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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gartenbau

und deren Varietäten befaßt, ist das Gebiet des G. in dieser Beziehung unendlich vielseitiger; es umfaßt Nutz- und Zierpflanzen aller Zonen, von denen die aus tropischen Gebieten in künstlich erwärmten Räumen (Gewächshäusern, Mistbeeten u. s. w.) dauernd oder während des Winters kultiviert werden müssen. Infolge dieser Vielseitigkeit hat sich schon seit längerer Zeit die Notwendigkeit der Teilung des G. in verschiedene Betriebszweige herausgestellt. Diese sind: der Gemüsebau (s. d.) mit der Gemüsetreiberei; der Obstbau (s. d.) und die Obsttreiberei (s. Treiben der Pflanzen); die Obstbaum- und Gehölzzucht (s. Obstbaumzucht) oder der Baumschulbetrieb mit der als besondere Specialität betriebenen Rosenzucht; der Samenbau (s. d.), der sich mit der Anzucht von Nutz- und Zierpflanzensamen befaßt; die Pflanzen- und Blumenzucht, die sich mit der Kultur aller Zierpflanzen des freien Landes (Freilandpflanzen) und der Gewächshäuser (Topfpflanzen) und deren Treiberei im Winter befaßt, sowie die Landschaftsgärtnerei oder Gartenkunst (s. d.), die sich mit der Anlage und Unterhaltung der Gärten, besonders der landschaftlich gehaltenen Gärten, Schmuckplätze beschäftigt, und die Binderei (s. d.), die die Anfertigung der verschiedenen Blumenarrangements besorgt. – Der Einteilung der Gärten entsprechend, zerfällt der G. auch in Nutz-, Zier- und wissenschaftliche Gärtnerei.

In den ältesten geschichtlichen Zeiten sind zuerst die dem Menschen zur Nahrung dienenden Obst- und Gemüsearten und erst später Zierpflanzen angebaut worden. Als die Wiege des G. kann Ägypten angesehen werden, denn der auch schon in ältester Zeit in China und Japan zu hoher Entwicklung gelangte G. hat erst seit Anfang des vorigen Jahrhunderts (Einführung der Kamelie 1730) auf die Entwicklung des europäischen G. Einfluß ausgeübt.

Unter der Herrschaft der Pharaonen wurde der Anbau des Landes mit Garten – und Feldfrüchten nach strengen, gesetzlichen Vorschriften geregelt und besonders in der mosaischen Zeit großartige Wasserleitungsanlagen zur Berieselung des Nilthals ausgeführt und dasselbe dadurch gewissermaßen in einen großen Nutzgarten verwandelt. Die Beherrscher des Landes umgaben außerdem ihre Wohnungen mit Ziergärten, in denen sogar schon Blumenbeete in Arabeskenform unterhalten wurden. Von Gemüse baute man mit Vorliebe besonders Rettiche, Zwiebeln, Lauch, Wassermelonen und Gurken an; von Obst: Feigen, Datteln, Granatäpfel und Wein. Mit dem Niedergang des ägypt. Staates, von 500 v. Chr. ab, ging auch der G. zurück. Von da ab waren die Griechen die bedeutendsten Förderer des G. Sie kultivierten schon die meisten unserer heutigen Gemüse, wenn auch sicher in andern, den Stammarten viel näher stehenden Formen. Von Obst wurden Äpfel, Birnen, Feigen, Granatäpfel, Oliven und Weintrauben gezogen. Nach Unterjochung der Griechen durch die Römer waren diese die wichtigsten Förderer des G. und namentlich die Verbreiter desselben in die von ihnen nördlich und westlich belegenen eroberten Länder und besonders auch nach Süd- und Mitteldeutschland. Bei dem großen Luxus der Römer fand außer den für die Tafel bestimmten feinen Gartenfrüchten besonders die Ziergärtnerei eine wesentliche Förderung und Ausbildung. Die Gärten wurden bereits gesondert in Gemüse-, Obst-, Blumen- und andere Ziergärten. In diesen schnitt man aus Bäumen und Sträuchern künstliche Figuren aller Art und besonders Hecken. In Deutschland fand der G. in Karl d. Gr. den ersten hervorragendsten Förderer. Durch die Kreuzzüge wurden viel Zier- und Nutzpflanzen nach Deutschland eingeführt. Hier waren die Klöster die wichtigsten dauernden Förderungsstätten für den G., da das Aufblühen desselben infolge der vielen Kriege, der polit. Zerrissenheit und Ohnmacht der Staaten an andern Stellen vielfach verhindert war. In Preußen verdankt der G. dem Großen Kurfürsten die wesentlichste Förderung dadurch, daß derselbe ihn selbst gepflegt und durch viele neu eingeführte Pflanzen bereichert hat, hauptsächlich aber durch die Aufnahme der aus Frankreich vertriebenen Hugenotten, unter denen sich viele Gärtner befanden. Diese führten die zur damaligen Zeit in Frankreich viel höhere Kultur des G. in gleicher Weise hier besonders in Berlin ein. Außerdem ist der G. durch andere Herrscher in Preußen, Sachsen, Hannover, Bayern, Württemberg, Baden und Nassau und viele fürstl. Familien dauernd gefördert worden. Durch die Hebung des Nationalwohlstandes in Deutschland hat auch der G., namentlich Handelsgärtnerei und Binderei, einen hervorragenden Aufschwung genommen.

