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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Englische Verfassung

sachen im Hundred Court bei Gelegenheit der von den normann. Königen eingeführten Rundreise des Sheriff (Sheriff’s tourn) verhandelt und teilweise gleich abgeurteilt, teilweise an das Grafschaftsgericht verwiesen. Jährlich einmal hielt der Sheriff im Verlaufe dieser Rundreise die view of frankpledge.

Während die Bedeutung der Township und des Hundred zur normann. Zeit abnimmt, erhält die Grafschaft erhöhte Bedeutung, weil sie das Mittelglied zwischen der selbständigen lokalen Verwaltung und der königl. Verwaltung bildet. Bei Gelegenheit des Besuchs der reisenden Richter sollen in der Grafschaftsversammlung erscheinen: die Prälaten und Großen des Landes und alle Ritter und Freisassen, außerdem vier freie Männer aus jeder Gemeinde mit dem Gemeindevorsteher und zwölf freie Männer aus jeder Stadt. Vom Erscheinen bei den gewöhnlichen monatlich stattfindenden Versammlungen sind indessen viele teils durch Privileg befreit, teils gewohnheitsmäßig abwesend; regelmäßig erscheinen nur die Gemeindevertreter und die Personen, die bei den gerade vorliegenden Angelegenheiten beteiligt sind. In diesen gewöhnlichen Versammlungen kommen außer den Prozessen (die seit Heinrich Ⅱ. vielfach bis zum Besuch der reisenden Richter vertagt werden mußten) Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor (Auflassungen, Beurkundung von Rechtsgeschäften u. s. w.), ferner Angelegenheiten der Verwaltung und der Polizei, Wahlen von Vertretern für verschiedene Zwecke u. s. w. An die Grafschaft als Einheit schließt sich das durch die normann. Könige eingeführte System des sog. inquest by oath, d. h. der Untersuchung über thatsächliche oder rechtliche Zustände durch beeidigte Vertreter. Dasselbe wird bereits 1085 angewandt für die Zwecke der Landesvermessung und Statistik (s. Domesday-book), später auch für die Verteilung der Steuern, schließlich für die Ermittelung der Thatsachen bei gewissen Prozessen, die von den reisenden Richtern verhandelt werden. Heinrich Ⅱ. wußte auf diese Art seine königl. Gerichtsbarkeit populär zu machen, da die Parteien das neue Verfahren der plumpen Methode des Zweikampfs vorzogen, die im Volksgericht vor dem Sheriff und den Freisassen angewandt wurde. Ebenso führte Heinrich Ⅱ. die sog. Jury of presentment ein, die Anklagejury, die verdächtige Personen vor den Sheriff zu bringen hatte. Wohl um dem Einflusse, den der König durch die reisenden Richter in den Grafschaften gewann, entgegenzuwirken, versuchte man zu wiederholten Malen die Ernennung der Sheriffs dem Könige zu entziehen; Eduard Ⅰ. gab 1300 durch die Articuli super Chartas der Grafschaftsversammlung das Recht der Wahl, doch wurde diese Vergünstigung, ebenso wie die gleiche von Eduard Ⅲ. 1338 bewilligte, bald wieder beseitigt. Hingegen wird bereits 1258 bestimmt, daß der Sheriff ein Freisasse der Grafschaft sein muß und nur auf ein Jahr wählbar ist. Der Sheriff verliert dadurch den Charakter eines königl. Beamten, und sein Amt gehört von da an zu den Einrichtungen der lokalen Selbstverwaltung, wenn er auch weiter vom Könige ernannt wird. Zu erwähnen ist noch, daß gewisse Gebiete aus der Grafschaft herausgerissen wurden, indem einzelnen besonders mächtigen Baronen daselbst das Recht der Gerichtsbarkeit und Verwaltung unter Befreiung von der Gerichtsfolge bei dem Grafschaftsgericht verliehen wurde. Diese Landesteile heißen Liberties oder Honors.

