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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Döllinger

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Döllinger (Johann Joseph Ignaz von)

1841 starb. Seit 1823 war er Mitglied der Bayrischen Akademie der Wissenschaften. In seinem frühern akademischen und litterar. Wirken, wie z. B. im "Grundriß der Naturlehre des menschlichen Organismus" (Bamb. 1805), bekundete sich D. als einen Anhänger der Schellingschen Naturphilosophie. Seine hervorragende Stellung in der Geschichte der Wissenschaft gründet sich jedoch weniger auf seine eigenen vergleichenden anatom. und physiol. Untersuchungen als auf die Anregungen, wodurch er seine Schüler bestimmte, in Deutschland die Lehre von der Entwicklung der organischen Wesen zu begründen. Von D.s Schriften sind noch zu nennen: "Grundzüge der Physiologie der Entwicklung des Zell-, Knochen- und Blutsystems" (Regensb. 1842), "Über den Wert und die Bedeutung der vergleichenden Anatomie" (Würzb. 1814), "Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Gehirns" (Frankf. 1814). Auch hat er sich um die Verbesserung des Mikroskops verdient gemacht. - Vgl. Ph. F. von Walter, Rede zum Andenken an I. D. (Münch. 1841).

Döllinger, Johann Joseph Ignaz von, Sohn des vorigen, kath. Theolog und Historiker, geb. 28. Febr. 1799 zu Bamberg, studierte in Würzburg und in seiner Vaterstadt, ward 1822 zum Priester geweiht und Kaplan in Marktscheinfeld, 1823 Lehrer am Lyceum zu Aschaffenburg, 1826 ord. Professor der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts an der Universität München. Er wurde 1847 zum Propst des Stifts St. Cajetan, 1868 zum lebenslänglichen Mitglied des Reichsrats sowie 1835 zum außerordentlichen, 1843 zum ordentlichen Mitglied der Münchener Akademie der Wissenschaften, deren Präsident er seit 1873 war, ernannt und starb 10. Jan. 1890. - In der ersten Hälfte seines Lebens ein energischer Vorkämpfer der Machtansprüche der röm. Kirche gegenüber dem Staat, durch seine Geschichtsbehandlung das Vorbild der modernen ultramontanen Geschichtschreibung, rang sich D. allmählich zu einem milden, freien und unbefangenen Katholicismus hindurch. Im ultramontanen Sinne beteiligte sich D. an den Streitigkeiten über die gemischten Ehen (1838), an den Erörterungen über die Kniebeugung der prot. Soldaten (1843) und seit 1845 als Vertreter der Universität an den Verhandlungen der bayr. Kammer. In der Zeit der Lola Montez, 1847, wurde er als Universitätsprofessor in den Ruhestand versetzt, wodurch er seinen Sitz in der Kammer verlor; König Maximilian II. setzte ihn 1849 wieder in sein Amt ein. Als Mitglied des Frankfurter Parlaments (1848-49) gehörte D. zu den bedeutendsten Führern der kath. Fraktion, welche sich bemühte, unter Berücksichtigung der völlig veränderten Verhältnisse der Kirche eine möglichst weitgehende Unabhängigkeit vom Staat und unbeschränkte Selbständigkeit in der Ordnung ihrer innern Angelegenheiten zu verschaffen. D. entwarf hier den Wortlaut der darauf bezüglichen Bestimmung, welche vom Frankfurter Parlament nur teilweise in die Grundrechte, dagegen von Preußen unverändert als Art. 15 der Verfassung aufgenommen und erst durch Gesetz vom 5. April 1873 wieder aufgehoben wurde. Unter D.s Schriften aus feiner ersten Periode sind zu nennen: "Die Lehre von der Eucharistie in den ersten drei Jahrhunderten" (Mainz 1826), die Vollendung von Hortigs "Handbuch der Kirchengeschichte" (Landsh. 