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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Gehirnerschütterung; Gehirnerweichung

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Gehirnerschütterung - Gehirnerweichung

vor allen Schädlichkeiten zu bewahren, die den Blutandrang nach dem Gehirn zu vermehren im stande sind; namentlich sorge man für ein durchaus ruhiges und schonendes Verhalten, für eine milde, reizlose, leichtverdauliche Diät, vermeide alle körperlichen, geistigen und gemütlichen Anstrengungen und Aufreizungen, sowie alle erhitzenden Getränke und Nahrungsmittel und reguliere jederzeit sorgfältig den Stuhlgang, der erforderlichenfalls durch Klystiere oder milde Abführmittel gefordert werden muß.

Außer der eben beschriebenen Form der G. giebt es noch zwei wesentlich verschiedene, außerordentlich schleichend verlaufende Formen dieser Krankheit, die vorwiegend die Rinde des Großhirns befallen und dauernde schwere Funktionsstörungen zur Folge haben. Die eine mehr diffus verlaufende Form (Encephalomeningitis chronica) befällt die gesamte Rindenschicht und führt durch entzündliche Bindegewebswucherung und Untergang der Nervenelemente, besonders der Ganglien, zur Schrumpfung der Hirnrinde und zu einer unheilbaren Geisteskrankheit, der allgemeinen progressiven Paralyse der Irren (s. Progressive Paralyse der Irren); die andere (Encephalitis interstitialis disseminata) ist auf zahlreiche kleine zerstreut liegende Stellen der Hirnoberfläche beschränkt und hat die sog. Gehirnsklerose oder Gehirnverhärtung (s. d.) zur Folge.

Gehirnerschütterung (commotio cerebri) entsteht gewöhnlich durch einen Sturz aus erheblicher Höhe, durch einen starken Schlag auf den Kopf oder andere heftige Gewalteinwirkungen auf den Schädel und führt entweder sehr schnell zum Tode oder geht nach Stunden oder Tagen in vollkommene Genesung über. Gewöhnlich sinkt der Verletzte sofort nach der Einwirkung der Gewalt bewußtlos zusammen, liegt mit blassem Gesicht, schlaffen, ausdruckslosen Zügen und offenen, starren Augen da und giebt weder beim Anrufen noch auf schmerzhafte Reize eine Lebensäußerung von sich; nur mehr oder weniger heftiges Erbrechen stellt sich ein und pflegt sich mehrmals zu wiederholen. Der Verletzte geht unter diesen Erscheinungen bald zu Grunde oder kehrt allmählich wieder in das Leben zurück: die blasse Farbe des Gesichts verschwindet, der Puls wird voller, die Respiration tiefer und allmählich kommt der Kranke wieder zum Bewußtsein, ohne sich entsinnen zu können, was mit ihm vorgegangen. Gar nicht so selten bleiben noch längere Zeit Schwindel, Ohrensausen, Verdauungs-, Sinnes- und Sprachstörungen zurück, weshalb derartig Verletzte immer noch längere Zeit hindurch fortgesetzter sorgsamer Überwachung bedürfen. Welcher Art die hierbei in dem anscheinend ganz unversehrten Gehirn stattfindenden, wahrscheinlich molekularen Vorgänge sind, ist mit den gegenwärtigen Hilfsmitteln nicht zu erkennen; man vermutet, daß es sich bei der G. um eine Reflexlähmung der Hirngefäße handelt, infolge deren der Hirnrinde weniger Blut zugeführt und so der eben geschilderte Symptomenkomplex ausgelöst wird. Bei der Behandlung der G. enthalte man sich durchaus aller eingreifenden Verfahren, lagere den Verletzten in einem ruhigen, kühlen und luftigen Raum und beschränke sich auf Reiben und Frottieren der Haut, die Reizung der Nasenschleimhaut durch scharfe Riechstoffe und die Anwendung reizender Klystiere. Auch nach erfolgter Genesung muß der Kranke noch längere Zeit hindurch ein sehr vorsichtiges diätetisches Verhalten beobachten und sich vor Excessen jedweder Art sowie vor allen körperlichen und geistigen Anstrengungen sorgfältig in acht nehmen. Zuweilen bilden sich im Anschluß an Gehirn- und Rückenmarkserschütterungen schwere, oft unheilbare nervöse Störungen aus (sog. traumatische Neurose).

