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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Englische Litteratur

aus waren die Miracle-plays gänzlich in der Hand der Geistlichkeit, die ihnen ihre besondere Pflege angedeihen ließ, weil sie in ihnen das beste Mittel sah, religiöse Unterweisung in verständlicher Form in das Volk zu tragen. Im Laufe des 15. Jahrh. entwickelten sich aus den Teufeln und Engeln des Mysterienspiels allegorische Figuren, wie Geiz, Habsucht oder Gerechtigkeit, Friede u. a. So entstand die allegorische Moralität (Morality, Moral-play). Die Hauptfiguren in dem Moral-play sind die des "Devil" und des "Vice", von denen die erstere bereits in den franz. Mysterien anzutreffen ist, während man die letztere als Schöpfung des specifisch engl. Volkshumors anzusehen hat. Der "Vice" ist zum Prototyp des "Domestic fool" im spätern Drama geworden. Vgl. Ebert, im "Jahrbuch für roman. und engl. Litteratur", I; Ward, History of English dramatic literature, Bd. 1 (Lond. 1875); Marrick, Collection of English miracle-plays (Bas. 1838); Pollard, English miracle-plays, moralities and interludes. Specimens of the Pre-Elizabethan drama (Oxf. 1890).

Von der Morality zum eigentlichen Drama war nur ein Schritt: die allegorischen Figuren verwandelten sich in typische, die dann durch individuelle Charaktere ersetzt wurden. Diesen wichtigen Schritt that zuerst John Heywood (gest. 1565) in seinen "Interludes" ("The four P's" u. a.). Die Interludien mit ihrem breiten Humor und ihrer derben Charakterzeichnung wurden die Vorstufe zur eigentlichen Komödie, die anfänglich unter dem Einfluß der Renaissance in Nachbildungen Plautinischer und Terenzischer, später ital. Vorbilder auftrat, das Mirakelspiel und die Moralität gingen nach der andern Seite durch das Übergangsstadium der Chronicle history, d. i. des histor. Dramas, zur Tragödie weiter, die ihrerseits den Seneca zum Muster nahm. Durch die Vermischung komischer und tragischer Elemente entstand die Tragikomödie, und durch Nachahmung span. Vorbilder fand auch das Schäferspiel in England Eingang. Zur Zeit Heinrichs VIII. wurde ferner von Italien her das Maskenspiel eingeführt, allerdings stets nur zur Kurzweil des Hofs und der vornehmen Welt. Besonders gepflegt und weiter gebildet wurde die Maske von Ben Jonson. Selbstverständlich konnten aber die neuen Formen dramat. Dichtung die alten Miracle-plays und Moralities nicht sofort verdrängen; diese hielten sich vielmehr unter der andauernden Gunst des Publikums bis zum Schlusse des 16. Jahrh. auf der Bühne, und Spuren lassen sich sogar bis in den Beginn des 17. verfolgen. Die Moralitäten traten, besonders erst seit Eduard VI., auch sehr entschieden für den Protestantismus ein, unter Maria dagegen für den Katholicismus.

Als die älteste engl. Komödie pflegt man "Ralph Royster Doyster" zu nerennen, deren Verfasser, Nicolas Udall, zuerst in Eton, später an der Westminsterschule Lehrer war. Sie lehnt sich an den "Miles gloriosus" des Plautus an und muß vor 1551 geschrieben worden sein. Die erste Chronicle history dürfte Bischof Bales "King Johan" sein (um 1548). Als erste regelrechte Tragödie sieht man "Gorboduc or Ferrex and Porrex" (1562) von Thom. Sackville (Lord Buckhurst) und Thom. Norton an, worin auch zuerst der "blanc verse", d. i. der ungereimte fünffüßige Jambus zur Verwendung kam. 1571 erschien "Damon and Pithias" von Rich. Edwards (1523-66), die erste Tragikomödie.

