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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gewerbevereine
bezirke der Klasse I sind die Provinzen; die Veran-
lagung erfolgt dmch einen Steuerausschuh, der zu
zwei Dritteln durch den Provinzialausschuß, zu
einem Drittel durch den Finanzminifter ernannt
wird. Letzterer ernennt auch den Vorsitzenden.
steuerfrei sind zunächst alle Betriede, deren Er-
trag unter 1500 M. oder deren Anlagekapital unter
3000 M. bleibt: desgleichen die Reicksbank, die
landwirtschaftlichen Kreditverbände sowie öffentliche
Versicherungsanstalten, Kommunalverbände für
Unternehmungen zu gemeinnützigen Zwecken, serner
Betriebe der Land- und Forstwirtschaft, Viehzucht,
Obst-, Wem-, und Gartenbau mit Beschränkung,
landwirtschaftliche Branntweinbrennereien, Berg-
bau u. s. w. Der Gewerbebetrieb wird bei jurist.
und physischen Personen in gleicher Weise besteuert.
Eine allgemeine Deklarationspflicht besteht nicht,
doch sind alle Maßregeln getroffen, welche eine
möglichst genaue und gerechte Veranlagung bewir-
ten sollen. Die Veranlagung erfolgt auf ein Jahr,
die Steuererhebung vierteljährlich. Die Gemeindell
erhalten für ihre Thätigkeit bei der Einschätzung
und Erhebung je 2 Proz. der Steuer. Der Ertrag
der G., welche 1893/94 zum erstenmal zur Anwen-
dung gelangte, wurde für dies Steuerjahr auf 19,8
Mill. M. veranschlagt. Durch die Steuergesetze vorn
14. Juli 1893 wurde die G. als Staatssteucr auf-
gehoben und den Gemeinden überwiesen.
Für den Betrieb der Gast- und Schankwirtschaften
und den Kleinhandel mit Branntwein und Spiriwv
ist eine Betriebssteuer zu entrichten; dieselbe
beträgt 10 M. für die von der G. befreiten Schant-
u. s. w. Betriebe, 15 M. für die zu Klaffe IV, 25 M.
für die zu Klasse III, 50 M. sür die zu Klasse II,
100 M. für die zu Klasfel der G. veranlagten <^chant-
u. s. w. Betriebe. - Vgl. Falkmann, Die preuß.
Gewerbesteuergesetzgebung (2. Aufl., Berl. 1893);
Füisting, Das preuß. Gewerbesteuergesetz vom
24. Juni 1891 (ebd. 1893).
Gewerbevereine, sreie Vereinigungen von
Gewerbtreibenden eines Ortes zur gemeinsamen Ve
ratung und Förderung der gewerblichen Interessen
innerhalb des Vereinsbezirks. Sie dienen ähnlichen
Zwecken wie die Gewerbekammern (s. Handels- und
Gewerbekammern), bilden jedoch eine zweckmäßige
Ergänzung derselben, da in diesen nur eine kleine
Zahl offizieller Vertreter sitzt, während eine persön-
liche Vereinigung und ein gesellschaftlicher Mittel-
punkt für alle übrigen Gewerbtreibenden eines be-
stimmten Distrikts noch viel weiter reichende Zwecke
der Belehrung und Anregung der Fachgenossen und
der Durchführung praktifcher Maßregeln und Unter-
nehmungen verfolgen kann. Die Organisation und
die Thätigkeit der G. ist sehr verschieden. Zum Teil
beschränkt sich ihre Wirksamkeit auf Belehrung und
Erziehung ihrer Mitglieder durch Versammlungen,
Vorträge, Besprechungen und Bibliotheken. Zum
Teil arbeiten sie auch direkt an der Förderung der
Gewerbe, setzen sich auch wohl zu diesem Zweck mit
der Staatsregierung in Verbindung; sie beschäftigen
sich mit Maßregeln zur Beförderung der allgemei-
nen und gewerblichen Bildung und der Sittlichkeit
der Lehrlinge und Gesellen; sie veranstalten von
Zeit zu Zeit örtliche Gewerbeausstellungen, grün-
den Vorschußvereine und andere Genossenschaften
und beteiligen sich an der Verwaltung von Arbeits-
vermittelungsinstituten, Arbeiterbildungsvereinen
ls.d.),Einigungsümternls.Gcwerbegerichte),Schieds-
gerichten u. s. w. Der von den Mitgliedern gezahlte
Beitrag ist ein mähiger; die Geschäfte leitet ein Aus-
schuh, bestehend aus Genossen des Gewerbestandes
und fachwissenschaftlich gebildeten Männern.
