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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Englische Litteratur

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Englische Litteratur

Verfasser einer gereimten Chronik, "The Bruce", welche die Geschichte Schottlands von 1286 bis 1329 und besonders die Lebensschicksale des schott. Nationalhelden Robert Bruce erzählt. Außerdem verfaßte Barbour noch eine Geschichte von Troja und eine Reihe von Heiligenleben. Strenggenommen sollte man Barbour seine Stellung als dem Begründer der schott. Dichtung anweisen; er darf aber hier nicht fehlen, weil er gerade in dieser Eigenschaft dem "Vater der engl. Poesie", Geoffrey Chaucer (1340-1400), würdig zur Seite gestellt werden kann. An der Verschmelzung des niederdeutschen Volkselements mit dem französisch-normannischen hat Chaucer (s. d.) durch seine litterar. und dichterische Wirksamkeit wie kein anderer thätigen Anteil genommen. Von seinen jüngern Zeitgenossen kommen nur Thomas Occleve oder Hoccleve ("De regimine principum", eine engl. Bearbeitung des "Aegidius Romanus", und "La male regle") und John Lydgate, genannt der Mönch von Bury ("Falls of the princes", "Troy-book", "Storie of Thebes"), in Betracht. Beide sind Anhänger und Schüler Chaucers, reichen aber in keiner Weise an jenen heran.

Auf die kurze Blüte, welche die E. L. durch das Wirken Chaucers erlebte, folgte eine lange Zeit der Verkümmerung. Ließen einerseits die blutigen Kämpfe der beiden Rosen keine rechte Freudigkeit an dem Genusse irgendwelcher Poesie aufkommen, so waren andererseits die Bestrebungen der vornehmsten Geister auf die Reformation der kirchlichen Zustände gerichtet. Auch die inzwischen in England eingeführte Buchdruckerkunst konnte keine wesentliche Hebung der litterar. Zustände herbeiführen. Während mehr als einem Jahrhundert nach Chaucer begegnet man nur allegorischen Dichtern wie Hawes und Barkley, Satirikern nach der Art Skeltons, Didaktikern wie Thomas Tusser und Sonettschreibern wie Thomas Wyatt und dem Grafen Surrey. Die Gedichte der beiden letztern erschienen in einem Sammelwerke, "Tottel's Miscellany" (in Arbers "Reprints", Nr. 24, Lond. 1870). Mag man auch Surrey den Petrarca Englands und ihn und Wyatt "Die ersten Reformatoren des engl. Versbaues und Stils" genannt haben, so wurde doch eine eigentlich neue Richtung der Poesie erst angebahnt durch Thomas Sackville (1530-1608) und Sir Philip Sidney (1554-86). Das Werk, das man als die geistige Brücke zwischen Chaucers "Canterbury-Geschichten" und Spensers "Feenkönigin" betrachten muß, ist der dem Plane nach von Sackville herrührende "Mirror for magistrates", ein Gedicht, in dem nach Art des Danteschen "Inferno" unglückliche Fürsten und andere hervorragende Gestalten aus der engl. Geschichte in der Unterwelt auftreten, um ihr Leben und Leiden zu Nutz und Frommen der Nachwelt zu erzählen. Die Bedeutung, die Sir Ph. Sidney für die E. L. erlangt hat, beruht darin, daß er den südeurop. Schäferroman nach England verpflanzte. Die "Diana" des Montemayor nachahmend, schrieb er seine "Arcadia". Seine Sonettsammlung "Astrophel und Stella" ist jedenfalls von höherm poet. Werte als jenes Schäfergedicht, dessen trostlose Langeweile selbst die engl. Kritiker nicht in Abrede zu stellen wagen.

