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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Civilrecht

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Civilrecht

Die Deutsche Civilprozeßordnung ist formell ein für das ganze Reich und als alleinige Rechtsquelle geltendes, materiell ein wesentlich eigenartiges Prozeßgesetz. Ihre Struktur beruht teils auf praktischen, teils auf systematischen Gesichtspunkten. Das Buch Ⅰ regelt die allgemeinen Grundlagen des bürgerlichen Rechtsstreits, indem es das zuständige Gericht bestimmt, die prozessuale Fähigkeit und Vertretung der Parteien und dritter Beteiligten ordnet und die Grundlinien des Verfahrens vorzeichnet. In Buch Ⅱ wird das Verfahren, wie es als Regel gedacht ist, in Gestalt des landgerichtlichen (kollegialen) Prozesses erster Instanz, in seinen einzelnen Stadien vorgeführt und demnächst in modifizierter Form auf den amtsgerichtlichen (Einzelrichter-) Prozeß übertragen, während in Buch Ⅲ das Verfahren in den Rechtsmittelinstanzen, d. h. für Berufung, Revision und Beschwerde, ausgestaltet ist. Nachdem damit der denkbar volle Verlauf des ordentlichen Prozesses bis zur rechtskräftigen Entscheidung normiert worden ist, folgen in den Büchern Ⅳ-Ⅶ gewisse unregelmäßige Gestaltungen des Prozesses, beruhend teils auf Durchbrechung des Grundsatzes von der Unumstößlichkeit rechtskräftiger Urteile (Buch Ⅳ: Wiederaufnahme des Verfahrens durch Nichtigkeits- und Restitutionsklage), teils auf der Sonderart der bezüglichen Streitsachen (Buch Ⅴ: Urkunden- und Wechselprozeß: Buch Ⅵ: Ehe- und Entmündigungssachen; Buch Ⅶ: Mahnverfahren). Das Buch Ⅷ regelt das Verfahren zur Realisierung der gerichtlichen Entscheidung, die Zwangsvollstreckung. In Buch Ⅸ ist das Aufgebots- und das schiedsrichterliche Verfahren angereiht.

Als leitende Grundgedanken des bürgerlichen Verfahrens, wie es in der Deutschen Civilprozeßordnung geregelt ist, ergeben sich folgende: An die Spitze gestellt ist der Grundsatz der Mündlichkeit, zufolge dessen die Verhandlungen der Parteien vor dem erkennenden Gericht unmittelbar erfolgen, dergestalt, daß das Gericht als Unterlage für die Entscheidung (Prozeßstoff) nur das von den Parteien in mündlicher Verhandlung Vorgetragene, dieses aber auch selbst dann, wenn es nicht schriftlich fixiert ist, zu berücksichtigen hat, wobei die Prozeßverhandlung, auch wenn sie sich in mehrern Terminen fortsetzt, grundsätzlich als ein Ganzes gilt und daher bei der Fortsetzung von neuem den gesamten Streitstoff zu erfassen hat. (S. Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege.) In Verbindung mit diesem Grundsatze steht der des Selbstbetriebes der Parteien, wonach diejenigen Prozeßhandlungen, welche zur Vorbereitung und Durchführung der gerichtlichen Entscheidung erforderlich, wesentlich den Parteien überlassen sind. (S. Selbstbetrieb, im Gegensatz zum Offizialbetriebe.) Als Folge dieser beiden Grundregeln ist der Anwaltszwang (s. Anwaltsprozeß), d. h. die Verpflichtung der Parteien, sich durch Anwälte vertreten zu lassen, anzusehen, welcher den vor Kollegialgerichten stattfindenden Prozeß (also den Landgerichtsprozeß, s. Rechtsmittel) wesentlich beherrscht. Für die mündliche Verhandlung gelten weiterhin noch zwei wichtige Regeln: nämlich einerseits der Wegfall der sog. Eventualmaxime (s. d.), wodurch die im frühern gemeinrechtlichen und preuß. Prozesse unter Androhung von Ausschlußnachteilen vorgeschriebene Folgeordnung von Einreden, Repliken und Dupliken beseitigt und allem Parteivorbringen, bis zum Schlusse derjenigen Verhandlung, auf welche das Urteil ergeht, die Berücksichtigung gewahrt ist; andererseits die Beweisverbindung (s. Beweis), vermöge dessen die Parteien ohne weiteres die Beweismittel für die vorgebrachten Thatsachen mit anzugeben haben. Für die richterliche Thätigkeit ist von besonderer Bedeutung der Grundsatz der freien Beweisführung, kraft dessen das Gericht über die Wahrheit oder Unwahrheit der thatsächlichen Behauptungen der Parteien nach freier Überzeugung entscheidet.

