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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frankreich (Geschichte 987-1328)

Einfältige als alleiniger König anerkannt, und nach dem Aussterben des karoling. Geschlechts in Deutschland mit Ludwig dem Kinde (911) fielen ihm auch die Lothringer zu. Er suchte sich nun in den Normannen, die sich schon 876 zu Rouen festgesetzt hatten, eine Stütze zu schaffen, indem er ihrem Heerführer Rollo 912 das Land von der Eure bis zum Meere, die nachherige Normandie, als erbliches Herzogtum und franz. Kronlehn, die Bretagne als Afterlehn verlieh. Angeblich weil Karl seinen habsüchtigen Günstling Hagano nicht entfernen wollte, erhob sich 922 sein alter Nebenbuhler Graf Robert, der Bruder Odos, von Graf Herbert unterstützt, als Gegenkönig. Karl wurde 923 in einer Schlacht bei Soissons, in der übrigens der Gegenkönig fiel, von den Empörern besiegt, mehrere Jahre gefangen gehalten und starb 929. Lothringen ging an Heinrich I. von Deutschland verloren. Die Witwe Karls floh mit ihrem Sohne Ludwig nach England. Herzog Rudolf von Burgund, der Schwiegersohn Roberts, erhielt nun die franz. Krone und wußte sich gegen die Großen bis zu seinem Tode 936 zu behaupten. Nach einem Interregnum von 5 Monaten brachten endlich Graf Hugo d. Gr., Herzog von Francien, der Sohn Roberts, und Wilhelm von der Normandie den Sohn Karls des Einfältigen, Ludwig IV., genannt d'Outremer (d. h. der Überseeische), auf den Thron. Seine Regierung war aber ein fortgesetzter Krieg mit Hugo d. Gr. und Richard von der Normandie, dem er das Land nehmen wollte. Er starb 954. Von seinen Söhnen Lothar und Karl wurde der erstere unter Hugos Vormundschaft zum Könige von F. erhoben. Er besaß nur noch seine Residenz, die Stadt Laon, zu eigen. Sein Bruder Karl hatte von Kaiser Otto II. Niederlothringen zu Lehn genommen. Um einen Erfolg nach außen zu erlangen, überfiel Lothar den Kaiser 978 in Aachen; aber Otto II. sammelte sogleich ein Heer und drang bis Paris vor, das von Hugo Capet, dem Sohne Hugos d. Gr., erfolgreich verteidigt wurde. 980 mußte Lothar allen Ansprüchen auf Lothringen entsagen. Er starb 986, und ein Jahr später sein junger Sohn Ludwig V., le Fainéant (der Faule). Mit ihm starb die Dynastie der Karolinger aus. Die Nachfolger Karls d. Gr. waren immer unfähiger geworden, die Staatseinheit aufrecht zu erhalten. Im 9. Jahrh. hatte die Kirche versucht, an ihre Stelle zu treten; und in ihrer Theokratie lag in der That das einzige einigende Moment. Aber der gallische Klerus wurde sehr bald dem röm. Papste dienstbar. Der Erzbischof Hinkmar von Reims (gest. 882) war wohl der letzte bedeutende Kirchenfürst, der für die Reichseinheit wirkte; dann begann der Klerus mit den Laienfürsten das erbliche Königtum zu erschüttern und eine Wahlmonarchie anzustreben. In der Bevölkerung hatte sich ein tiefer Gegensatz zwischen dem Norden, wo die Franken von großem Einfluß gewesen waren, und dem Süden, wo sich der gallo-roman. Charakter viel reiner erhalten hatte, in Sprache, Sitte und Recht herausgebildet; dieser Unterschied blieb bestehen und wurde für die weitere Entwicklung von der größten Wichtigkeit. Als ein neues Element kamen die skandinav. Normannen hinzu, die seit Anfang des 10. Jahrh. an der untern Seine seßhaft und christianisiert, bald begeisterte Vorkämpfer der neuen franz. Kultur wurden.

