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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Cid

morde Sanchos bei der Belagerung Zamoras Alfons von den Leonesern und Castiliern zurückgerufen und als König anerkannt wurde (1072), stand Rodrigo an der Spitze der Castilier, welche jenen seine Unschuld an dem Mord eidlich zu erhärten nötigten. Hieraus entsprang wohl die Abneigung des Königs gegen Rodrigo, die er jedoch anfänglich so seiner Politik unterordnete, daß er selbst die Vermählung seiner Base, Jimena, Tochter Diegos, Grafen von Oviedo, mit Rodrigo zugab. Bald aber boten dem erstarkten Monarchen ein erfolgloser Feldzug und die Beschuldigung, daß jener den Auftrag, Tribut von Sevilla einzuholen, für sich ausgenutzt habe, eine Veranlassung, den allzu mächtigen Vasallen 1081 zu verbannen. Rodrigo trat als Parteigänger in die Dienste Motamins, des Herrschers von Saragossa. In den Kämpfen gegen dessen Bruder Mondzir und seine Verbündeten Sancho Ramirez von Aragon und Berengar von Barcelona hob sich sein Ansehen und die Zahl seiner Söldner mehr und mehr; unter dem Sohne Motamins, Mostain (1085), lockerte sich seine Abhängigkeit, und er erscheint zuletzt, seit 1089, ganz selbständig, in drohendem Übergewicht inmitten der reichen, unruhigen und militärisch schwachen arab. Teilstaaten. Eine Reihe derselben, so Tortosa, Albarracin, Valencia zahlten ihm hohe Schutzgelder; Berengar von Barcelona wurde von ihm geschlagen und gefangen. Sein Verhältnis zum König hatte sich trotz mehrfacher Annäherungen und Hilfsleistungen immer wieder ungünstig gestaltet; als dieser einen Angriff auf Valencia machte, durfte der C. es wagen, ihn durch einen Einfall in Castilien zum Rückzug zu zwingen. Die innern Unruhen in Valencia boten ihm den Anlaß, die große Stadt seit 1092 immer enger zu bedrängen; am 15. Juni 1094 zog er als Herrscher dort ein, behauptete seinen Besitz in mehrern Siegen über die Almoraviden und nahm 1098 auch Murviedro. Nach seinem Tode (1099) hielt sich Jimena noch 2 Jahre, mußte aber 1102 das vorgeschobene Heerfürstentum räumen. Sie setzte den Leichnam des C. in San Pedro de Cardeña bei und starb selbst 1104. Der C. hatte einen Sohn, Diego Rodriguez, der in einem Gefecht bei Consuegra fiel. Auch hinterließ er zwei Töchter: Cristina, vermählt mit dem Infanten Ramiro von Navarra, und Elvira, die Gemahlin Ramon Berengars Ⅲ., Grafen von Barcelona. Durch diese wurde der C. ein Ahnherr der span. Königsgeschlechter.