Der Gang des ordentlichen landgerichtlichen Prozesses läßt sich dahin skizzieren: Das Verfahren wird dadurch eingeleitet, daß der Kläger eine schriftliche Klage dem Beklagten zustellt mit Ladung zur mündlichen Verhandlung. In dieser, welche nötigenfalls durch Wechsel von Schriftsätzen vorbereitet wird, erfolgt das Vorbringen der Parteien in thatsächlicher und rechtlicher Beziehung. Die etwa erforderliche Feststellung von Thatsachen wird vom Gericht durch einfachen Beweisbeschluß (s. Beweis) angeordnet und erledigt. Nach erfolgter Schlußverhandlung und sofern die Sache zur Entscheidung reif ist, erläßt das Gericht das Endurteil. In den Rechtsmittelinstanzen (Berufung und Revision, s. d.) wiederholt sich vorstehendes Verfahren im wesentlichen, nur daß dasselbe hier durch Zustellung eines das Rechtsmittel einlegenden Schriftsatzes eingeleitet wird, und daß für die Revisionsinstanz die Erörterung der Thatfrage grundsätzlich ausgeschlossen ist. – Im amtsgerichtlichen Prozeß ist das Verfahren vereinfacht und der richterlichen Einwirkung ein weiterer Spielraum gelassen.

Litteratur. Bayer, Theorie der summarischen Prozesse (7. Aufl., Münch. 1859); ders., Vorträge über den deutschen Gemeinen C. (10. Aufl., ebd. 1869); Renaud, Lehrbuch des gemeinen deutschen Civilprozeßrechts (2. Aufl., Lpz. und Heidelb. 1873); Wetzell, System des ordentlichen C. (3. Aufl., Lpz. 1878); Wach, Handbuch des deutschen Civilprozeßrechts, Bd. 1 (ebd. 1885); Planck, Lehrbuch des deutschen Civilprozeßrechts (Nördl. und Münch., Bd. 1, 1887; Bd. 2, 1. Abteil., 1891); Fitting, Der Reichscivilprozeß (Bd. 1 der «Lehrbücher des deutschen Reichsrechts», 8. Aufl., Berl. 1893); Engelmann, Der C. Geschichte und System (Bd. 1 und 2, 1.2, Bresl. 1889‒91). – Kommentare: Petersen (2. Aufl., Lahr 1883); von Bülow (2. Aufl., Hannov. 1887); Struckmann und Koch (5. Aufl., Berl. 1887); Förster (2 Bde., Grünberg 1884‒88); Gaupp (2. Aufl., 2 Bde. und Anhang Ⅰ u. Ⅱ, Freib. i. Br. 1889‒93); Reincke (2. Aufl., Berl. 1893); Seuffert (6. Aufl., Münch. 1893); von Wilmowski und Levy (6. Aufl., Berl. 1892); Peters (2. Aufl., ebd. 1893).

Civilrecht, s. Bürgerliches Recht. Eine besondere Bedeutung hatte bei den Römern das C. (jus civile). Es war ursprünglich das für die röm. Bürger geltende bürgerliche Recht, wie es begründet war durch die Zwölf Tafeln (s. d.), fortgebildet wurde durch die aus den Beschlüssen des röm. Volks hervorgegangenen Gesetze (leges), die Beschlüsse des röm. Senats in Sachen des Privatrechts (Senatus consulta), die Erlasse der Beamten (edicta magistratuum, s. Edikte), die Gutachten und Schriften der Juristen (auctoritas prudentium), die richterlichen Urteile (res judicatae) und das Gewohnheitsrecht (s. d.). Daneben stand das jus gentium als das bürgerliche Recht, dessen auch Peregrinen, d. h. diejenigen Freien, welche das röm. Bürgerrecht nicht hatten, ebenso fähig waren, wie die röm. Bürger selbst. Es gab z. B. bestimmte Formen von Rechts- ^[folgende Seite]

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