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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gemeindesteuern
ihren Aufenthalt haben und zu den direkten Steuern
nicht herangezogen werden können. Sie können
einträglich gemacht werden, ohne daß gerade die
notwendigsten Lebensmittel belastet werden. Auch
werden sie in einem städtischen Gemeinwesen von
der Arbeiterbevölkerung leichter mittels Lohnstei-
gerung abgewälzt, als wenn sie als Staatssteuern
erhoben werden, weil das Wegziehen aus einer
Stadt und somit die Verminderung des Arbeits-
angebots in derselben weit leichter ausführbar ist
als eine Auswanderung ins Ausland. Die Er-
hebungskosten sind allerdings bedeutend, aber dieser
Übelstand fällt verhältnismäßig um so weniger ins
Gewicht, je größer die Stadt ist, und er verschwin-
det fast gänzlich in Städten, die, wie z. B. Paris,
von einer Umwallung umgeben sind. Am meisten
empfiehlt sich für indirekte G. die Form des Octroi
(s. d.) oder der Eingangsabgabe. Innere Konsum-
tionssteuern, die eine Kontrolle gewisser Gewerbe-
betriebe erfordern, sind weit lästiger und können
nur dann verteidigt werden, wenn sie im Anschluß
an eine ohnehin bestehende gleichartige Staats-
steuer erhoben werden. Licenzstcuern für Schenk-
wirte und ähnliche Taxen erscheinen als G. schon eher
zulässig. Auch alle von der Gemeinde erhobenen Ge-
bühreN und Beiträge (s. Gemeindehaushalt) können
den Charakter von Steuern erhalten, wenn sie näm-
lich über den tauschwirtschaftlichen Wert der Gegen-
leistung der Gemeinde merklich hinausgehen.
Die thatsächlichen Verhältnisse hinsichtlich der G.
sind in den einzelnen Staaten sehr verschieden. In
England ist schon frühzeitig eine gesetzliche Rege-
lung erfolgt, welche ein Zwecksteuersystem durch-
führte, d. h. eine gesonderte Erhebung der G. für
die einzelnen Zwecke nach Maßgabe des Miet- und
Pachtwertes des Realbesitzes von dem nutzenden
Inhaber (Eigentümer oder Mieter) anordnete, wie
poor rat6, liigi^va^ iat.6, cinircli rate u. s. w. Das
steigende Bedürfnis zwang indes auch zu Steuern,
die verschiedenen Zwecken dienen. In Frankreich
stehen den Gemeinden Anteile an der staatlichen Ge-
werbesteuer (s. d.) und verschiedenen Verbrauchs-
steuern und Zuschläge (centiine" aääitionneis) zu
den vier direkten Staatssteuern zu. Diese Zuschläge
sind zunächst csntiin68 oi-äli^ir^ (5 Cent. für 1 Fr.),
die den Gemeinden ein für allemal zur Deckung der
auf gesetzlicher Verpflichtung beruhenden Gemeinde-
ausgaben zugewiesen sind; ferner c6ntim68 8p6-
cianx, die von den Gemeindeverwaltungen für be-
stimmte Zwecke innerhalb des gesetzlichen .Höchstbe-
trages erhoben werden dürfen, und endlich coiNini68
6xtrH0räiii3.ir68 zur Bestreitung der von dem eige-
nen Ermessen der Gemeinden abhängigen Ausga-
ben (Höchstbetrag 20 Cent., der nur mit Genehmi-
gung des Staatsoberhauptes überschritten werden
dar^). Viel wichtiger als diese direkten G., die
kaum ein Viertel der ordentlichen Gemeindeausga-
ben decken, sind die indirekten G., die als Octrois
erhoben werden. Über Einrichtung und Tarifierung
der Tctrois befchließt der Gemeinderat vorbehalt-
lich der Genehmigung der Negierung. Um die Bil-
dung von städtischen Schutzzöllen zu verhindern,
müssen die in den Gemeinden hergestellten Gegen-
stände ebenso hoch besteuert sein, wie die von anders-
woher kommenden gleichartigen Artikel. Belgien
hob die Octrois 1860 auf und gab den Gemeinden
eine ausgedehnte Selbständigkeit hinsichtlich der
Wahl ihrer Steuern; doch dürfen dadurch Vor-
rechte nicht gefchaffen und die Octrois nicht auf
Umwegen wieder eingeführt werden. Die Verhält-
nisse der G. haben sich in Belgien deshalb sehr ver-
schieden entwickelt. Die Niederlande hoben durch
Gesetz vom 7. Juli 1865 die städtischen Accisen auf.
