Gluck, Christoph Willibald, Tondichter, geb. 2. Juli 1714 zu Weidenwang bei Neumarkt in der Oberpfalz, war
der Sohn eines Forstmanns. Als dreijähriges Kind kam er mit dem Vater nach Böhmen, wo er an verschiedenen Orten (in Eisenberg,
Komotau, Kamnitz und zuletzt in Prag) seine wissenschaftliche und erste musikalische Erziehung erhielt. 1786 ging er nach Wien, und
hier, im fürstlich Lobkowitzschen Hause, hörte ihn der lombard. Fürst Melzi singen und Violoncello spielen, interessierte sich für ihn und
nahm ihn mit nach Mailand, wo er ihn zur höhern Kompositionsausbildung dem damals berühmten Giovanni Battista Sammartini übergab.
In Mailand wurde 1741 G.s erste Oper «Artaserse» aufgeführt. Bis 1745 folgten sieben andere für
verschiedene ital. Bühnen. Dadurch schnell berühmt geworden, wurde er 1745 nach London berufen, wo er 1746 die Oper
«La caduta dei giganti» aufführen ließ: der Text wurde gewählt zur Verherrlichung des soeben über
die schott. Rebellen errungenen Siegs. Die Londoner Opernverhältnisse waren damals zerrüttet; G.s Werke hatten wenig Erfolg, obwohl
sie Aufmerksamkeit erregten. Die bescheidene Rolle, welche G. in London spielte, machte sich ihm um so fühlbarer, wenn er auf Händel
blickte, der gleichzeitig oratorische Werke zu derselben polit. Feier produzierte. Händels Kunst machte einen überwältigenden Eindruck
auf ihn und gab den nachhaltigen Anstoß zu seiner spätern Opernreform. 1747 verlieft G. London, berührte als Musikdirektor der
Locatellischen Operngesellschaft Hamburg, Kopenhagen und Dresden, wandte sich aber 1748 nach Wien, wo er sich nun dauernd
niederließ und von wo ihn nur Reisen zur Aufführung seiner Werke zeitweilig entfernten. Die erste Oper, die er hier auf die Bühne brachte,
war «Semiramide riconosciuta» (1748). Dann folgten in Rom und Neapel
«Telemacco» und «La clemenza di Tito» (1750 und 1751),
darauf in Wien mehrere Gelegenheitsopern, endlich in Rom 1755 «Il trionfo di Camillo» und
«Antigono», infolge deren er vom Papst den Orden vom Goldenen Sporn erhielt. Von da an schrieb
er sich auch Ritter von G. Bis 1762 lieferte er für Wien und Italien noch verschiedene Opern, von denen zuletzt in Bologna
«Il trionfo di Clelia» aufgeführt wurde.
Inzwischen war in ihm wahrscheinlich auf Grund eingehender Bekanntschaft mit der franz. Oper die Überzeugung gereift, daß die ital.
Libretti (namentlich seit Metastasio) schablonenhaft und schlecht wären und daß in der Operndichtung das lyrische Element nicht den
dramat. Grundcharakter beeinträchtigen dürfe. Raniero von Calzabigi ging mit Eifer auf seine Ideen ein und schrieb ihm den nach der
neu gewonnenen Anschauungsweise gearbeiteten Operntext «Orfeo ed Euridice» (zuerst Wien
1762). Ebenfalls von Calzabigi gedichtet waren die Texte zu «Alceste» (1769) und
«Paride ed Elena» (1772). Diese drei Reformopern mit ihren einfacher und knapper gehaltenen
Arien, sorgfältig deklamierten Recitativen und ihrer tiefern Charakterisierung hatten anfangs nicht den durchgreifenden Erfolg, den
Dichter und Komponist erwartet haben mochten; ↔ in andern Werken («Ezio»,
«La Corona» u. a.) wandte sich G. daher wieder mehr der frühern Weise zu. Neu belebt wurde sein
reformatorischer Eifer durch Bailly du Rollet, damals bei der franz. Gesandtschaft in Wien angestellt, der ihm Paris als den Ort nannte,
wo seine Tendenzen die meiste Aussicht auf erfolgreiche Verwirklichung haben würden. G. beriet sich nun mit du Rollet über die
Umgestaltung von Racines «Iphigénie en Aulide» zum Operntext, welche auch von du Rollet ins
Werk gesetzt wurde. G. ging im Spätsommer 1773 selbst nach der franz. Hauptstadt, wo es ihm nach Beseitigung vieler Schwierigkeiten
gelang, 14. Febr. 1774 «Iphigénie» zur Aufführung zu bringen. Der Erfolg erhielt jedoch lebhaften
Widerspruch durch die Anhänger der auf der Großen Oper noch immer herrschenden Schule Lullys und Rameaus und die Vertreter der
ital. Weise. Den Angriffen beider Parteien in der Journalistik stellte sich als Verteidiger G.s namentlich der Abbé Arnaud gegenüber. G.