Das Trauerspiel "Tancred and Gismunda", 1568 von den Studenten des Inner-Temple vor der Königin Elisabeth aufgeführt, war das erste nach einer ital. Novelle bearbeitete Stück, und Gascoignes "Supposes" (zuerst aufgeführt 1566) sind eine Übersetzung von Ariosts "I suppositi". In "Misogonus" von Thom. Rychardes (um 1560) trat zum erstenmal der obenerwähnte Domestic fool (Schalksnarr) auf, während in "Gammer Gurton's needle" (1575), angeblich von John Still, nachmaligem Bischof von Bath und Wells (gest. 1607), der echte Volkshumor sich geltend machte. Die dramat. Poesie stieg unter der Königin Elisabeth zu immer höherer Blüte. Im Wetteifer um Elisabeths Gunst dichtete Lyly (1554-1606), der Erfinder des "Euphuismus", und Peele (gest. um 1598). An Geschmack ihm nachstehend, an Kraft ihm aber überlegen, war Thom. Kyd (gest. um 1594), als selbständiger Dichter nur durch seine "Spanish tragedy" bekannt, die den zweiten Teil bildet zu "The first part of Jeronimo"; ob aber dieser erste Teil von Kyd herrührt, hat sich bis jetzt nicht feststellen lassen. Mehr Dichter ist Thom. Lodge (1558-1625), unter dessen Dramen "The wounds of civil war lively set forth in the true tragedies of Marius and Sylla" das nennenswerteste ist. Ein anderes Stück, an dem er mitarbeitete, "A looking glasse for London and England", führt über zu Rob. Greene (gest. 1592). Ein hervorragender Dramatiker dieser Zeit war auch Th. Nash (1565-1602). Alle vorher genannten aber überragte durch Kraft der Leidenschaft und Charakterzeichnung Christopher Marlowe (1564-93; "Tamburlaine", "Faustus" u. a.), der größte Vorgänger Shakespeares. Zu erwähnen sind noch Anthony Munday ("Sir John Oldcastle", früher Shakespeare zugeschrieben) und Henry Chettle, angeblich Verfasser von 38 Dramen (von denen indes nur 4 sich erhalten haben). Von vielen Dramatikern dieser fruchtbaren Zeit, wie Porter, Smith, Haughton, Hathaway, Anthony Brewer u. s. w., sind nur die Namen auf uns gekommen, und andererseits giebt es mehrere bemerkenswerte Stücke, deren Verfasser unbekannt geblieben sind, z. B. "Yorkshire tragedy", "Lord Cromwell", "Locrine" und "Arden of Feversham", die man Shakespeare zuschrieb; ferner "Merry devil of Edmonton" und "London prodigal". Aus dem Tagebuche Henslowes geht hervor, daß 1591-97 in London von vier Schauspielergesellschaften 110 verschiedene Stücke aufgeführt wurden, und da es deren zum wenigsten zehn gab, so kann man annehmen, daß die Menge des Verlorenen keine kleine ist.

Mit Edmund Spenser (1552-99), dem Dichter der "Fairy Queen", beginnt das goldene Zeitalter der E. L. Die Zahl der Lyriker, Schäferdichter, Satiriker, Romanschreiber, welche die Specialgeschichte der Elisabethanischen Zeit nennt, ist Legion. Die bedeutendsten sind: Michael Drayton ("Poly-Olbion", eine versifizierte topogr. Beschreibung Englands, und "Nymphidia, or, the court of faery"), Sir Walter Raleigh, der treffliche Liederdichter, die allegorischen Dichter Giles Fletcher und Phineas Fletcher, der derb-humoristische Volksdichter John Taylor, genannt der "Wasserdichter", die Satiriker und Sittenmaler John Donne und Joseph Hall; ferner Arthur Brooke ("Romeus and Juliet"), Richard Edwards ("Paradise of dainty devices"), Robert Southwell ("Saint-Peter's complaint"), Stephen Gosson ("The school of abuse"), Sir John