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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gottsched
Adelsstand erhoben. Eine Frucht seiner journalisti-
schen Thätigkeit waren die "Porträts und Studien"
(8 Bde.; Bd. 1,2,5 u. 6: "Litterar. Charaktertöpfe";
Äd. 3 u. 4: "Paris unter dem zweiten Kaiserreich",
Lpz. 1870 - 76), die "Litterar. Totenklänge und
Lebensfragen" (Berl. 1885) und "Studien zur neuen
deutschen Litteratur" (ebd. 1892); ein litterar- und
bühnengeschichtliches Themabehandelt "Das Theater
und Drama der Chinesen" (Bresl. 1887). Als Ly-
riker eröffnete G. 1870 mit seinem in der "Kölnischen
Zeitung" abgedruckten Kriegslied den lyrischen Feld-
zug gegen Frankreich; durch seine Kriegslieder hat
er seinen Ruf als schwunghafter und formbeherr-
schender Dichter bewährt. Seine neuere Lyrik sam-
melte er als "Bunte Blüten. Gedichte" (Lpz. 1891).
Auch die epische Dichtung pflegte er, freilich nicht
ohne reflektierende Elemente weiter in "Maja"
(Bresl. 1864) und in "Merlins Wanderungen"
(ebd. 1888), einer Dichtung, in der das Sagenhafte
und Halbgefchichtliche unter der Herrfchaft eines
philos. Gedankens einheitlich verschmolzen ist. Eine
satir.-humoristische Dichtung ist "König Pharao".
Ferner erschienen von G. die Romane: "Im Banne
des Schwarzen Adlers" (3. Aufl., 3 Bde., Bresl.
1878), "Welke Blätter" (3 Bde., 2. Aufl., ebd. 1878),
"Das goldeue Kalb" (3 Bde., ebd. 1880), "Die Erb-
schaft des Blutes" (3 Bde., ebd. 1882), "Das
Fräulein von Saint-Amaranthe" (3 Bde., Verl.
1881), "Die Papierprinzessin" (3 Bde., Bresl.
1883), "Verschollene Größen" (3 Bde., ebd. 1886),
"Die Tochter Rübezahls" (3 Bde., ebd. 1889), "Der
steinerne Gast" (ebd.1891), "VerkümmerteExistenzen"
(2 Bde., ebd. 1892), "Dämmerungen" (im "Leipziger
Tageblatt" und in der "Nationalzeitung" 1892-93)
und die Novelle "Romeo und Julie am Pregel"
(Lpz. 1892). G.ist ein vielseitiges dichterisches Talent
voll lebendiger Phantasie, reicher Bildung und ent-
schiedenem Formsinn. - Vgl. Silberstein, Rudolf G.
Studie zur Litteratur der Gegenwart (Lpz. 1868);
Moritz Brafch, Rudolf von G. (ebd. 1892).
Gottsched, Joh. Christoph, Gelehrter und
Schriftsteller, geb. 2. Febr. 1700 in Iuditten bei
Königsberg in Preußen, bezog, durch feinen Vater,
cinen Prediger, vorgebildet, bereits 1714 die Uni-
versität Königsberg, wo er erst Theologie, bald
aber ausschließlich Philosophie und die schonen
Wissenschaften studierte und 1723 Magister wurde.
Um dem Militärdienste in Preußen zu entgehen,
flüchtete er 1724 nach Leipzig, wo ihm I. V. Mencke
die Erziehung seines Sohnes anvertraute. 1725
begann G. Vorlesungen über die schönen Wissen-
schaften zu halten, in denen er den damaligen, durch
den Lohensteinschen Schwulst verderbten Geschmack
bekämpfte und dafür die Alten und deren vermeint-
liche Nachfolger, die Franzosen, als Muster empfahl.
Die sehr einflußreiche Poetifche Gefellfchaft zu Leip-
zig, die ihn 1726 zu ihrem Senior wählte, bildete
er 1727 in die noch gegenwärtig, wenn auch unter
andern Formen bestehende Deutsche Gesellschaft um;
doch sagte er sich später von ihr los und stiftete die
Gesellschaft der freien Künste. 1730 wurde G. außer-
ord. Professor der Dichtkunst, 1734 ord. Professor der
Logik und Metaphysik; er starb 12. Dez. 1766 als
Decemvir der Universität und als Senior der philos.
Fakultät und des Großen Fürstenkollegiums.