Später als die Poesie bildete sich die engl. Prosa aus. (Vgl. Earle, "English prose, its elements, history and usage", Lond. 1890.) Noch roh und unbeholfen in der ersten Hälfte des 14. Jahrh., wie Dan Michels "Ayenbite of inwyt" oder Richard Rolle of Hampoles "Prosaschriften" beweisen, zeigt sie schon einen Fortschritt in der Reisebeschreibung des Maundeville und in John Trevisos Übersetzung des "Polychronicon" des Ranulfus Higden. Auch die Prosa Wyclifs in seiner Übersetzung des Neuen, sowie die des Niclas von Hereford in der des Alten Testaments, selbst die Prosa Chaucers, besonders in seiner Boethius-Übersetzung, hat noch etwas Ungeschicktes. Gewandter sind schon die umfangreichen Ritterromane in Prosa, wie der von "Merlin", Malorys "Morte Arthur", verschiedene des 15. Jahrh. aus der Karlssage beweisen. Im 16. Jahrh. hob sich die Prosa bedeutend, doch nicht, ohne auf Abwege zu geraten; die große Bibelübersetzung seit 1526 und die Streitschriften der Reformation legten den Keim, aus dem sie zur Reife und Schönheit erwachsen sollte. Zeitweilig wurde sie von dem von Lyly eingeführten "Euphuismus", sodann durch den von Sidney eingeführten "Arkadianismus" oder Schäferstil stark beeinflußt. Auch der Gongorismus sollte an der engl. Prosa nicht spurlos vorübergehen, so wenig wie der Concettistil des Dubartas, der durch Abraham Fraunce zur Einführung gelangte. Von diesen Fesseln befreite sich die Sprache erst gegen Ausgang des 16. Jahrh., und Samuel Daniel und Walter Raleigh dürften als die ersten zu betrachten sein, die sich zur Reinheit des Stils durcharbeiteten. Einen Schritt weiter thaten Lord Bacon, Hobbes, Sir Th. Browne in ihren philosophischen, Milton und Clarendon in ihren histor. Schriften. Nicht ohne Einwirkung blieben Isaak Waltons "Complete angler" und John Bunyans "The pilgrims's progress". Bischof Jeremy Taylor entwickelte eine Beredsamkeit, die ihm den Beinamen eines "Shakespeare der Theologen" und eines "Spenser in Prosa" eingetragen hat, und Burton (1576-1640) öffnete in seiner "Anatomy of melancholy" eine von spätern Schriftstellern, namentlich von Sterne, viel benutzte Fundgrube des naiven Witzes und geistreicher Beobachtungen.

Die ersten Erzeugnisse dramatischer Kunst sind wie bei allen christl. Nationen Europas bei der englischen auf kirchlichem Boden erwachsen. Ursprünglich unterschied man zwei Arten von religiösen Dramen, die Mysterien (Mysteries) und die Mirakelspiele (Miracles oder Miracle-plays). Die erstern schöpften den Stoff aus der Bibel; die letztern, die schon einen Schritt weiter in der Verweltlichung des geistlichen Schauspiels thaten, dramatisierten die Heiligenleben der Legenden. In England kam es nicht zu einer strengen Scheidung beider Gattungen, sondern man hat unter Miracles Spiele biblischen wie legendenhaften Inhalts zusammengefaßt. Vor dem normann. Einbruch ist in England eine Spur irgendwelchen Dramas nicht nachzuweisen. Die erste dramat. Aufführung, von der man Kunde hat, fand um 1110 in Dunstaple statt; zur Darstellung gelangte (ob lateinisch oder französisch, ist unbestimmt) Geoffreys, des Abts von St. Albans, "Ludus de S. Katharina". Wie Will. Fitz-Stephen berichtet, fanden noch bei Lebzeiten des Thomas a Becket oder doch kurz nach dessen Tode (1170) häufig religiöse Aufführungen in London statt und bald in allen großen Städten des Landes. Den besten Beweis für die Volkstümlichkeit der Miracles liefern die vier großen Sammlungen, die sich unter dem Namen der Townley oder Woodkirk- (32 Stücke), der York (48 Stücke), der Coventry- (42 Stücke) und der Chester-plays (24 Stücke) erhalten haben. Von Haus