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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Dörfel - Dorfsystem
ein D. zu nennen, welche nicht die städtische Ge-
meindeorganisation besitzt (s. Gemeinde). Das D.
ist meistens zugleich eine Landgemeinde, jedoch ist
der letztere Begriff umfassender, da mehrere D. zu
einer ländlichen Samtgemeinde und auch mehrere
isolierte Höfe zu einer Landgemeinde verbunden sein
können (so häufig in Westfalen und derRheinprovinz).
Die geringere Leistungsfähigkeit der D. gestattet nicht
wohl, ihnen Selbstverwaltungsbefugnisse in gleichem
Maße, wie den Städten, einzuräumen; sie werden
vielmehr viele Aufgaben der Selbstverwaltung nur
als Glieder weiterer Verbände (Amter, Kreise) über-
nehmen können. In Wirtschafts- und gewerbepolit.
Beziehung dagegen sind gegenwärtig alle Unter-
schiede zwischen Stadt und D. beseitigt, namentlich
auch die Gesetze, nach welchen der Betrieb vieler
.Handwerke auf dem Lande verboten war. Manche
D. haben sich überhaupt von der Landwirtschaft fast
gänzlich abgewandt und einen durchaus industriellen
Charakter angenommen. Es sind dies besonders
solche Orte, welche in neuerer Zeit in Anlehnung
an neugegründete Fabriken und Eisenbahnstationen
entstanden sind und vorläufig noch eine genügend
große Einwohnerzahl nicht besitzen, um eine städtische
Gemeindeverfassung zu erhalten.
Dörfel, Georg Samuel, Geistlicher und Astro-
nom, geb. 11. Okt. 1643 zu Plauen im Vogtlande,
gest. 6. Aug. 1688 als Superintendent zu Weida.
Aus eigenen Beobachtungen des Kometen 1680
folgerte er, noch bevor das Newtonsche Attraktions-
gesetz bekannt wurde, daß sich der Komet in einer
Parabel, in deren Brennpunkt die Sonne stände,
bewegen müsse. Diese in der Kometenastronomie
epochemachende Entdeckung veröffentlichte er in der
Schrift "Astron. Beobachtungen des großen Kome-
ten" (Plauen 1680).
Dorfpoesie, höfische, nach Lachmanns Vor-
gang Bezeichnung der Dichtweise Neidharts von
Neuenthal (s. d.) und seiner Nachahmer. Sie schildert
in der Form von Tanzliedern das Glück, das der
Ritter bei den Dorfschönen hat, die ihn ihren tölpel-
haften Liebhabern weit vorziehen. Ferner erzählt
sie balladenartig von den wüsten Raufereien der
eichen österr. Bauern, ihrer feigen Prahlerei und
ihrem geschmacklosen Kleiderlurus. Diese karikieren-
den Darstellungen des Vauernlebens waren natür-
lich nicht für ein bäurisches, sondern für ein höfisches
Publikum bestimmt. Doch mögen sie trotz ihrer ele-
ganten Form an volkstümliche Spottpoesie an-
knüpfen. Walther von der Vogelweide beklagte das
Eindringen dieser ihm roh erscheinenden Dichtart. -
Vgl. von Liliencron in der "Zeitschrift für deutsches
Altertum", Bd. 6; Vielschowsky, Geschichte der deut-
schen Dorfpoesie I (Berl. 1890).
Dorfschule, s. Schulen.
Dorfsystem. 1)Das altgermanische Dorf.