Die Bedeutung und Organisation der G. ist inner-
balb der Bundesstaaten des Deutschen Reicks eine
sebr ungleiche. Auch die StatiM und Litteratur ist
eine sehr lücken- und mangelhaste. Die bestorgani-
sierten G. besitzt Baden. Die über das gesamte Land
gleichmäßig verteilten G. sind in bestimmten Grup-
pen zu Gaugewerbeverbänden zusammengefaßt und
stehen als folche wieder in einem Landesgewerbe-
verband zufammen. Eine bedeutsame Stütze findet
dieser in der staatlichen Landesgewerbehalle und
deren ständigem Ausschuß, wie überhaupt hier die
Regierung vielzur Förderung der G. beigetragen hat,
namentlich auch dadurch, daß sie ihnen Beteiligung
an der Beratung nicht nur allgemeiner industrieller
und kommerzieller Fragen des Landes, sondern auch
des alljährlichen gewerblichen Etats zugestanden
hat. Baden zählt (1894) 7 Gaugewerbeverbände mit
69 Vereinen und über 6000 Mitgliedern. Organ
der G. ist die "Badische Gewerbe-Zeitung". In
.Hessen ist das Gewerbevereinswesen bereits über
50 I. alt und im allgemeinen ähnlich organisiert
wie in Baden. Die einzelnen G. gruppieren sich
unter dem staatlichen Landesgewerbeverein und
zählen (1894) 55 Ortsvereine mit zusammen über
5000 Mitgliedern. Vereinsblatt ist das "Gewerbe-
blatt für das Großherzogtum Hessen." Die Geschäfte
des Landesvereins werden von der Großherzoglichen
Centralstelle für die Gewerbe besorgt. In Württem-
berg entwickelten sich die G. hauptsächlich unter dem
Einfluß der 1848 errichteten Centralstelle für Handel
und Gewerbe; ihre Zahl beträgt annähernd 100.
Die G. Bayerns sind zum Teil sehr alt, sehr ver-
breitet, aber weniger centralisiert. Ihre Zahl beträgt
mit Einschluß des Kunstgewerbevereins, der poly-
technischen Vereine und des bayr. Handwerkerbundes
ungefähr 200 mit 23000 Mitgliedern. Die einzelnen
Verbände sind zum Teil im Besitz von beträchtlichem
Vermögen. Im Königreich Sachsen bestebt ein
Gesamtverband sächsischer G., welcher (1893) 130
Vereine mit 27 273 Mitgliedern umfaßte. Ver-
hältnismäßig hervorragend ist die Pflege und För-
derung der G. in Sachsen-Weimar. Erst seit
den sechziger Jahren ins Leben gerufen, zählen die
20 Vereine des Landes 2800 Mitglieder; der größte
ist der von Weimar mit 430 Mitgliedern. Sehr
gering ist das Material über die preußischen G.
Sie sind niemals eigentliche Organe der staatlichen
Wirksamkeit zur Förderung des Gewerbewesens ge-
wesen und sind deshalb auch fast nie aus dem Rah-
men örtlicher Wirksamkeit herausgetreten. Einer der
bedeutendsten G. ist derjenige von Köln, der mit
einem Aufwand von 400000 M. die städtische ge-
werbliche Fach- und Fortbildungsschule begründet
hat. In Köln wurde 1891 unter Beteiligung von
nahezu 300 deutschen G. der Verband Deutscher
G. gegründet, dem 1894 bereits 398 Vereine mit
41000 Mitgliedern angehörten. Zweck des Verban-
des ist Zusammenwirken der deutschen G. zur gegen-
seitigen Förderung ihrer Aufgaben und zur Ver-
tretung gemeinsamer Interessen. Mitglieder können
werden alle deutschen G., auch einzelne Personen,
wo G. noch nicht vorhanden sind, und Verbände
von G. Je 300 Mitglieder haben eine Stimme; ein
Verein hat nie über 15 Stimmen. Die Gesamtzahl
der deutschen G. wird auf 600 geschätzt. Aus Öster-
reich ist namentlich der in Wien bestehende, 1810