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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gefängnisstrafe - Gefängniswesen
den sind, tritt die Arbeit mehr in den Vordergrund
der Strafvollstreckung. Die Arbeit soll aber nicht
nur körperliche Anstrengung sein, sondern die Her-
stellung von wirtschaftlich brauchbaren Gütern be-
zwecken. Ursprünglich freilich ist sie nur als eine
Linderung der Strafe und aus disciplinarischen
oder gesundheitlichen Gründen eingesührt. Dieser
Gesichtspunkt ist in Europa noch der maßgebende,
und man betrachtet das aus dem Arbeitsbetrieb
fliehende Einkommen mehr als eine angenehme Zu-
gabe, während man in Amerika es hauptsächlich auf
den finanziellen Ertrag absieht. Man strebt eine der-
artige Organisation und Verwendung der Arbeits-
kräfte an, damit die Kosten der Gefangenhaltung
durch den Ertrag gedeckt werden. Bei der ökono-
mischen Einrichtung des Betriebes unterscheidet man
das Nnternehmersystem, die Staatsregie, die Kun-
denwirtschaft und die Generalpacht. Das Unter-
nehmersystem besteht in der Vermietung der Ar-
beitskräfte an dritte, die gegen eine vertragsmäßig
festgesetzte Zahlung die Arbeit der Gefangenen leiten
und über die Produkte verfügen (Preußen). Das
Gegenstück dazu bietet dieStaatsregies England,
Baden, Mecklenburg, Oldenburg, teilweise Bayern
und Württemberg), bei welcher die Fabrikation für
Rechnung des Staates vor sich geht. Die Kun-
denwirtschaft (Württemberg, Bayern, modifi-
ziert in Belgien) besteht in der Einrichtung, daß
der Unternehmer das Rohmaterial liefert, der
Staat die Arbeiten leitet und die Waren gegen
Bezahlung des Stücklohns aushändigt. Bei der
Generalpacht (Frankreich, teilweise Italien und
Osterreich) geht die Sorge für die Haushaltung der
Gefangenen in die Hände eines Unternehmers über
und die Thätigkeit des Staates bleibt in den Ge-
fängnissen eine mehr oder weniger beschränkte.
Ahnlich kennt man in Amerika vier Systeme, näm-
lich Kontraktsystem, Etaatsrechnung, Stücklohn und
Verpachtung. Namentlich die letztere, in den südl.
Staaten verbreitet, macht einen eigentümlichen Ein-
druck, da hierbei die Sträflinge an Unternehmer
für die ganze Zeit der Strafe gegeben werden.
Diese nehmen die Sträflinge in Wohnung, müssen
sie bewachen und verpflegen und haben dafür das
Recht, ihre Arbeit auszumchen.
Die Opposition gegen die G., welche von freien
Gewerbtreibenden ^cit jeher gemacht wurde, haupt-
sächlich jedoch seit der Zeit, wo die erste planmäßige
Arbeit in Gefängnissen eingeführt wurde, ist sehr
übertrieben. Die Preise für die Tagesarbeit eines
Gefangenen sind allerdings geringer als für freie
Arbeiter, aber die Leistungsfähigkeit ist auch eine
niedrigere. In Preußen werden gewöhnlich 2 Ge-
fangene gleich 1 freien Arbeiter, in Frankreich 3 Ge-
saugene gleich 2 freien Arbeitern, und ähnlich in
andern Ländern geschätzt. Es ist ferner der Um-
fang der G. gering. In Preußen waren 1890/91
29 948 Gefangene, von denen nur 20974 für Dritte
gegen Lohn beschäftigt waren; in Frankreich wird
die Gefängnisproduktion auf etwa ^50 der freien
Produktion gerechnet; in Amerika kommt auf je
300 in Gewerbe, Landwirtschaft und Bergbau Be-
schäftigte ein Gefangener. Auch die Qualität der
erzeugten Waren ist nicht so niedrig, wie oft bo^
kauptet wurde. Es kann somit ein schaden für die
Industrie vom wirtschaftlichen Standpunkte aus
nicht nachgewiesen werden.
Nach der Gewerbezählung voll 1882 waren im
ganzen Deutschen Reich von Arbeitgebern 33580
Straf- und Zwangsarbeiter beschäftigt. Auf die
einzelnen Industriezweige verteilen sich die Ge-
fangenen wre folgt:
Gefangene