Ein Vergleich der verschiedenen Zweige des G. in den wichtigsten europ. Staaten ergiebt, daß England und Belgien in der Topfpflanzenkultur den ersten Rang einnehmen; Frankreich noch immer in der feinern Obst- und Gemüsezucht sowie in der Obstbaum-, Gehölz- und Rosenzucht obenan steht; Holland in der durch örtliche Verhältnisse begünstigten Kultur der Blumenzwiebeln unerreicht ist und auch in der Anzucht von Koniferen und andern immergrünen Gehölzen Bedeutendes leistet, und Deutschland den ausgedehntesten Samenbau und die größten Marktpflanzenkulturen besitzt. Die Hauptsitze dieser Kulturen sind für Samenbau Quedlinburg und Erfurt, für Topfpflanzen Dresden, Leipzig, Hamburg und Berlin. In letzterm Orte wird außer Markt- und Handelspflanzenkultur und hochentwickelter Binderei auch noch die Kultur der Blumenzwiebeln (s. d.) und Maiblumen betrieben. Die hervorragendsten Betriebe der Nutzgärtnerei in Deutschland s. unter Gemüsebau und Obstbau. Hauptsitze des G. im Auslande sind in England London; in Belgien Gent, Brüssel und Brügge; in Holland Haarlem für Blumenzwiebeln und Boskoop für Baumschulbetrieb, besonders Koniferenzucht; in Frankreich Paris, Orléans und Angers; ferner die Riviera bis ins ital. Gebiet; in Österreich Wien, Budapest und Prag; in Dänemark Kopenhagen, besonders für Blumenkohl und andere Kohlarten. Der G. wird durch die vielen Gartenbauvereine (s. d.), die in allen größern und vielen kleinen Städten bestehen, durch Gartenbauschulen (s. d.) und Gartenbau-Ausstellungen (s. d.) gefördert.

Litteratur. W. Perring, Lexikon für G. und Blumenzucht (Lpz. 1882); F. Jühlke, Gartenbuch für Damen (4. Aufl., Berl. 1889); Th. Rümpler, Illustriertes Gartenbau-Lexikon (2. Aufl., ebd. 1890); Schmidlins Gartenbuch (4. Aufl., von Nietner und Rümpler, ebd. 1892); Christs Gartenbuch (9. Aufl., von Lucas, Stuttg. 1892). – In der periodischen Gartenbau-Litteratur nehmen zur Zeit folgende Zeitschriften eine hervorragende Stellung ein: Gartenflora. Zeitschrift für Garten- und Blumenkunde, hg. von Wittmack (begründet von E. von Regel), Organ des Vereins zur Beförderung des G. in Berlin