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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Europa (Staatliche Verhältnisse. Geschichte)

Protestantismus und Katholicismus eine Linie verfolgen von der untern Düna zum untern Niemen, obern Pregel, zur Netzemündung, obern Oder-Elbpforte zwischen Sachsen und Böhmen, zum obern Main, untern Rhein, nach der Scheldemündung, dem Pas-de-Calais, St. Georgskanal und zur Westküste von Island. Ausschließlich protestantisch ist nur Skandinavien und die german. Tiefebene, ausschließlich römisch-katholisch der Südwesten E.s. Neben diesen drei Hauptformen der christl. Religion (zu denen sich 90,1 Proz. bekennen) besteht zwar noch das Gemisch christl. Sektierer, der Mohammedanismus, das jüd. Glaubensbekenntnis und im äußersten Norden noch Heidentum; wie sehr aber die nichtchristl. Elemente zurücktreten, erhellt aus folgenden Zahlen: Von 327 Mill. Europäern im J. 1880 waren Römisch-Katholische etwa 156 Mill. (47,3 Proz.); Bekenner christl.-orient. Religionen 81510000 (24,71 Proz.), und zwar Griechisch-Katholische 80367000 (24,36 Proz.), griech.-orient. Sektierer 1019000 (0,31 Proz.), armenische Gregorianer 124000 (0,04 Proz.); Protestanten 79,33 Mill. (24,05 Proz.), und zwar Evangelische (Lutheraner, Reformierte, Unierte) 54,24 Mill. (16,44 Proz.), Anglikanische 18,88 Mill. (5,72 Proz.), Methodisten 3,51 Mill. (1,07 Proz.), andere prot. Konfessionen 2,7 Mill. (0,82 Proz.); Unitarier (Socinianer) 120000 (0,04 Proz.); Juden 5984000 (1,81 Proz.), und zwar 3 Mill. in Rußland, 1005394 in Österreich, 363790 in Deutschland; Mohammedaner 6445000 (1,95 Proz.); Heiden und ohne Konfession 447000 (0,1 Proz.). Mithin sind die Nichtchristen nur 3,86 Proz. der Gesamtbevölkerung E.s.

Staatliche Verhältnisse. Systematisch gruppiert verteilen sich die europ. Staaten folgendermaßen: 4 Kaiserreiche: Deutsches Reich (mit 4 Königreichen, 6 Großherzogtümern, 5 Herzogtümern, 7 Fürstentümern, 3 Freien Städten und 1 Reichsland), Österreich-Ungarn, Rußland, Türkei; 11 Königreiche: Großbritannien und Irland, Niederlande, Belgien, Schweden und Norwegen, Dänemark, Spanien, Portugal, Italien, Griechenland, Rumänien, Serbien; das Großherzogtum Luxemburg; 4 Fürstentümer: Liechtenstein, Monaco, Bulgarien, Montenegro; 4 Republiken: Frankreich, die Schweiz, Andorra, San Marino. Als Großmächte werden betrachtet das Deutsche Reich, Rußland, Großbritannien, Österreich-Ungarn, Frankreich und Italien. (Hierzu: Politische Übersichtskarte von Europa.) Auswärtige Besitzungen europ. Staaten s. Kolonien (mit Übersichtskarte der Kolonien europäischer Staaten). Über Heeresverhältnisse s. Heerwesen Europas (mit Karte: Militärdislokation in Centraleuropa).