Schon in diesen historisch beglaubigten Thatsachen und Charakterzügen des C. liegen die Elemente und Gründe, weshalb er in Sagen und Liedern als volkstümlicher Held und Träger des castilian. Nationalcharakters gefeiert wurde. Wie frühzeitig dies geschah, beweist das Zeugnis des Biographen Alfons’ Ⅶ. (nach 1157), der von «Rodrigo, dem stets Mio C. genannten und als unbesiegbar besungenen» spricht. Zwar könnte hier auch die lateinische histor. Dichtung der Zeit gemeint sein, speciell ein bald nach dem Tode des C. zu seinen Ehren verfaßter Hymnus, von dem Du Meril ein Fragment gefunden hat, aber aus sprachlichen und sachlichen Gründen ist das in einer Handschrift des 14. Jahrh. überlieferte «Poema del Cid», das älteste Denkmal der castilian. Litteratur, ungefähr in dieselbe Zeit nach der Mitte des 12. Jahrh. zu setzen. Die arg zerrüttete Form scheint sich an das franz. Volksepos anzulehnen, der Inhalt ist durchaus unverfälscht, die Verbannung des C., die Eroberung Valencias, und in ganz sagenhafter Umgestaltung die Vermählung seiner Tochter: eine der merkwürdigsten Urkunden zur Geschichte des Epos im allgemeinen. Herausgegeben wurde es zuerst von Sanchez (in der «Coleccion de poesias castellanas», 4 Bde., Madr. 1779‒90; zuletzt von Vollmöller, Halle 1879; deutsch von O. L. B. Wolff, «Das Gedicht vom C.», Jena 1850). Die Jugendjahre des C. wurden weiterhin, im Anschluß an authentischere Traditionen von der Belagerung Zamoras, fast ganz ungeschichtlich erdichtet. Die «Crónica general» Alfonsos Ⅹ. umschreibt eine Reihe hierher gehöriger verlorener Lieder. Noch entwickelter erscheint dieser Teil der Tradition in der jüngern fragmentarischen sog. «Crónica rimada» (hg. von Michel in den «Wiener Jahrbüchern der Litteratur», Bd. 116, 1846), mit einer Wendung zum bänkelsängerischen Ton. Auch mit der Heiligenwelt kommt hier der C. in unmittelbare Berührung. Schon zu Alfons’ Ⅹ. Zeiten war ein neues Element eingetreten, indem die Mönche des Klosters von San Pedro de Cardeña bei Burgos, stolz darauf, die Leiche des Nationalhelden und wie sie behaupteten, auch die seiner Gemahlin und Verwandten in ihren Mauern zu besitzen, ihm den Heiligenschein eines Wunderthäters zu geben suchten, sodaß noch Philipp Ⅱ. den C. wegen der durch seinen Leichnam bewirkten Wunder wirklich heilig sprechen lassen wollte. Dieses legendenartige Element erscheint vorzüglich in der sog. «Crónica particular del Cid», einem damit ausgeschmückten Auszuge aus der «Crónica general», von einem Mönche jenes Klosters wahrscheinlich erst im 15. Jahrh. abgefaßt (zuerst Burgos 1512; neu hg. von Huber, Marb. 1844). Ein viel trocknerer Auszug der «Crónica general» ist die kleine Cid-Chronik, die in Sevilla 1498, dann öfters erschien.

Die Grundlage des Sagenhaften in allen diesen Gedichten und Chroniken bildeten Volkslieder (cantares), auf deren früheres Vorhandensein man freilich nur teils aus der Natur der Sache, teils aus den ausdrücklichen Zeugnissen der Chroniken, teils aus den in ihnen und in den Gedichten noch deutlich davon erhaltenen Spuren schließen kann. Diese alten Volkslieder gingen verloren, aber sie und die Epen lebten verjüngt fort in den allerdings erst seit dem 16. Jahrh. aufgezeichneten Romanzen. In denselben findet man teils die köstlichsten Reliquien der alten reinen Volkssage, teils aber auch bloß gereimte Stellen aus den Chroniken oder moderne Paraphrasen oder Variationen, die oft ganz im Komödienstil des 16. und 17. Jahrh. gehalten sind. Demnach erscheint der C. in den Romanzen, je nach ihrem Ursprunge, noch als echter Volksheld, als der Repräsentant der Ricahombria, selbst dem Könige gegenüber auf seine Unabhängigkeit trotzig pochend. Oder er tritt als ein treuer Vasall des Königs auf, der trotz wiederholter Verbannung seinen natürlichen Herrn mit Großmut überhäuft, der dessen Befehle so sehr ehrt, daß er gegen seine Überzeugung die eigenen Töchter mit verhaßten Dienern des Königs vermählt, dafür aber auch durch die endliche Verbindung mit königl. Blute reich belohnt wird. Auch erscheint in den Romanzen, besonders denen von seinen letzten Tagen, seinem Testament, Tod, Begräbnis und seiner Leiche, das legendenartige Element der spätern Chroniken. In den jüngsten Romanzen endlich wird der «zur guten Stunde Geborene» zum Hofkavalier, der kein

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