2) Unter den Kapetingern (987-1328). Als Ludwig V. starb, war nur noch ein Karolinger, sein Oheim Karl von Niederlothringen, übrig. Dieser aber wurde als Vasall des deutschen Kaisers übergangen und auf Betreiben des einflußreichen Erzbischofs Adalbero von Reims Hugo Capet, der Sohn Hugos d. Gr., zum König gewählt (3. Juli 987). Trotzdem aber hierbei das Erbrecht verletzt wurde, wurde doch kein Wahlreich begründet, sondern dem neuen König sogleich sein Sohn als Nachfolger an die Seite gestellt und somit das Erbkönigtum beibehalten. Dennoch mußte Hugo Capet, obwohl es ihm gelang, Karl von Lothringen gefangen zu nehmen, bald einsehen, daß sich seine Macht durch den Gewinn der Krone eher vermindert hatte. Der Süden (Aquitanien) fiel von ihm ab; auch im Norden hatte er mit den unruhigen Großen zu kämpfen, gegen die er sich nur durch Nachgiebigkeit halten konnte. Denn jene Barone, die früher die gehorsamen Vasallen der Herzöge von Francien gewesen waren, fühlten sich jetzt als unmittelbare Lehnsträger der Krone; diese aber hatte in ihrer Hausmacht (Paris und das Gebiet der mittlern Seine, Noyon, Beauvais, Laon, Reims, Orléans, Bourges) einen geringen Rückhalt. Dazu kam die Schwäche der Nachfolger Capets (gest. 996), die sich ebenso wie die letzten Karolinger als wenig bedeutende Herrscher zeigten.

Robert der Weise (996-1031), mehr Mönch und Dichter als König, regierte friedlich, hatte aber im eigenen Hause durch die Herrschsucht seiner zweiten Gemahlin Konstanze zu leiden. Heinrich I. (1031-60) konnte gegen die Unbotmäßigkeit der Großen nichts ausrichten, noch weniger sich gegen den deutschen Kaiser Heinrich III. behaupten, der ganz Lothringen erwarb. Philipp I. (1060-1108) war zwar anfangs ehrgeizig und rührig im Kampfe gegen die trotzigen Vasallen, aber ränkevoll und daher unbeliebt; er lebte in offener Bigamie und verfiel bald in träge Schlaffheit; er verfeindete sich mit dem mächtig aufstrebenden Papsttum durch seinen unsittlichen Lebenswandel und seinen Widerstand gegen die kirchliche Richtung von Cluny (s. d.). Zwei großen Ereignissen, die unter seiner Regierung von F. ausgingen: der Eroberung Englands durch Wilhelm von der Normandie (1066) und dem ersten Kreuzzuge (1096) stand er teilnahmlos gegenüber. Mit seinem Sohne Ludwig VI., der in Wahrheit seit 1100 schon regierte, indem ihn der Vater zum Mitregenten gemacht hatte, beginnt für F. eine neue Zeit.

Das erste Jahrhundert der Kapetingerherrschaft zeigt F. nun ganz durchdrungen von den gesellschaftlichen Ordnungen des Lehnswesens. Die Gemeinfreiheit ist immer mehr im Schwinden und mit ihr der Heerbann, den der König früher berief und der jetzt fast ganz an den bewaffneten Dienst der Großen und ihrer Lehnsträger gebunden ist. Die Macht der großen Vasallen, der Herzöge von Burgund, Normandie, Aquitanien, Flandern, Vermandois u. s. w., war bedeutender als die des Königs; er stand unter ihnen nur als primus inter pares (Erster unter Gleichen) und hatte es nur ihrer Eifersucht untereinander zu danken, daß sie sich nicht gegen ihn verbanden. Und dennoch erhielten sich während dieser Ohnmacht des Königtums Keime zu künftiger Stärke. Der König ist oberster Lehnsherr, Wächter über die Lehnsordnung, die alle staatlichen Verhältnisse regelt, er ist der Gesalbte des Herrn, dem die Großen huldigen, hat also immer ein moralisches Übergewicht. Es kam sogar der Brauch auf, daß der König seinen Erstgeborenen zum Mit-^[folgende Seite]