Geschichte. Nachdem E. seine Bevölkerung von Osten her erhalten hatte, ward seine Geschichte auf glänzende Weise eröffnet durch den Stamm der Hellenen, die Gründer der Macht und der Civilisation Griechenlands. Im Wetteifer mit den Phöniziern suchten sich die Griechen im ganzen Bereiche des Mittelmeers auszubreiten; aber dem Höhepunkte ihrer Blüte um 400 v. Chr. folgte bald die Zertrümmerung ihrer Freiheit durch Alexanders d. Gr. Begründung des großen macedon. Reichs (336 v. Chr.). Während Alexander das südl. Osteuropa mit den Geschicken seiner Herrschaft in Asien verflocht, waren die Römer in Italien mit Ausdehnung und Befestigung ihrer kriegerischen Macht beschäftigt und durch die Entwaffnung Karthagos zur Oberherrschaft in Südeuropa gelangt. Sie erweiterten durch ihre Legionen den Horizont europ. Geschichte über das Becken des Mittelmeers und dehnten das Reich unter Augustus um 30 v. Chr. aus vom Atlantischen Meer bis zum Euphrat und vom Rhein und der Donau bis zu den Wüsten Afrikas. (S. die Karte: Das Römische Reich in seiner größten Ausdehnung, beim Artikel Rom und Römisches Reich.) Während unter der Herrschaft der röm. Imperatoren mehrere barbarische Provinzen des Reichs, wie Gallien, der Civilisation gewonnen wurden und auch die christl. Religion in allen Teilen zahlreiche Anhänger, seit Konstantin d. Gr. staatliche Anerkennung und Macht gewann, zeigte sich doch, daß der röm. Staat und die röm. Gesellschaft dem Untergang verfallen waren. Der Druck des Despotismus hatte die Kraft des Volks erschöpft und zerstört. Zur Bildung neuer Ordnungen in Staat und Gesellschaft bedürfte es der noch ungebrochenen Kraft frischer Stämme, und diese fand sich in den germanischen. Der Einfall der Hunnen von Asien aus um 375 n. Chr. gab der sog. Völkerwanderung (s. d.) einen neuen Anstoß, der röm. Staat konnte dem Andrange der mächtigen Völkerstämme nicht widerstehen, und das Weströmische Reich ward 470 gestürzt, während das morgenländische mit der neuen Residenz Konstantinopel noch 1000 Jahre lang ein kümmerliches Leben fristete. Auf den Trümmern des Weströmischen Reichs breiteten sich german. Herrschaften aus und gelangten im 6. Jahrh. zu ihrer größten Ausdehnung. Am hervorragendsten war das Reich der Ostgoten in Italien und nordöstlich bis zur Donau, an deren linkem Ufer damals die Langobarden und die Gepiden Sitze gewannen, dann das Reich der Westgoten über fast ganz Spanien und Südwestfrankreich; neben ihnen standen das suevische Reich in Nordwestspanien, die Reiche der Franken und Burgunder, jenseit des Mittelmeers in Nordafrika das Reich der Vandalen. (S. Historische Karten von Europa I, 1.) Während sich im Westen E.s die Völkerbewegungen allmählich beruhigten und hier und da eine Festsetzung begann, deren Grundzüge noch durch das heutige Staatenbild hindurchschimmern, dauerte das Drängen und Wogen mächtiger Völkerstämme im Osten fort. Die Hunnen zogen sich zwar nach Attilas Tode wieder in die pontisch-kaspischen Steppen zurück, aber türk. Völkerstämme drängten über den Ural bis zum Don und schoben die Avaren immer weiter westlich; die Bulgaren besetzten die Nordostgrenzen des Oströmischen Reichs, die Slawen erfüllten die Hämushalbinsel und schritten zugleich bis in die Mitte Deutschlands vor. Um dieselbe Zeit verloren die West- und Ostgoten ihre selbständige Stellung; in Spanien zog ein neues, für die Civilisation einflußreiches Element mit den Arabern und der Gründung des Chalifats Cordoba ein.

Die nächste Periode der europ. Staatenentwicklung fällt in das Zeitalter Karls d. Gr. Er vereinte fast alle Romanen und Germanen in seinem Frankenreiche, aus dem die unter seinen Enkeln entstehenden Einzelstaaten die gemeinschaftlichen Grundzüge der Kultur und Verfassung mitnahmen. (S. Historische Karten von Deutschland I, 1, Bd. 5, S. 170.) Dann wurden die Normannen im Norden mächtiger und versuchten sich in abenteuerlichen Eroberungszügen bis zum Süden E.s, und aus der sog. Heptarchie der Angelsachsen ward allmählich