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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frauenvereine
Als in den fünfziger und sechziger Jahren dieses Jahrhunderts im Mittelstande die Frauenbewegung sich zu entwickeln begann, richtete sie sich in erster Linie auf die Förderung des Frauenerwerbs. So entstand 1860 die Londoner Gesellschaft zur Hebung der Frauenarbeit. Hn Paris wurde bald danach ein Verein mit gleichen Zielen gegründet. In Deutschland rief man auf Veranlassung des Präsidenten Lette (s. d.) einen Verein zur Förderung der Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts, der später den Namen Lette-Verein erhielt, ins Leben. Der Verein erfreut sich einer hohen Blüte. Er besitzt gegenwärtig eine Handels-, Gewerbe-, Zeichen- und Modellierschule, eine photogr. Lehranstalt, eine Setzerinnenschule, ein Kunsthandwerkatelier, Restauration und Kochschule, eine Haushaltungsschule, eine Waschanstalt und Wasch- und Plättlehranstalt, den Victoriabazar und das Victoriastift, endlich noch ein Arbeitsnachweisungs- und Stellenvermittelungsbureau. Aus dem Verein haben sich im Laufe der Zeit eine Anzahl selbständiger Institute abgezweigt. An andern Orten bildeten sich ähnliche Vereine, die sich 1869 zu dem "Verbände Deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine" unter dem Vorsitze des Lette-Vereins zusammenschlössen. Das Organ dieser Vereinigung ist der "Frauenanwalt". 1865 wurde der "Allgemeine Deutsche Frauenverein" mit verwandten Zielen gegründet. Er bildet den Vereinigungspunkt einer großen Anzahl von Lokalvereinen; sein Organ sind die "Neuen Bahnen". Beide Verbände halten jährlich abwechselnd allgemeine Wanderversammlungen ab. Zu ihnen hat sich neuerdings der "Frauenbildungsverein Reform", mit Sitz in Hannover (früher in Weimar), gesellt, der zunächst ausschließlich für die Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium wirken will. Er giebt als Organ den "Frauenberuf" heraus. Ostern 1893 errichtete er in Karlsruhe das erste Mädchengymnasium. Am 29. März 1894 konstituierte sich in Berlin ein allgemeiner "Bund deutscher F.", der April 1895 in München tagte. Nach dem Muster des Lette-Vereins wurde in Wien der Frauenerwerbverein geschaffen, dann ähnliche Vereine in andern österr. Städten. Bescheidenere Ziele verfolgen die Hausfrauenvereine (s. d.), wie sie hier und da in größern Städten entstanden sind. (S. auch Lehrerinnen, Lehrervereine und Mädchenheime.)
Die Ausbreitung der Arbeiterbewegung hat unter den Arbeiterinnen ähnliche Organisationen behufs Erringung höherer Löhne und Regelung der sonstigen Arbeitsbedingungen, vielfach in Verbindung mit Versicherungszwecken, hervorgerufen, wie sie die männliche Arbeiterschaft besitzt (s. Gewerkvereine). Seit den siebziger Jahren bestehen solche Frauengewerkvereine vereinzelt in den Vereinigten Staaten. Mehrere wurden in der austral. Kolonie Victoria in den achtziger Jahren ins Leben gerufen. In England vermehren und verbreiten sie sich nach schwachen Anläufen in den siebziger Jahren zusehends, nachdem die Gewerkvereine der Arbeiter ihre frühere Abneigung gegen sie haben fallen lassen und auf dem Gewerkvereinskongreß von Dundee vom J. 1889 sich für die Organisation der weiblichen Arbeit ausgesprochen und ihnen ihre Unterstützung zugesichert haben. Dieser Beschluß ist durch die Erwägung veranlaßt, daß eine Verbesserung der für die Frauen geltenden Arbeitsbedingungen die Konkurrenz der Frauenarbeit den Männern minder gefährlich mache. Für die Begründung von Frauengewerkvereinen ist Lady Dilke seit Jahren unermüdlich thätig; neben ihr in ähnlicher Weise die TTTTT. In London wirkt mit Erfolg unter den hauptstädtischen Arbeiterinnen, deren Lage eine besonders gedrückte ist, eine andere Gesellschaft, die Women’s Trades Association.
