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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gelenkentzündung

sich im Gleichgewicht befinden und so die Spannung und damit auch der Schmerz am geringsten ist, und jeder Versuch, diese Lage zu verändern, ruft die heftigsten Schmerzen und krampfhafte Muskelkontraktionen hervor. So können Fieber, Schmerzen und Schlaflosigkeit wochenlang andauern und die Kräfte des Kranken auf das äußerste erschöpfen. Bei guter Konstitution und günstigen Verhältnissen tritt schließlich doch noch Genesung ein, indem der in der Gelenkhöhle angesammelte Eiter allmählich resorbiert wird. Bei ungünstigem Verlauf dagegen kann der Eiter die Gelenkkapsel und die umgebenden Weichteile durchbohren, sich einen Weg nach außen bahnen (sog. Gelenkabsceß) und langwierige erschöpfende Säfteverluste zur Folge haben oder ausgedehnte Zerstörungen der knöchernen Gelenkteile verursachen und durch eintretende Eitervergiftung des Blutes das Leben des Kranken auf das höchste bedrohen. Solchen übeln Ausgängen der eiterigen G. läßt sich häufig nur durch rechtzeitige Vornahme chirurg. Eingriffe, insbesondere der operativen Entfernung der erkrankten Gelenkenden, vorbeugen. (S. Resektion.) Die schwersten Formen der akuten Gelenkeiterung sind die akuten (septischen) Verjauchungen der Gelenke mit oder ohne Entwicklung von Fäulnisgasen, welche in wenigen Tagen durch Blutvergiftung zum Tode führen, wenn nicht früh genug durch ausgiebige Eröffnung resp. Resektion des Gelenks oder durch Abnahme (Amputation, Exartikulation) des betreffenden Gliedabschnittes das Leben des Kranken erhalten wird.

3) Die chronische seröse G. (Arthromeningitis s. Synovitis chronica serosa), welche entweder nur reichliche, meist schmerzlose Wasseransammlung im Gelenk (s. Gelenkwassersucht) oder außer dieser auch noch entzündliche Wucherungen und Schrumpfungen der Gelenkkapsel und der übrigen Gelenkbänder zur Folge hat. (S. Gelenkrheumatismus.)

4) Die chronische deformierende G. (Arthritis chronica deformans), eine außerordentlich schleichend und langwierig verlaufende Gelenkkrankheit, die namentlich dem höhern Lebensalter eigen ist und schließlich sehr auffallende Formveränderungen und Verunstaltungen sowie sehr beträchtliche Funktionsstörungen im erkrankten Gelenk zur Folge hat. Die Krankheit beginnt in der Regel damit, daß der Knorpelüberzug der Gelenke erweicht, zerfasert wird und endlich vollständig zu Grunde geht, sodaß die Gelenkflächen rauh und uneben werden und nicht mehr gehörig aufeinander passen. Im weitern Verlaufe findet sodann gewöhnlich vom Rande der Gelenkflächen her eine krankhafte Wucherung und Neubildung von höckerigen oder stalaktitenförmigen Knorpel- und Knochenauswüchsen statt, durch welche die Gelenkenden unförmlich verdickt, schwer beweglich und gänzlich verunstaltet werden, und da weiterhin auch die Gelenkkapsel stellenweise verdickt und verknöchert und auf ihrer Innenseite mit zahllosen zottenförmigen Wucherungen besetzt ist, so wird schließlich das ganze Gelenk vollkommen steif und unbrauchbar. Sehr häufig ist das Hüftgelenk der Sitz dieser deformierenden Entzündung, in welchem Falle sie als Hüftleiden der Greise (Malum coxae senile) bezeichnet wird, doch werden oft genug auch die Schulter, die Knie, der Ellbogen, sowie die Finger- und Zehengelenke von ihr befallen. Zu den ersten Symptomen dieses Gelenkleidens gehören ein dumpfer, nicht eben heftiger Schmerz und eine gewisse Kraftlosigkeit und allmählich zunehmende Steifigkeit des erkrankten Gelenks, wozu sich bald bei Bewegungen infolge der Unebenheit der Gelenkflächen ein deutliches rauhes Knarren und Knacken im Gelenk gesellt. Am frühen Morgen sowie nach längerer Ruhe sind die Steifigkeit und die Schmerzen am schlimmsten; ist das Gelenk einmal im Gang, so pflegen beide allmählich nachzulassen. Wenn die Krankheit an der Hüfte entwickelt ist, so tritt bald leichtes Hinken ein, das nach und nach zunimmt, weil der Schenkelknochen infolge der allmählichen Abschleifung des Schenkelkopfes und der Gelenkpfanne nach und nach kürzer wird, bis endlich das Gehen ganz unmöglich ist. Der Verlauf der deformierenden G. ist immer ein sehr langwieriger und erstreckt sich gewöhnlich über mehrere Jahrzehnte; eine wirkliche Heilung tritt niemals ein, höchstens wird im günstigsten Fall ein Stationärbleiben der Krankheit beobachtet, sodaß sie von einem gewissen Stadium an keine weitern Fortschritte macht. Über ihre Ursachen ist wenig Sicheres bekannt; sie kommt viel häufiger bei Männern als bei Frauen vor und ist wohl meist eine Teilerscheinung des eintretenden Altersmarasmus. Bisweilen werden Erkältungen als Ursache von den Kranken angeschuldigt; mitunter sieht man auch das Leiden nach übermäßigen Anstrengungen oder im Anschluß an eine erlittene Quetschung oder sonstige Verletzung des Gelenks sich entwickeln.