Industriezweige
männliche
! weibliche
zusammen z
M
Torfgräberei und Torfbereitung .
19
__
19
0,1
Industrie der Steine und Erden .
212

212
0,06
Verarbeitung von Metall mit Aus-




nahme des Eisens.......
464

464
0,6
Eisenverarboituna.........
935
10
945
0,2
Verfertigung von Maschinen, In-




strumeuten und Apparaten . . .
458

458
0,1
Chemische Industrie.......
396
250
646
0,9
Forstwirtschaftliche Nebenprodukte .
14
-
14
0,03
Textilindustrie .........
6160
1209 7369
0,8
Papierindustrie.........
2312
284
3126
3,1
Leder-, Wachstuch- und Gummi-




621
109
730
0,6
Holz- und Schnitzstoffe......
7349
92
7441
1^6
Nahrungs- und Genußmittel
4621
386
500?
0,7
Bekleidung und Reinigung . , . ,
4903
2107 7010
0,6
Baugewerbe.......
73
__
73
0,01
Polygraphische Gewerbe.....
44

44
0,06
Künstlerische Gewerbe......
22
__
22
0,1
Vgl. Enquete über den Einfluß der G. auf den
freien Gewerbebetrieb, hg. vom Deutschen Handels-
tag (Berl. 1878); Nicollet, 1^6 r^iras 6t 1a rklorms
p6uit6QtjNii'6 (Grenoble 1886); Roland P. Falkner,
Die Arbeit in den Gefängnissen iIena 1888); Hand-
buch des Gefängniswefcns, hg. von Fr. von Holtzen-
dorsf und E. von Iagemann, Bd. 2 (Hamb. 1888),
S. 223 fg.; Handwörterbuch der Staatswiffenschaf-
ten, Bd. 3 (Jena 1892), S. 722 fg.
Gefängnisstrafe wird nach den Bestimmungen
des Deutschen Strafgesetzbuchs l§.16) stets auf Zeit
erkannt, der Höchst betrag ist 5 Jahre, der Mindest-
betrag ein Tag. Jugendliche Verbrecher ss. <^traf-
mündige) können, da bei ihnen die Zuchthausstrafe
ausgeschlossen ist, bis zu 15 Jahren G. verurteilt
werden. Wenn mehrere selbständige strafbare Hand-
lungen zusammentreffen (f. Konkurrenz), so kann bis
zu 10 Jahren G. insgesamt erkannt werden. Der
niedrigste Höchstbetrag, den das Strafgesetzbuch
kennt, ist 2 Monate G.; es ist das der Fall des
§. 138, nach welchen: derjenige sich strafbar macht,
welcher als Zeuge, Geschworner, Schöffe oder als
ein zum Erscheinen gesetzlich verpflichteter Sachver-
ständiger berufen, eine unwahre Thatsacke als Ent-
schuldigung vorschützt. Der Tag wird bei der G. zu
21 Stunden, die Woche zu 7 Tagen, der Monat und
das Jahr nach der Kalenderzeit berechnet. Achtmona-
tige Zuchthausstrafe ist einer einjährigen G., acht-
monatige G. einer einjährigen Festungshaft gleich-
zuachten. Ein Tag G. gilt so viel wie 3 bis 15 M.,
wenn die Geldstrafe wegen eines Verbrechens oder
Vergehens erkannt ist und nicht beigetrieben werden
kann. Neben der G. kann in den gesetzlich vorge-
sehenen Fällen auf Verlust der bürgerlichen Ehren-
rechte (s. d.) erkannt werden. Die Landesgesetze
dürfen nur bis zu 2 Jahren G. androhen. Die
militärische G. wird in einem Festungsgefängnis
vollstreckt; es kann auf lebenslängliche G. erkannt
werden. Nach Osterr. Strafgesetz ist der erste Grad
der Kerkerstrafe etwa der G. gleich. Der Entwurf
von 1889 folgt dem deutschen Gesetz^ (S. Einzelhaft,
Freiheitsstrafen, Gefängniswesen, Strafvollzug.)
Gefängnisvereine, s. Gefangenenfürsorge.
Gefängniswefen. Die Einrichtung der auf
Bewahrung gefangener Personen berechneten An-