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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Französische Litteratur

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Französische Litteratur (Neufranzösische Periode 1750-90)

Fühlung zur lebendigen Wirklichkeit bleiben muß. Destouches (1680-1754) nimmt seine Anregungen von La Bruyère und schließt sich an Molière und Regnard in der Darstellung von Charaktertypen an ("Le philosophe marié", 1727, "Le glorieux", 1732), verfolgt dabei aber doch schon unmittelbare moralische Wirkung, während Marivaux (1688-1763) in seinen hervorragendsten Stücken ("Les fausses confidences", 1737; "Le jeu de l'amour", 1730) sich in vertiefter Darstellung zarter Herzensbedenken und Gemütsregungen an feinempfindende Hörer wendet. Die Komödie, die nicht mehr erheitern, sondern nur rühren und bessern will, kommt durch La Chaussée (1692-1754) auf, den Schöpfer der comédie larmoyante ("Le préjugé à la mode", 1735, "Mélanide", 1741), die auf den Vers und romanhafte Motive noch nicht verzichtet, aber durch ihren Ernst und ihre moralische Gesinnung die Vorläuferin des bürgerlichen Dramas wird. Auch Voltaire versucht sich im Rührstück ("Nanine", 1749), während Piron ("Métromanie", 1738) und Gresset ("Le méchant, 1747) der alten Überlieferung der heitern Charakterkomödie treu bleiben. Unter den zahlreichen Romanen des Zeitalters dienen die leichtfertigen, aber eleganten Erzählungen des jüngern Crébillon ("Le sopha", 1745) mit ihren frivolen Liebesabenteuern und märchenhaften Begebenheiten dem oberflächlichen Unterhaltungsbedürfnis, während zu gleicher Zeit der Familien- und Herzensroman ins Dasein tritt in der mit moralischen Absichten gegebenen Darstellung einfacher Herzensgeschichten und Lebensgeschicke aus der bürgerlichen Gesellschaft. Prévosts "Manon Lescaut" (1733), Marivaux' "Marianne" (1731-42) und "Paysan parvenu" (1735) sind Werke von hervorragender Bedeutung.

Das wichtigste Mittel, um den Ideen der Aufklärung Vorschub zu leisten und von den Fesseln der in Kirche und Staat überlieferten Autorität zu befreien, wurde die Prosa, der man in Briefen, Abhandlungen, Geschichtswerken, Flugschriften eine unterhaltende, witzige, anregende und gemeinverständliche Form gab, um so die Möglichkeit zu gewinnen, das große Publikum für die Behandlung staatsrechtlicher, geschichtlicher, religiöser und moralischer Fragen zu interessieren. Voltaires erstes geschichtliches Werk ("Charles XII", 1731) fällt in diese Zeit, ebenso seine philos. Briefe ("Lettres sur les Anglais", 1734), die "Éléments de la philosophie de Newton" (1738) und Montesquieus für die Auffassung der Aufgaben der Geschichte und des Staates epochemachenden Werke "Considérations sur les causes de la grandeur et de la décadence des Romains" (1734) und "De l'esprit des lois" (1748).

7) Von der Mitte des 18. Jahrh. bis zur Revolution (1750-90). Rücksichtsloser, selbstbewußter äußert sich der Geist der Aufklärung und das Streben, den Fortschritt der Menschheit zu befördern, seit Beginn der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in den zahlreichen Tendenzdichtungen und sonstigen litterar. Werken Voltaires, Diderots und ihrer Kampf- und Gesinnungsgenossen. Die Aufklärung der Philosophen durchdringt die populärwissenschaftlichen Werke, die Romane, Lehrgedichte, Theaterstücke und geschichtlichen Darstellungen. In ihrem Sinne wird von Diderot und d'Alembert mit der Unterstützung zahlreicher Mitarbeiter jenes große Werk begonnen, das unter dem Namen "Encyclopédie" (28 Bde., 1751-72) das gesamte Wissen der Menschheit leicht zugänglich machen und der Aufklärung die vom Rost der Gelehrsamkeit befreiten Angriffs- und Verteidigungswaffen unmittelbar zur Verfügung stellen wollte. Auch verliert die Litteratur allmählich ihren höfisch-aristokratischen und exklusiven Charakter; statt des Hofs üben neben einzelnen Autoren die litterar. Salons, wie der von Madame Geoffrin, Mlle. de Lespinasse, Madame Du-Dessand und Baron Holbach maßgebenden Einfluß auf Richtung und Ansehen der Litteratur, auf einzelne ihrer Gattungen und Autoren aus.