5) Die chronische fungöse G. (Arthritis chronica fungosa), eine bösartige Gelenkkrankheit, bei der sich die Innenfläche der Gelenkschleimhaut mit schwammigen, allmählich das ganze Gelenk zerstörenden Granulationen überzieht und die deshalb auch als Gliedschwamm (s. d.) bezeichnet wird; sie ist vorwiegend tuberkulöser Natur.

Hinsichtlich der Behandlung einer jeden G. ist als oberster Grundsatz festzuhalten, daß das erkrankte Gelenk vor allen Dingen absoluter Ruhe und Schonung bedarf. Bei jeder heftigern G. gehört der Kranke deshalb durchaus von Anbeginn an in das Bett und das erkrankte Glied muß vollkommen unbeweglich in horizontaler, möglichst gestreckter Lage gehalten werden; die letztere muß durch eine geeignete Unterstützung der entzündeten Extremität vermittelst kleiner Polster, Kissen, Spreusäckchen u. dgl., unter Umständen durch einen angelegten Papp-, Gips- oder andern immobilisierenden Verband gesichert werden. Bei manchen Formen der G. erweist sich auch die sog. permanente Extension, bei der vermittelst geeigneter Verbandvorrichtungen und angebrachter Gewichte ein gleichmäßig andauernder Zug auf die erkrankten Gelenkflächen ausgeübt wird, von vorzüglicher Wirkung. Sind die Entzündungserscheinungen sehr heftig, so ist die energische und andauernde Anwendung der Kälte in der Form von Eisbeuteln ganz unerläßlich. Bei sehr heftigen Schmerzen sind mitunter Morphiumeinspritzungen sowie Einreibungen mit Chloroform, Elaylchlorür und andern schmerzlindernden Mitteln nicht zu entbehren. Wenn die entzündlichen Symptome sich gemindert haben, so kann man bei serösen G. den Versuch machen, durch eine gleichmäßige Kompression des Gelenks vermittelst elastischer Binden die Aufsaugung der ausgeschwitzten Flüssigkeit zu beschleunigen. Eventuell wird das im Gelenk befindliche Exsudat durch Punktion oder Incision entfernt. Bei der eiterigen G. sind unter Umständen gewisse chirurg. Eingriffe (tiefe Einschnitte, Punktionen, die Resektion der erkrankten Gelenk-^[folgende Seite]