Wo die polit. Bewegung lebhaft sich entwickelt hat, pflegt auch sie sich auf ein kräftiges Vereinsleben zu stützen. In den Vereinigten Staaten, wo die Bewegung im Anschluß an die Antisklavereiagitation entstand, hatte die Gründung ständiger Vereine ihre Vorläufer in Frauenkongressen. Der erste Frauenkongreß fand 1848 statt, der erste Kongreß, der ausschließlich dem Wahlrecht galt (National Woman Suffrage Convention) 1850. 1869 bildeten sich zwei große Vereine: die jährlich in Washington tagende National Woman Suffrage Association mit der Zeitschrift The Revolution und die in Wanderversammlungen wirkende American Suffrage Association mit der Zeitschrift Woman’s Journal. 1890 wurden beide zu der National American Woman Suffrage Association verschmolzen. In England bestehen ebenfalls zahlreiche Vereine für das Frauenstimmrecht. Ihre Führung ruht bei der 1867 gegründeten National Society for Woman Suffrage, deren erster Präsident J. St. Mill war. Die Bestrebungen beschränken ihr Ziel auf Erringung des Stimmrechts für selbständige Frauen. Auf dem Kontinent tritt diese Vereinsbewegung nur schwächlich auf. In Deutschland und Österreich fehlt sie gänzlich. In der Organisation hat die Frauenbewegung teilweise die nationalen Grenzen überschritten. 1868 wurde in Genf die Ligue internationale äes femmes gegründet. In Paris tagte 1889 ein internationaler Frauenkongreß. Auch besteht dort seit einiger Zeit eine Union universelle des femmes mit dem Zwecke, zur Hebung der gedrückten Lage der Frau beizutragen, und mit dem Plane, zur bessern Erfüllung dieses Zweckes alle Vereine mit ähnlicher Tendenz zu verbinden.
Neben diesen Vereinen giebt es andere, die sich philanthropische Aufgaben gestellt haben. Unter diesen besitzen die Vereine vom "Roten Kreuz" eine alles überragende Bedeutung. Ihre Hauptaufgabe haben sie in Kriegszeiten durch Beistellung geschulter Kräfte für die Pflege der Verwundeten und Kranken u. s. w. zu erfüllen. Außerdem entfalten sie im Frieden eine mannigfaltige Thätigkeit in den verschiedensten Richtungen der Wohlthätigkeitspflege. Sie widmen sich der Armen- und Krankenpflege, der Kinderfürsorge, der praktischen Unterweisung und Fortbildung junger Mädchen in Schulen verschiedenster Gattung, der Bekämpfung von Notständen aller Art auf den: Wege zweckmäßig geübter Wohlthätigkeit. Der größte unter ihnen ist der Vaterländische Verein für Preußen (s. Vaterländischer Frauenverein). Ihm schließen sich andere Vereine in andern deutschen Staaten an: der sächs. Albertverein (s. d.), der Hess. Alice-Frauenverein (s. d.), der bayr. Frauenverein, der württemb. Wohlthätigkeitsverein, der bad. Frauenverein, der Marien-Verein von Schwerin, das Patriotische Institut der F. für das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach.
Eine einzig dastehende Bewegung hat sich in den Vereinigten Staaten entfaltet. Sie knüpft sich an die Woman’s Christian Temperance Union (Christlicher Mäßigkeits-Frauenverein). 1873 von 50 Frauen infolge einer ergreifenden Rede eines Dr. Lews aus Boston gegründet, wuchs der Verein als-^[folgende Seite]