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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Deutsch-Französischer Krieg von 1870 und 1871

IV. Übergabe von Paris, Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. In Deutschland war unterdessen die öffentliche Meinung über das unerwartet lange verzögerte Bombardement von Paris unruhig geworden. Auch im Hauptquartier in Versailles gab es verschiedene Strömungen. Der Kanzler drängte zum Bombardement, General von Blumenthal führte dagegen mit Recht an, wie ein Bombardement nur dann einige Aussicht auf Erfolg gewähren könne, wenn ausreichende Mittel dazu vorhanden wären. Dies war aber erst Ende Dezember der Fall, und so begann 27. Dez. das Bombardement von Paris (s. Paris).

Nach der Einnahme des Mont-Avron (s. d.) 29. Dez. 1870 wurde die Beschießung der östl. Forts aus den errichteten Batterien fortgesetzt und das Feuer derselben 1. Jan. 1871 vorläufig zum Schweigen gebracht. Am 5. Jan. begann die Beschießung der Südfront, zugleich wurde auch die Ost- und Nordfront und Paris also von allen Seiten lebhaft beschossen. Die Geschosse der schweren Belagerungsgeschütze aus den südl. Batterien trafen schon in die Stadt, doch fand ein eigentliches Bombardement derselben nicht statt. Einige Tage konnte des starken Nebels wegen nur mäßig geschossen werden, und die Besatzung machte 13., 14. und 15. Jan. in verschiedenen Richtungen zugleich heftige Ausfälle; doch wurden diese überall zurückgeschlagen. Die Not wuchs auch in anderer Beziehung mit jedem Tage in Paris. Trochu hatte die letzten Ausfälle, teilweise bei Nacht und immer mit ungenügenden Kräften, gegen das Gardekorps, die Sachsen, das 11. Korps und die Bayern, also aus allen Fronten unternommen, um die Richtung des großen Ausfalls, den er noch einmal 19. Jan. versuchte, zu verschleiern. Dieser geschah vom Mont-Valerien (s. d.) aus gegen den äußersten linken Flügel der deutschen Südarmee, das 5. preuß. Armeekorps (Kirchbach); 100000 Mann waren dazu bestimmt, es sind aber nur 49 Bataillone zum Gefecht gekommen. Der Stoß galt Versailles, dem Hauptquartier des Königs von Preußen, der am Tage vorher zum Deutschen Kaiser proklamiert worden war. Der Kampf war auf allen Punkten ein sehr hartnäckiger und endigte mit dem Rückzug der Franzosen. Damit mußte in Paris alle Hoffnung aufgegeben werden. Trochu trat zurück, Leflô übernahm das Gouvernement und Vinoy den Oberbefehl der Truppen. Die Umsturzpartei erhob sich aufs neue, wurde aber nochmals unterdrückt, doch die Stimmung in der Hauptstadt war eine so verzweifelte, daß sich die Regierung nicht mehr der Überzeugung verschließen konnte, die Kapitulation sei nunmehr unabwendbar. Am 23. Jan. abends kam der Minister des Auswärtigen, Favre, zu Unterhandlungen nach Versailles. Diese nahmen noch einige Tage in Anspruch und führten am 28., nachdem tags vorher das Feuer eingestellt worden war, zum Abschluß der Kapitulation und eines dreiwöchigen Waffenstillstandes behufs der Wahl und des Zusammentritts einer gesetzmäßigen Nationalversammlung, die über Krieg und Frieden entscheiden sollte. Die wichtigsten Bestimmungen der Kapitulation waren: Sämtliche Forts, mit Ausnahme des von Vincennes, werden sogleich mit allem Kriegsmaterial übergeben; die Linien- und Marinetruppen, auch die Mobilgarde sind kriegsgefangen, liefern ihre Waffen, Feldartillerie und Fahnen ab, bleiben aber in Paris bis zum Frieden interniert; die Nationalgarde übernimmt den Sicherheitsdienst in Paris, zu ihrer Unterstützung bleibt eine Liniendivision von 12000 Mann bewaffnet; die Stadtumwallung wird entwaffnet, die Geschützrohre verbleiben den Franzosen, die Lafetten werden den Deutschen überliefert; nach Ablieferung der Waffen kann sich Paris von außerhalb verproviantieren; während des Waffenstillstandes werden die Deutschen Paris nicht betreten; die Stadt zahlt eine Kriegssteuer von 200 Mill. Frs.; die Feldarmeen behalten ihre besetzten Landstrecken inne mit einer Neutralitätszone zwischen sich; nur für die Depart. Côte-d'Or, Doubs und Jura tritt der Waffenstillstand erst ein, wenn darüber ein Verständnis erzielt ist. Belfort (s. oben) hielt sich noch bis zum 16. Febr.; dann kapitulierte der Kommandant, Oberst Denfert, auf Weisung seiner Regierung, da der Widerstand nur noch wenige Tage hätte fortgesetzt werden können. Die Garnison, 17700 Mann stark, erhielt in Anerkennung der tapfern Verteidigung freien Abzug mit allen kriegerischen Ehren; 18. Febr. wurde Belfort von den Deutschen besetzt, die dadurch 240 Geschütze erhielten. Der Waffenstillstand war 16. Febr. auch auf den südöstl. Kriegsschauplatz ausgedehnt worden.

