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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Elektromagnetismus

Kraftlinien (s. d.), während die Niveauflächen (s. Elektrisches Potential) durch den Stromleiter gelegte Ebenen sind. Hieraus läßt sich das Gesetz, nach dem ein geradliniger Stromleiter auf magnetische Teilchen wirkt, ablesen. Er würde, wenn der Strom von oben nach unten durch das Papier fließt, ein nordmagnetisches Teilchen im Sinne des Uhrzeigers, ein südmagnetisches umgekehrt im Kreise herumtreiben. (S. Fernwirkung der galvanischen Ströme.)

Ein vom galvanischen Strom durchflossener Kupferdraht wirkt nicht nur ablenkend auf eine nahe und parallel gerichtete magnetische Deklinationsnadel, sondern er zieht auch nach Arago (1820) Eisenfeile an und hält sie während der Stromdauer fest. (Ähnliche Versuche machten nahezu gleichzeitig mit Arago, aber jeder für sich selbständig, Davy und Boisgiraud.) Weitere Versuche Aragos haben gelehrt (1820), daß der galvanische Strom Nadeln und Stäbchen aus weichem Eisen (möglichst kohlenfreiem Schmiedeeisen), jedoch nur während der Stromdauer, magnetisiert, und zwar am stärksten, wenn der Stromleiter die Stäbchen unter einem rechten Winkel kreuzt oder, noch besser, in mehrern isolierten Windungen umkreist. Die magnetische Achse solcher nur während der Stromdauer magnetisch bleibender Eisenstäbchen liegt senkrecht zum Stromleiter und ihr Nordpol liegt zur Linken des Ampèreschen Schwimmers im Strome, woraus, wie beim vorigen Ablenkungsversuche einer Magnetnadel, hervorgeht, daß die magnetisierende Kraft des galvanischen Stroms senkrecht zur Richtung des Stromleiters erfolgt. Aus diesem Grunde legen sich auch die oben erwähnten Eisenteile tangential an den Leitungsdraht. Noch in demselben Jahre zeigte Arago, daß auch der Reibungsstrom magnetisierend auf das weiche Stabeisen wirkt, sodaß verallgemeinert jeder elektrische Strom magnetisierende Kraft besitzt. In der Praxis verwendet man jetzt hierzu die Ströme der Voltabatterien und Dynamomaschinen. Legt man den der Isolierung wegen mit Seide umsponnenen Schließungsdraht eines oder mehrerer galvanischer Elemente in vielfachen und gleichgerichteten Windungen um das Eisen, so unterstützen sich alle diese Windungen in ihrer magnetisierenden Kraft auf das Eisen und letzteres kann bei zahlreichen Windungen und starkem elektrischen Strome eine sehr bedeutende magnetische Kraft erhalten. Ein auf solche Weise nur während der Stromdauer, also nur zeitweilig (temporär) magnetisiertes Eisen heißt ein Elektromagnet. Statt den Draht unmittelbar um den Eisenstab zu winden, ist es zweckentsprechender, ihn auf eine Holz- oder Pappspule zu wickeln. In die so erhaltene Magnetisierungsspule (Fig. 2) schiebt man den zu magnetisierenden Eisenstab. Die Polarität eines solchen Magneten kann man ebensowohl nach der Ampèreschen Schwimmerregel alF auch wie folgt bestimmen: Denkt man sich einem Ende des Stabes mit dem Gesicht zugewendet, so ist dieses Ende der Südpol S, wenn es vom positiven Strome im Sinne des Uhrzeigers umkreist wird (Fig. 3); findet das Gegenteil statt, so hat man den Nordpol N des Stabes vor sich (Fig. 4). Mit der Umkehrung der Stromrichtung verwandeln sich auch die Magnetpole in die entgegengesetzten.

^[Fig. 2.]

Die Stärke eines geraden Elektromagneten wird mittels seiner ablenkenden Wirkung auf ein Magnetometer (s. d.) gemessen. Diese Stärke ist proportional der Anzahl der Drahtwindungen, und sie wächst, verglichen mit einer immerfort zunehmenden Stromstärke, anfangs in einem etwas raschern, dann nahezu in gleichem und späterhin in einem langsamern Verhältnisse als die Stromstärke, wobei sie sich einem größten Grenzwerte nähert (von Waltenhofen, 1870). Die Tragkraft und Anziehung der Elektromagnete werden gemessen durch Gewichte, die ein eisernes Vorlegstück (Anker, Armatur) vom Pole abreißen, und zwar die Tragkraft bei unmittelbarer Berührung, die Anziehung bei Zwischenkörpern (Papierblättern u. s. w.). Die Tragkraft wächst selbstverständlich mit der Stärke des Elektromagneten, hängt aber ferner noch ab von der Innigkeit der Berührung zwischen der Armatur und dem Elektromagnet, von der Gestalt beider u. dgl. m. Die Anziehung eines Elektromagneten nimmt mit der Entfernung seines Ankers sehr schnell ab und beträgt nur einen sehr kleinen Teil seiner Tragkraft. Die Tragkraft des Elektromagneten wächst um viel mehr als auf das Doppelte, wenn man ihm die Form eines Hufeisenmagneten (Fig. 5) erteilt, bei dem beide Pole den vorgelegten eisernen Anker tragen. Der Anker wird vom Elektromagneten in einen Magnet mit entsprechend entgegengesetzten Magnetpolen durch die Magnetinduktion verwandelt. Die ersten kräftigen Elektromagnete in Hufeisenform stammen von Sturgeon (1825); man hat später Hufeisenelektromagnete hergestellt, deren Anker durch eine Kraft von mehrern tausend Kilogramm nicht abgerissen werden konnte.

^[Fig. 3. Fig. 4]

Bei derartigen mächtigen Elektromagneten sind die Eisenkerne etwa ½ m lang und 5 cm dick. Über jeden Schenkel sind mehrere Magnetisierungsspulen (Fig. 6) geschoben, deren Windungen nach Hunderten zählen und die sich je nach der Spannung des elektrischen Stroms zweckmäßig miteinander kombinieren lassen. Ein mit diesem Apparat verbundener Stromwechsler ermöglicht eine schnelle, etwa notwendig werdende Umkehrung der magnetischen Pole. Für die Versuche über Diamagnetismus (s. d.) und bei vielen Anwendungen der zweischenkeligen Elektromagnete liegen die Pole oben, wie in Fig. 6.

^[Fig. 5.]

Der durch elektrische Ströme im Eisen u. s. w. erzeugte Magnetismus heißt E. Von den verschiedenen Hypothesen über die Hervorrufung des Magnetismus (s. d.) in Eisen, Stahl u. s. w. eignet sich die Ampèresche Ansicht (s. Elektrodynamik) am besten, die Entstehung und das Aufhören von Elektromagneten einfach zu erklären. Dieser Ansicht zufolge richtet eine

^[Fig. 6.]