selbst, um seinen Erfolg zu sichern, bearbeitete rasch «Orphée et Euridice», welche Oper im Aug.
1774 mit großem Erfolg aufgeführt wurde. Sodann ließ er 1775 «L'arbre enchantées» und
«La Cythère assiégée» folgen, jedoch mit geringerm Glück, und endlich bot er 1776 noch eine
Neubearbeitung der «Alceste», zu der du Rollet ebenfalls den Text besorgt hatte. Darauf ging G.
nach Wien zurück und war hier eben beschäftigt, die Quinaultschen Opern «Roland» und
«Armide» in Musik zu setzen, als er erfuhr, daß seine Gegner aus dem ital. Lager den berühmten
Piccinni nach Paris gerufen hatten, der ihm, ebenfalls mit der Oper «Roland», aber von Marmontel
bearbeitet, als Rival entgegentreten sollte. Darüber erbittert, erließ G. in der «Année littéraire» von
1776 einen Brief an seinen Freund du Rollet, in dem er sich heftig über das Verfahren seiner Gegner beklagte und zugleich Piccinni in
ziemlich hochmütiger Weise behandelte.
Das war das Signal zu einem heißen, litterar. Kampfe. Zwei Parteien bildeten sich, die Gluckisten,
an deren Spitze Suard und der Abbé Arnaud standen, und die Piccinnisten, als deren Vorkämpfer
Marmontel, Laharpe, Ginguené u. a. thätig waren. Der Streit rief eine Menge Journalartikel, Pamphlete und Epigramme hervor und
dauerte mehrere Jahre. Jedes neue Werk, das G. oder sein Nebenbuhler Piccinni lieferten, fachte den Kampf von neuem an. Im Sept.
1777 kam G.s «Armide» zur Aufführung, wurde aber nur kühl aufgenommen und fand erst später
gerechtere Würdigung. Dagegen feierte Piccinni mit seinem «Roland» (G. hatte den seinigen liegen
lassen) 1778 einen glänzenden Triumph. Im Mai 1779 wurde G.s «Iphigénie en Tauride» gegeben
und entzückte ganz Paris. Mit diesem Meisterwerke war nun G.s Sieg entschieden. Weder der geringe Erfolg, den fünf Monate später
sein «Écho et Narcisse» fand, noch Piccinnis
«Iphigénie en Tauride», durch welche des deutschen Meisters Werk überboten werden sollte,
konnten den Ruhm schmälern, den G. in der franz. Hauptstadt sich erkämpft hatte. Seit 1780 begann G.s Gesundheit zu wanken, ein
Schlaganfall führte 15. Nov. 1787 in Wien seinen Tod herbei. 1755 hatte er den Titel eines k. k. Kapellmeisters und 1774 den eines
Hof-Compositeurs erhalten. Außer seinen Opern, die auf die Entwicklung der Musik von entscheidendem Einflusse wurden, komponierte
G. nur noch einige Psalmen, Instrumentalsätze und
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 89.