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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Geschlechtsorgane

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Geschlechtsorgane (der Menschen und Tiere)

Geschlechtsapparats, im engern Sinne diejenigen krankhaften Zustände der äußern Genitalien, die Folge eines unreinen Beischlafs sind, wie der Tripper, die Feigwarzen, der Schanker, die Syphilis u. a. (S. die betreffenden Einzelartikel.) Bei allen G., sowohl des Mannes als des Weibes, kann nicht eindringlich genug vor der Behandlung durch unwissende Quacksalber und Kurpfuscher, durch populäre Bücher oder brieflich kurierende Ärzte gewarnt werden, weil hierüber nur zu häufig der richtige Zeitpunkt eines erfolgreichen therapeutischen Eingreifens versäumt wird und schwere, selbst unheilbare Schäden zurückbleiben. Wer sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen hat, wende sich deshalb so früh als möglich an einen geschickten Arzt, da eine genaue örtliche Untersuchung der erkrankten Teile für die richtige Erkennung und Behandlung der betreffenden Leiden durchaus unerläßlich ist, und nur eine frühzeitige sachverständige Behandlung vor schwerem Unheil zu behüten vermag. – Vgl. Lesser, Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten (6. Aufl., Lpz. 1891).

Geschlechtsorgane, auch Geschlechtsteile, Genitalien, Sexual- oder Zeugungsorgane (Organa sexualia s. genitalia), diejenigen Organe des tierischen und menschlichen Körpers, welche der Fortpflanzung oder der geschlechtlichen Zeugung (s. d.) dienen. Bau und Verrichtung der G. bieten innerhalb der verschiedenen Tierklassen die allergrößten Verschiedenheiten dar. Bei den niedersten Tieren mit geschlechtlicher Vermehrung entwickeln sich die beiden verschiedenen Zeugungsstoffe, Samen und Ei, einfach aus Zellen der Leibeswand, während sie bei den höher stehenden Tieren immer in besondern, verschiedenartig gebildeten Keimdrüsen, den Hoden und Eierstöcken, bereitet werden, die entweder an einem und demselben Individuum vorkommen (sog. Zwitterbildung oder Hermaphroditismus) oder nur an verschiedenartigen Individuen angetroffen werden (sog. Geschlechtstrennung, die Verteilung des Fortpflanzungsgeschäfts auf männliche und weibliche Individuen). Während bei zahlreichen niedern Tieren Eierstock und Hoden ihre Zeugungsstoffe einfach nach außen entleeren und das weitere Schicksal der letztern dem Zufall überlassen bleibt, gesellen sich bei allen höhern Tieren zu den beiden Keimdrüsen mancherlei accessorische Organe, die für die Befruchtung, d. i. die gegenseitige Einwirkung der beiderlei Zeugungsstoffe, und für ihre weitere Entwicklung von dem wichtigsten Einflusse sind.

Bei den Menschen und allen Säugetieren bestehen die männlichen G. aus den eigentlichen Samendrüsen oder Hoden, den Samenleitern und den Samenbläschen, der Vorsteherdrüse und dem männlichen Gliede oder der Rute. Die Hoden (s. d.) liegen frei beweglich in einer muskelreichen Hauttasche, dem Hodensacke (scrotum), und bestehen aus den eigentlichen Hoden mit unzähligen feinen Samenkanälchen und den Nebenboden. Die letztern gehen in die beiden Samenleiter (vasa deferentia) über, die mit ihren zugehörigen Blutgefäßen und Nerven in den beiden Samensträngen (funiculi spermatici) nach aufwärts zum Leistenkanal in der Bauchwand verlaufen, durch diesen hindurch in die Beckenhöhle treten und sich an die hintere Wand der Harnblase begeben, woselbst sie in die beiden Samenbläschen übergehen (vesiculae seminalis). Die letztern stellen zwei kleine platte, zwischen Blase und Mastdarm gelegene Säckchen dar, die als Samenbehälter dienen und mit einem gemeinschaftlichen Ausführungsgange in die Harnröhre einmünden. An dieser Stelle ist die Harnröhre ringförmig von der Vorsteherdrüse (prostata), einer kastanienförmigen Drüse, umgeben, deren eiweißähnlicher Saft vor und bei der Samenergießung in die Harnröhre eintritt und sich mit dem Samen vermischt. Das männliche Glied oder die Rute (penis, membrum virile) ist ein walzenförmiger, aus drei sehr gefäßreichen Schwamm- oder Schwellkörpern zusammengesetzter und dadurch anschwellbarer Körper, der vorn am Becken zwischen den Schenkeln angeheftet ist, von der männlichen Harnröhre (urethra virilis) durchbohrt wird und an seinem vordern nervenreichen Ende, der Eichel (glans penis), welche die Harnröhrenmündung enthält, von der leicht verschiebbaren Vorhaut (praeputium) mehr oder weniger bedeckt ist. Über die physiol. Funktionen des männlichen Gliedes s. Erektion. Oberhalb des letztern bildet die Haut über den Schambeinen ein dickes Fettpolster, den Schamberg (mons Veneris), und in der Pubertät einen reichlichern Haarwuchs (Schamhaare, Pubes).

Die weiblichen G. setzen sich aus den Eierstöcken mit den Eileitern, der Gebärmutter, der Mutterscheide und der weiblichen Scham zusammen. Die beiden Eierstöcke (s. d.) liegen als ein paar eiförmige drüsenähnliche Körper im kleinen Becken zu beiden Seiten der Gebärmutter, mit der sie durch die beiden Eileiter oder Muttertrompeten (tubae Fallopianae) verbunden sind. Die Gebärmutter (s. d.) ist in dem mittlern obern Teile der Beckenhöhle zwischen Blase und Mastdarm gelegen und besitzt eine länglich-birnförmige, von vorn nach hinten abgeplattete Gestalt. Die Mutterscheide oder Scheide (vagina) verläuft als häutiger, plattgedrückter Kanal in der Mitte des kleinen Beckens zwischen Blase und Mastdarm vom Gebärmutterhals nach abwärts, um an der untern Beckenöffnung zwischen den Schenkeln in die weibliche Scham (vulva s. cunnus) zu münden, die aus den beiden großen und kleinen Schamlippen nebst dem Kitzler oder der Klitoris besteht und nach oben an den weiblichen Schamberg grenzt. Am Eingang der Scheide befindet sich im jungfräulichen Zustande eine halbmondförmige klappenartige Schleimhautfalte, welche als Jungfernhäutchen (hymen) bezeichnet wird. Die weibliche Harnröhre ist bedeutend kürzer als die männliche und mündet dicht über dem Scheideneingange zwischen den kleinen Schamlippen und der Klitoris.

Die G. der Tiere sind außerordentlich mannigfaltig entwickelt. In der Regel aber sind vier Abschnitte an ihnen unterscheidbar: Geschlechtsprodukte bereitende Drüsen, diese Produkte ableitende Organe, ferner übertragende und empfangende Organe (Begattungswerkzeuge) und endlich Organe, welche im Interesse der befruchteten Keime funktionieren, die den wesentlichen Teil der Organe der unmittelbaren Brutpflege ausmachen und fast nur im weiblichen Geschlecht angetroffen werden.

Die männlichen und weiblichen G. sind, soweit wir wissen, bei Wirbeltieren, Insekten und Tausendfüßern normalerweise immer auf zwei Individuen verteilt. Bei den übrigen Ordnungen der Gliederfüßer (Spinn- und Krustentiere) sowie in allen übrigen Tierkreisen kommt neben dem Getrenntsein der Geschlechter auch Hermaphroditismus (s. d.) vor.