Eine große Rolle im Leben der Grafschaft spielt das Institut der Justices of the Peace (s. d.). Bereits im 13. (und sogar schon Ende des 12.) Jahrh. finden sich zeitweise sog. custodes oder conservatores pacis, angesehene Leute aus der Grafschaft, die, manchmal durch königl. Ernennung, manchmal durch Wahl in der Grafschaftsversammlung berufen, der Friedensbewahrung und Polizeiverwaltung ihrer Grafschaft vorzustehen hatten. Bei dem Regierungsantritt Eduards Ⅲ. (1327) werden wieder derartige Beamte ernannt, und dies geschieht zu wiederholten Malen während seiner Regierung, so z. B. in seinem 18. Regierungsjahre, wo den Friedensbewahrern auch die Bestrafung von Verbrechern übertragen wird. Als regelmäßiges Glied in den Organismus der Provinzialverwaltung tritt das Ehrenamt der Friedensbewahrer erst 1360. Das in diesem Jahre erlassene Gesetz enthält ausführliche Bestimmungen über ihre Ernennung und Befugnisse, die zum Teil noch heute in Kraft sind. Zwei Jahre später werden die vierteljährlichen Sitzungen eingeführt, die noch heute unter der Benennung Quarter Sessions als strafrechtliche Gerichtshöfe regelmäßig tagen (s. Justice of the Peace; über das Schuldig oder Nichtschuldig entscheidet die Jury, in den Städten tritt häufig ein Recorder [s. d.] an die Stelle der Friedensrichter). So entsteht das Institut der Friedensrichter (Justices of the Peace), wenn auch die jetzt eingebürgerte Benennung erst etwas später vorkommt. Im Zusammenhang mit ihren polizeilichen Befugnissen entwickeln sich verschiedene andere Obliegenheiten auf dem Gebiete der Verwaltung. Dahin gehört z. B. die Fürsorge für den Brückenbau und die Erhaltung der Brücken mit der Berechtigung, für diesen Zweck von den Einwohnern der Grafschaft Steuern zu erheben, die ihnen durch ein unter Heinrich Ⅷ. (1543) erlassenes Gesetz übertragen wird; ferner die durch das Gesetz der Königin Elisabeth (1601) eingeführte Aufsicht über das Armenwesen und die damit zusammenhängenden Befugnisse auf dem Gebiete der Besteuerung. Ebenso ermächtigt ein Gesetz Wilhelms Ⅲ. (1698) die Justices of the Peace, Gefängnisse zu bauen und zu diesem Zwecke Steuern der betreffenden Grafschaft aufzuerlegen. Als 1739 die Friedensrichter durch Gesetz ermächtigt werden, die für die verschiedenen genannten und einige andere Zwecke gesondert einzutreibenden Steuern zusammen in einer County Rate zu erheben, ist die Umwandlung vollendet. Die Justices of the Peace, in Quarter Sessions versammelt, sind nunmehr nicht allein strafrechtlicher Gerichtshof und Oberpolizeibehörde der Grafschaft, sondern auch ein Hauptglied im lokalen Verwaltungsorganismus. Daß die Tagungen der königl. Assisenrichter eigentlich Sitzungen der alten angelsächs. Grafschaftsversammlung waren, vergegenwärtigte man sich nicht mehr; ebensowenig daß die Wahl der Vertreter der Grafschaft für das Parlament oder der Coroners (s. d.) dem Namen nach in einer solchen Versammlung stattfand; aber in den Sitzungen der Quarter Sessions kam die Individualität der Grafschaft in augenscheinlicher Weise zur Geltung. So war an die Stelle der Versammlung sämtlicher Freisassen oder ihrer Vertreter das Kollegium der Justices getreten, gebildet aus angesehenen Grundbesitzern, die vom Könige ernannt wurden. Aus dem Verband der Grafschaft sind vielfach die Städte herausgerissen. Wie weit ihre selbständigen Berechtigungen gingen, hing früher