1828), und die Neubearbeitung desselben u. d. T. "Geschichte der christl. Kirche" (Bd. 1 in 2 Abteil., ebd. 1833-35), "Lehrbuch der Kirchengeschichte" (Bd. 1 und Bd. 2, Abteil. 1, Regensb. 1836-38; 2. Aufl. 1843), "Die Reformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen im Umfange des luth. Bekenntnisses" (3 Bde., ebd. 1846-48; 2. Aufl., Bd. 1, 1851), "Luther, eine Skizze" (Freiburg 1851; neuer Abdr. 1890). - Der Umschwung in seinen kirchenpolit. Überzeugungen vollzog sich namentlich seit seiner Romreise 1857 und erhielt seinen Abschluß durch das Vatikanische Konzil. Schon 1861 hielt er zu München im Odeon zwei Vorträge, in denen er die Möglichkeit einer Aufhebung der weltlichen Macht des Papstes und deren Folgen für die kath. Kirche besprach; der päpstl. Nuntius verließ infolgedessen ostentativ den Saal. Den heftigen Angriffen, welche D. deshalb erfuhr, stellte er die Schrift "Kirche und Kirchen, Papsttum und Kirchenstaat" (Münch. 1861) entgegen, worin er eingehend bewies, daß die weltliche Herrschaft des Papstes für das Gedeihen der kath. Kirche nicht notwendig sei. Noch heftigere Anfeindungen erfuhr D., als er 1863 gemeinschaftlich mit Haneberg eine kath. Gelehrtenversammlung nach München berief und als deren Vorsitzender eine Rede hielt über die "Vergangenheit und Gegenwart der kath. Theologie", welche nachdrücklich eine gründlichere wissenschaftliche Bildung des kath. Klerus forderte. Bald darauf erschienen seine, manche traditionelle Erdichtung aufdeckenden "Papstfabeln des Mittelalters" (Münch. 1863; 2. Aufl., hg. von J.^[Johannes] Friedrich, Stuttg. 1890). Als das Vatikanische Konzil berufen wurde, um die päpstl. Unfehlbarkeit zu beschließen, war D. der bedeutendste und eifrigste derjenigen deutschen Theologen, welche die Verkündigung des neuen Dogmas zu hindern suchten. Schon vorher wies das von ihm mit Huber unter dem Pseudonym Janus ausgearbeitete Buch "Der Papst und das Konzil" (Lpz. 1869; neu bearb. von J.^[Johannes] Friedrich, Münch. 1892) auf die Unhaltbarkeit des in Aussicht genommenen Dogmas hin; während des Konzils veröffentlichte D. in der Augsburger "Allgemeinen Zeitung" die "Römischen Briefe vom Konzil" (als Buch unter dem Pseudonym "Quirinus", Lpz. 1870), welche mit voller Entschiedenheit die Anschauungen der Opposition vertraten, und ließ "Erwägungen für die Bischöfe des Konziliums über die Frage der Unfehlbarkeit" in deutscher und franz. Ausgabe an die Mitglieder des Konzils verteilen. Ende August präsidierte er zu Nürnberg einer Versammlung von kath. Gelehrten, deren Erklärung gegen den Konzilsbeschluß den Anstoß zur altkath. Bewegung gab. Vom Erzbischof von München-Freising zur Unterwerfung aufgefordert, wies D. dies Ansinnen durch eine offene Erklärung vom 28. März 1871 zurück. Infolgedessen traf ihn am 17. April die Exkommunikation; doch ehrte die Münchener Universität den Exkommunizierten durch die fast einstimmige Wahl zum Rector magnificus, und die Universitäten Marburg, Oxford und Edinburgh ernannten ihn zum juristischen, Wien zum philos. Ehrendoktor. D. nahm auch an den ersten Verhandlungen zur Gründung einer altkath. Genossenschaft teil. Als aber der Wille der Mehrheit über seine Absicht hinaus, eine gegen das neue Dogma protestierende Sonderstellung innerhalb der Kirche einzunehmen, auf Bildung selbständiger Gemeinden drängte, zog er sich von der Bewegung zurück. (Vgl. D.s Briefe und Erklärungen über die vatikanischen Dekrete aus den Jahren