Gehirnerweichung (Encephalomalacia), alle diejenigen pathol. Vorgänge im Gehirn, bei welchen infolge unterbrochener Blutzufuhr ein größerer oder kleinerer Hirnabschnitt brandig abstirbt und zu einer breiigen, hellgrauen oder rötlichen Masse erweicht. Von den Laien wird gewöhnlich die allgemeine fortschreitende Paralyse der Irren (s. Progressive Paralyse der Irren) mit dem Namen der G. belegt, obschon die fragliche Krankheit nicht auf einer Erweichung, sondern auf einer chronischen Entzündung und Schrumpfung der Hirnsubstanz beruht. Man unterscheidet drei verschiedene Formen der G.: die sog. weiße oder graue, die gelbe und die rote Erweichung. Bei der sog. weißen oder grauen G. findet man Haselnuß- bis hühnereigroße Stellen in der Marksubstanz des Gehirns zu einem dünnflüssigen, molken- oder kalkmilchähnlichen Brei umgewandelt, der aus der brandig zerfallenen und erweichten Hirnmasse besteht; sie entsteht überall, wo durch Verstopfung und Verödung der zuführenden Blutgefäße die Blutzufuhr zu der Hirnsubstanz plötzlich aufgehoben und so die Ernährung der letztern mit gutem, sauerstoffhaltigem Blut unmöglich gemacht wird. Am häufigsten findet sich diese Form der G. bei ältern Leuten, weil im spätern Mannes- und im Greisenalter chronische Gefäßkrankheiten und dadurch bedingte Gefäßverstopfungen (s. Thrombose und Embolie) häufig vorkommen. Eine Abart der weißen G. ist die sog. hydrocephalische G., die sich besonders bei der tuberkulösen Gehirnhautentzündung (s. d.) vorfindet und bei welcher die Hirnsubstanz durch einen reichlichen Erguß seröser Flüssigkeit erweicht wird. Die gelbe G. entsteht durch eine sog. eitrige Infiltration oder eitrige Einschmelzung der Gehirnsubstanz und bildet den nicht eben seltenen Ausgang der akuten Gehirnentzündung (s. d.). Bei der roten G. endlich sind der breiig erweichten Hirnmasse zahlreiche rote Blutkörperchen beigemengt, die aus bald größern, bald kleinern Blutergüssen herstammen und der zerfallenden Hirnsubstanz eine rötliche Farbe verleihen. Am häufigsten entsteht diese Form der G. im Anschluß an Schädelverletzungen und an spontane Gehirnblutungen, wie beim Schlagfluß (s. d.).

Die Symptome der G. sind je nach dem Sitz, der Größe und Ausdehnung der erweichten Hirnpartie sehr verschieden; während kleinere Erweichungsherde häufig gar keine oder nur unerhebliche Erscheinungen (Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen u. dgl.) verursachen, pflegen größere, namentlich wenn sie ihren Sitz an wichtigen Hirnabschnitten haben, schwere und dauernde Funktionsstörungen zur Folge zu haben. Insbesondere bemerkt man an solchen Kranken eine auffallende Abnahme des Gedächtnisses und des Denkvermögens, eine große Gleichgültigkeit und Apathie, wohl auch Schlafsucht und Sprachstörungen verschiedener Art; auch sind häufig Lähmungen und Kontrakturen einzelner Extremitäten oder wenigstens einzelner Teile derselben vorhanden. Wenn die G. plötzlich durch das Steckenbleiben eines Blutpfropfes in einer Gehirnarterie (s. Embolie) entsteht, so können die Symptome ganz denen eines jähen Schlaganfalles oder Schlagflusses gleichen. Die Behandlung ist in den weitaus meisten