Als Ersatz wurden den Gemeinden Zuschläge zur
Grundsteuer und vier Fünftel des Ertrages der
staatlichen Perfonalsteuer überwiesen; letztere Ein-
nahme ist 1885 durch einen festen Betrag in Höhe
von vier Fünftel des Ertrages der staatlichen Perso-
nalsteuer im Durchschnitt der I. 1882/83-1884/85
ersetzt worden. Außerdem bestehen noch besondere
städtische direkte Steuern, die sich sehr verschieden
entwickelt haben. In Österreich sind die G. teils
! Zuschläge zu ^taatssteuern, teils Octrois oder selb-
! ständige G. '
Auch in Deutschland zeigen die bestehenden
G. eine große Mannigfaltigkeit. In Preußen gab
es bis vor kurzem keine einheitliche Regelung. Im
allgemeinen herrschten die direkten Steuern vor,
hauptsächlich in der Form der Zuschläge zu den
Staatssteuern, jedoch auch als besondere Arten, wie
die Mietsteuer in Berlin, Halle und Frankfurt a. M.
Die Anwendung der indirekten Besteuerungsform
war infolge des Gesetzes vom 25. Mai 1873 noch
beschränkter geworden, obwohl dasselbe nur die-
Mahlsteuer, von welcher die Gemeinden bis da-
hin ein Drittel des Rohertrags erhielten, in den
ihr unterworfenen Städten aufhob und die Erhebung
der Schlachtsteuer als Gemeindesteuer zuließ. Nur
wenige Städte machten von der letztcrn Befugnis
Gebrauch. Die Last der direkten G. war in vielen
Gemeinden übermäßig gestiegen. Sie machten 200,
300, ja bisweilen 500 und 600 Proz. der Staats-
steuern aus. Den schlimmsten Misiständen suchte
die 1l!x I1u<^6 vom 14. Mai 1885 (betreffend Über-
weisung von Beträgen, die aus landwirtschaftlichen
Zöllen eingeben, an die Kommunalverbände) und das
.Uommunalsteuer-Notgesetz vom 27. Juli 1885 ab-
zuhelfen. Eine umfassende Reform ist aber erst durch
das Gesetz betreffend Aufhebung direkter ^taats-
steuern und durch das Kommunalabgabengesetz
herbeigeführt worden, die beide unter dem 14. Juli
1893 erlassen und am 1. April 1895 in Kraft ge-
treten sind. Hiernach ist das Gemeindesteuerwesen
^ auf wesentlich andere Grundsätze gestellt und mög-
> lichst einheitlich gemacht worden. Zur Deckung der
l Gemeindeausgaben sollen in erster Linie das Ge-
meindevermögen und die vom Staat oder weitern
Kommunalverbänden überwiesenen Mittel sowie
die Erträge der gewerblichen Unternehmungen der
Gemeinde dienen. Soweit diese Einnahmequellen
nicht ausreichen, dürfen die Gemeinden zunächst
"Gebühren und Beiträge", und falls auch diese nicht
genügen, mit staatlicher Genehmigung indirekte und
direkte Steuern erheben und zuletzt Naturaldienste
fordern. Mit Ausnahme einiger wenigen Steuern
von mehr polizeilichem Charakter (z. B. Hunde-
steuer, Lustbarkeitssteuer) kommen also die Steuern
nur ergänzungsweise in Betracht. Dabei gehen die
indirekten den direkten Steuern voran. Bei den
direkten Steuern wird der Schwerpunkt auf die
Realsteuern (Grund-, Gebäude- und Gewerbe-
steuer) gelegt, die deshalb vom Staat den Kom-
munalverbänden überwiesen worden sind. Eine
Gemeindeeinkommensteuer darf nur in mäßigen
Zuschlägen zur Staatseinkommensteuer erhoben wer-
den. Der im Wege der direkten Besteuerung auf-
zubringende Gemcindebedarf ist möglichst zu be-
schränken; auch sind durch diese Realsteuern Haupt-