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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Englische Kunst

mannen, unter denen das Bauwesen zuerst höhere Ziele anstrebte, bei den Formen des nordfranz.-roman. Stils basilikaler Anlage, zeigen aber an Pfeilern und Halbsäulen eine Vorliebe für runde Formen, die sich im Aufrisse durch eine gewisse Schwerfälligkeit äußert. Da nun der Holzbau noch in der Vorliebe für flache Balkendecken sich derart bemerklich macht, daß aus normann. Zeit sich keine gewölbte Kirche erhielt, so erscheinen vielfach die wuchtigen, ernsten und massigen Formen, die mehr ritterlich trotzigen als kirchlichen Systeme des Aufbaues in einem Mißverhältnis zu der leichten Abdeckung. Die Kathedralen zu Winchester, Worcester, Canterbury (s. Taf. Ⅰ, Fig. 5 u. 3), Gloucester, Durham (s. Taf. Ⅰ, Fig. 2), Norwich wurden in dieser Zeit, meist an der Krypta und am Chor, begonnen und entwickeln sich gleich jener zu Peterborough (s. Taf. Ⅰ, Fig. 1) zu lang gestreckten dreischiffigen Bauten mit stark betontem Querschiff, reicher Ornamentik, kräftig horizontal gegliedertem Aufbau. Die neuen Anregungen, welche seit der Mitte des 12. Jahrh. der abermals über den Kanal kommende gotische Stil bot, äußerten sich zunächst in der Detailbehandlung, welche früh den Spitzbogen mit allen Konsequenzen aufnahm, ohne alsbald zu jener Höhensteigerung des Baues zu gelangen, welche der festländischen Gotik eigen ist. Die Kathedralen von Westminster zu London (s. Tafel: Londoner Bauten, Fig. 1, beim Artikel London), von Salisbury, Beverley, Worcester, Rochester (s. Tafel: Englische Kunst Ⅰ, Fig. 7), Wells, Ely, Lincoln, Lichfield, Kirkwall in Schottland (sämtlich aus dem Anfang des 13. Jahrh., doch stammt fast jeder einzelne Teil aus einem andern Jahrhundert) zeigen die Horizontalteilung der ältern Bauten mit gotischer Überwölbung. Die Längenausdehnung der Kirchen ersetzt auch jetzt, was ihnen an Höhe fehlt. Salisbury erhielt eine solche von 131 m, Lincoln von 160 m. Es wird vielfach sogar ein zweites Querschiff angelegt und dem Chor eine Länge gegeben, welche der des Langhauses gleichkommt. Eine östlich angebaute Marienkapelle (Lady chapel) erweitert noch diese Abmessungen. Im Detail bildet sich in diesen Bauten ein großer dekorativer Reichtum aus, dessen Grundwesen aber ein minder dekoratives war als das der franz. Gotik. Die Engländer bezeichnen den Stil dieser Bauten als den Beginn nationalen Schaffens (Early English). Den folgenden Abschnitt (etwa 1274‒1377) bezeichnen sie als Decorated style (dekorierten Stil), da nun das Detail immer größern, den Bau bestimmenden Einfluß gewann. Kathedralen, wie die zu Exeter (1327‒69), zu York, Melrose, Winchester, geben bei immer reicher sich entfaltender Grundrißgestaltung, großartiger Behandlung der Façaden und Vierungstürme einen außerordentlichen Prunk in der Behandlung der Einzelheiten, der sich auch noch in die Folgezeit, die des Perpendicular style, hinüberzieht. Namentlich die Auflösung der Wandflächen durch lotrecht teilende Blendarkaden, die Anwendung des Tudorbogens und der tropfsteinartig sich entwickelnden Gewölbkonstruktionen, wie sie in der Kapelle Heinrichs Ⅶ. zu Westminster und besonders in den Kirchen von Somersetshire ihre höchste Durchbildung erlangen, sind für diese Zeit besonders bezeichnend (Tudorstil). Auch jetzt spielten die Holzdecken selbst im Kirchenbau eine hervorragende Rolle, die auf den Steinbau nicht ohne Rückwirkung blieb. Dazu kam ein hoch entwickelter Profanbau, der sich schon im frühern Mittelalter in mächtigen, planmäßig durchdachten Burgenanlagen, später in Schlössern mit großen Hallen sowie in großen Stiftern und Colleges, namentlich in den Universitätsstädten (King’s College in Cambridge; s. Taf. Ⅰ, Fig. 4), geltend machte und dem gesamten Bauwesen einen minder kirchlichen, dafür aber um so heiter prächtigern Charakter gab als auf dem Festlande. Durch das Eingreifen in das bürgerliche Leben verschmolzen sich diese Formen so eng mit der Nation, daß sie niemals ganz aus der Übung kamen. Die Renaissance bemächtigte sich anfangs nur des Details, indem sie, teilweise durch ital. Künstler, mehr noch durch deutsche (vor allem durch Holbein), die Gliederungen zuerst des landesüblichen Holzstils, später auch des Steinbaues in unbefangener Weise nach antikem Muster umformte. Erst während der langen und glücklichen Regierung der Königin Elisabeth entstanden Bauten, welche in ihrer ganzen Anlage in Renaissanceformen gehalten sind und zu prunkreicher Darstellung des wachsenden Reichtums des Landes sich erheben (Queen Elizabeth style). Longleat House (1567‒79), Wollaton House (1580), Holland House bei London (1607), Hatfield House (1611) mögen als Beispiele dieser Richtung genannt sein. Nebenher ging aber immer noch, namentlich bei öffentlichen Bauten, die nationale Gotik, die selbst der große Meister der Renais-^[folgende Seite]

^[Abbildung Schloß Howard in Yorkshire.]