-tschung», d.i. die hundert Stücke aus der Dynastie der Mongolen (wörtlich der Juen-Leute), vollständig analysiert und teilweise übersetzt von Bazin in "Le siècle des Youen", 2 Bde., Par. 1850-54), enthalten sind, tragen in Bezug auf Entwicklung der Fabel, Ökonomie des Plans, Anordnung der Scenen dasselbe Gepräge;

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 229.

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