Während der Waffenruhe ging die in Bordeaux zusammengetretene Nationalversammlung an das Friedenswerk. Sie ernannte zunächst, nachdem die Regierung der Nationalverteidigung ihr Amt niedergelegt hatte, Thiers zum Chef der Exekutivgewalt und ermächtigte ihn, seine Minister zu wählen. Die neue, auf geordnetem Wege errichtete Regierung wurde von allen Staaten anerkannt, mit ihr konnte auch Deutschland in Friedensverhandlungen eintreten. Thiers übernahm es selbst, diese unter Mitwirkung des Ministers Favre mit dem Grafen Bismarck zu führen, die Nationalversammlung ernannte zur Vermittelung zwischen ihr und den Unterhändlern eine Specialkommission von 15 Mitgliedern. Der Waffenstillstand wurde während der Friedensunterhandlungen noch zweimal verlängert. Doch schritten die Verhandlungen nur langsam fort, denn Thiers setzte der Abtretung franz. Bodens den hartnäckigsten Widerstand entgegen, und Bismarck hielt diese Bedingungen mit Festigkeit aufrecht. Wenigstens Metz wollte Thiers retten, höchstens die Schleifung der Festung zugeben und einen (erst anzukaufenden) Ersatz (Luxemburg) dafür bieten, willigte jedoch schließlich gegen die Zurückgabe von Belfort in die Abtretung. Die deutsche Kriegsleitung traf deshalb alle Vorkehrungen, um die Operationen auf allen Teilen des Kriegstheaters nachdrücklich eröffnen zu können, falls die Verhandlungen scheitern sollten. Man sicherte die Unterwerfung von Paris durch eine umfassende Geschützaufstellung im Westen und Süden, zog drei Korps der Einschließungstruppen nach dem Südwesten, ergänzte alle Truppen auf die volle Etatsstärke und sorgte für die Verteidigung der deutschen Küsten gegen einen etwaigen Angriff franz. Kriegsschiffe. Der Stand der auf franz. Boden stehenden deutschen Truppen erreichte seinen höchsten Betrag.

Die Präliminarien wurden 24. Febr. abgeschlossen und am 26. einerseits vom Reichskanzler und von den hinzugezogenen Ministern der süddeutschen Staaten als Vertretern des Deutschen Reichs, andererseits von Thiers und Favre als Vertretern Frankreichs unterzeichnet. Thiers legte 28. Febr. der Nationalversammlung zu Bordeaux den Friedensvertrag als Gesetzentwurf zur Ra-^[folgende Seite]