Ein sehr großer Teil der deutschen Dörfer in den
alten Volkslanden westlich der Elbe stammt aus
der Zeit des ersten Sehhaftwerdens der Germanen
gegen Ausgang der Völkerwanderung. Die Form
der gemeinschaftlichen Ansiedelung in geschlossenen
Dörfern war bei der Mehrzahl der german. Stämme
üblich. In Westfalen und am Niederrhein fanden
sich allerdings schon zur Zeit des Tacitus Einzel-
höfe inmitten eines geschlossenen Komplexes von
Ländereien (s. Hofsystem), im übrigen aber war die
Regel, daß eine Anzahl oft unter sich verwandter
Familien ein Dorf begründeten und von diesem
Wohnsitz aus, anfangs wohl gemeinschaftlich, von
der vielleicht mit noch andern Genossen (der Hundert-
schaft) in Besitz genommenen Mark (s. d.) nach und
nach die geeignetsten Stücke rodeten und in Be-
wirtschaftung nahmen. In den verschiedenen Ab-
teilungen der Feldmark, den sog. Gewannen (s.d.),
die durch die Reihenfolge der Urbarmachung ent-
standen oder auch nach Lage und Naturverhältnissen
abgegrenzt waren, erhielt jede vollberechtigte Dorf-
famiue einen Anteil, dessen Flächeninhalt sich nach
der Möglichkeit der Bearbeitung an einem Arbeits-
tage (Tagewerk, Arbeitsmorgen) richtete. Jedes die-
ser Stücke umfaßte also einen Morgen. Die Ge-
samtheit dieser zerstreuten Teile bildete nebst Haus,
Hof und Garten und dem Nutzungsrechte an dem ge-
meinschaftlichen, hauptsächlich aus Wald und Weide
bestehenden Marklande die sog. Hufe ls. d.). Die ab-
solute Größe derselben war nach Klima und Voden-
befchasfenheit verschieden, da sie sich, abgesehen von
dem genannten, für das Ackermaß entscheidenden
Gesichtspunkte, nach der Rücksicht bestimmte, daß
eine Familie durch ihre Bewirtschaftung ausreichen-
den Unterhalt finden könne. Während die Hofplä'tze
und Hausgärten von Anfang an festes Sonder-
eigentum wurden, gingen die Hufenanteile in den
einzelnen Gewannen (die Ackergrundstücke) im ersten
Jahrtausend der deutschen Geschichte in das Privat-
eigentum der Bauern über. (Hinsichtlich der bis in
dieneuesteZeitvereinzeltvorkommendenperiodischen
Verlosung der Gewannstücke s. Gehöferschaften.)
Die Felder unterlagen jedoch bis in die neueste Zeit
gewissen gemeinsamen Nutzungen, namentlich der
Vrachweide- und Stoppelweideberechtigung aller
Hufner (s. Gemeinheit). Nur die gemeine Weide und
der gemeine Wald (s. Allmende) sind bis zur Gegen-
wart in großem Umfange Gesamteigentum, wenn
nicht aller Dorfbewohner, so doch dcr'eine sog. Real-
gemeinde (s. d.) bildenden alteingesessenen Hofeigen-
tümer geblieben. - Die geschilderte Form des D.
findet man, wenn auch vielfach nur noch in ver-
wischten Züaen, fast überall, wo sich Germanen an-
gesiedelt haben, außerhalb Deutschlands in Däne-
mark und Schweden, in einem Teil von Frankreich
und England. Über ähnliche Agrarverfassungen aw
derer Völker vgl. Feldgemeinschaft und Mir. Die
Zerstreuung der Ackerarundstücke des einzelnen Be-
sitzers über die ganze Feldmark - die im Laufe der
Zeit durch Teilungen im Wege des Kaufs und der
Erbschaft fortwährend zunehmende sog. Gemenge-
lage- und die Nutzungsberechtigungen an den
Ackerländereien bedingen eine starke Fesselung der
wirtschaftlichen Persönlichkeit der einzelnen Besitzer,
sie führen zu dem sog. Flurzwange (s. d.) und haben
bewirkt, daß die deutsche Bauernwirtschaft länger
als durch ein Jahrtausend fast unverändert geblieben
ist, namentlich an der alten Dreifelderwirtschaft fest-
gehalten hat. Die Aufhebung der Gemengelage
und der gemeinsamen Nutzungsberechtigungen war
die Aufgabe der modernen Gemeinheitsteilungs-
und Zusammenlegungs-Gesetzgebung (s. Zusammen-
legung der Grundstücke).
2) Das deutsche Kolonialdorf. Neben dem
altgermanischen D. findet sich in Deutschland in
großer Verbreitung noch eine andere Form der dorf-
mäßigen Ansiedelung, welche einer spätern Zeit ange-
hört und einer mehr fortgeschrittenen individualisti-
schen Rechtsanschauung entspricht. Ihr Wesen be-
steht darin, daß sie die Forderung einer vollständigen
Trennung der einzelnen Anteile an der Ackerflur
verwirklicht. Die Hufen liegen einander parallel in