Den entschiedensten und allgemeinsten Einfluß auf Frankreichs Litteratur und die Geistesrichtung des ganzen Zeitalters hatte Voltaire, der, von größter Universalität in Wissen und Leistungen, bei einem Charakter voll Widersprüche, durch die in ihm am sichtbarsten gewordene furchtbare Gewalt des Wortes über Weltansichten und gesellschaftliche Verhältnisse eine fast beispiellose Macht ausübte. Er war Parteihaupt der franz. Philosophen ("Dictionnaire philosophique", 1764), galt in der Litteratur für den gewichtigsten Wortführer und hielt sich für berufen, den Gesamtwillen der geistig Mündigen in Europa zu vertreten. Mit Voltaire und den Encyklopädisten stritt Rousseau (1712-78) wider Unduldsamkeit und geistige Bevormundung; aber er wurde ihr Gegner, als er sich der Rechte des Gemüts gegen die Verstandesaufklärung annahm, als er das im menschlichen Gefühl wurzelnde religiöse Bewußtsein als die Grundlage der Sittlichkeit hinstellte, als er zum Anwalt des durch die Kultur von seiner natürlichen Basis abgedrängten edlen Menschenwürde, als er in seinen Herzens-, Staats- und Erziehungsromanen ("La nouvelle Héloïse", 1761, "Contrat social", "Émile", 1762) Grundsätze und Lehren verkündete, die in der Gesellschaft, im Staate und in der Familie die Menschheit zu naturgemäßern und darum reinern, einfachern und glücklichern Zuständen zurückbringen sollten.

Durch Voltaires geschichtliche Werke ("Siècle de Louis XIV", 2 Bde., 1751; "Essai sur les m?urs et sur l'esprit des nations", 7 Bde., 1756) wurde die Geschichtsforschung und Geschichtschreibung bedeutend vertieft, und was Geschichte der Menschheit und Philosophie der Geschichte genannt wird, verdankt ihm und seinem Vorgänger Montesquieu, sieht man von Bossuets "Discours sur l'histoire universelle" ab, sein Entstehen. Einen ersten Versuch einer Geschichte der Civilisation gab Condorcet (1743-94) in seinem "Esquisse d'un tableau de l'esprit humain". Unleugbar freilich hat der sogenannte philos. Geist der geschichtlichen Wahrheit bedeutend geschadet. Einer der gelehrtesten Historiker des 18. Jahrh. ist Gabr. Bonnet de Mably (1709-85); nächstdem sind zu erwähnen Jean Jacq. Barthélemy (1716-95), der Verfasser der "Voyage du jeune Anacharsis" (1788), und Guill. Thom. Raynal (1713-96), Verfasser einer philos.-polit. Geschichte der europ. Niederlassungen in den beiden Indien. Die Memoiren dieser Zeit sind zahllos. Der talentvollste Nachfolger La Bruyères war im 18. Jahrh. der sittlich-strenge, freimütige Charles Pinot Duclos (1704-72), der wohlgetroffene, etwas überladene Charakterzeichnungen lieferte. Durch humoristische Zeitgemälde machte sich Louis Sebast. Mercier (1740-1814) berühmt; Franç. Vinc. Toussaint (1715-72) schrieb anziehende Sittenschilderungen. Eupaty (1746-88) machte sich durch seine Bemühungen um Verbesserung der franz. Kriminalrechtspflege verdienter als durch seine