G. galt und gilt zum Teil noch ats Repräsen-
tant aller und jeder Pedanterie: doch hat er große
Verdienste um die deutsche Litteratur gehabt. Zu
einer Radikalkur für ihre übelstände war niemand
geeigneter als ein so vollkommen nüchterner, phan-
tasieloser, aber mit scharfem Verstand, kritischem
Bewußtsein und ehrlich vaterländischem Eifer aus-
gestatteter Gelehrter wie G., dessen eigentliches Ver-
dienst darin bestand, durch seinen Kampf für Korrekt-
heit und Reinheit des Inhalts und der Form die
hauptfächlichsten Hindernisse hinweggeräumt zu
haben, welche sich der Verbreitung eines edlern und
feinern Geschmacks in Deutschland entgegenstellten.
Mit Unterstützung der Schauspielerin Karoline Neu-
ber, die 1727 mit ihrer Truppe nach Leipzig kam, hat
er vor allem die Bühne dadurch einer bessern Zukunft
entgegenzuführen gefucht, daß er die Haupt- und
Staatsaktionen vom Repertoire entfernte, durch ein
eigens dazu bearbeitetes Stück (1737) den Hans-
wurst förmlich von der Bühne verbannte und mit
feiuer Gattin felbst Stücke verfaßte oder französische
durch Übersetzung für das deutsche Theater ein-
richtete. Mit Glück bekämpfte er auch das lediglich
auf Sinnenreiz berechnete Opernwesen, gegen wel-
ches das höhere recitierende Drama längere Zeit
nicht anfkommen konnte. Leider fehlte ihm ebenso
wirkliche Produktivität wie irgend welches Verständ-
nis für die Bedürfnisse eines größern Publikums,
sodaß seine Einwirkung auf das Theater nicht Dauer
hatte. Sehr erfolgreich zeigte sich der Eifer, mit dem
er neben Thomasius und Wolf, dessen Philosophie
G. anhing, sür den Gebrauch der deutschen Sprache
auch in der wissenschaftlichen Schriftstellers das
Wort führte und für die Ausbildung und Nein-
haltung der hochdeutschen Schriftsprache sowie für
ihre Verbreitung im kath. Süddeutschland wirkte.
Unterstützt wurde seine Thätigkeit durch die um-
fassendsten litterar. Verbindungen, die ihm an fast
allen deutschen Universitäten, vielen Höfen u. s. w.
unmittelbaren Einfluß verschafften. Freilich riefen
seine Einseitigkeiten den notwendigen Gegensatz her-
vor, indem zuerst die Schweizer Bodmcr und Brei-
tinger gegen seine Parteilichkeit für die franz. Regel-
mäßigkeit besonders durch die Empfehlung engl.
Dichter, namentlich Miltons, zu Felde zogen. So
gefchah es, daß seit dem Aufschwünge, den die
deutsche Dichtkunst (seitKlopstock) und Kritik (Lessing)
nahmen, der in seiner Einseitigkeit stark verharrende,
alternde G. fortwährende Niederlagen erlitt und dem
Spott seiner Zeitgenossen verfiel; seine Autorität
war schon vor seinem Tode fast gänzlich gebrochen.
Erst neuere Gelehrte (vor allen Th. W. Danzel)
haben ihm wieder Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Seine schriftstellerische Thätigkeit begann G. mit
den moralisch-kritischen Wochenschriften nach engl.
Muster "Die vernünftigen Tadlerinnen" (2 Bde.,
1725 fg.) und "Der Biedermann" (Lpz. 1727). Von
großer Bedeutung für die wissenschaftliche Litteratur-
geschichte waren seine Zeitschriften: "Beiträge zur
kritischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und
Beredsamkeit" (8 Bde., Lpz. 1732-44), "Neuer
Büchersaal der schöuen Wissenschaften und freien
Künste" (10 Bde., ebd. 1745-54) und "Das Neueste
aus der anmutigen Gelehrsamkeit" (12 Bde., ebd.
1751 - 62); namentlich ist das ausgezeichnete
bibliogr. Sammelwerk, der "Nötige Vorrat zur Ge-
schichte der deutschen dramat. Dichtkunst von 1450
an" (2 Bde., ebd. 1757-65), noch jetzt unentbehr-
lich. "Die deutsche Schaubühne nach den Regeln
und Exempeln der Alten" (6 Bde., ebd. 1741-45;
neue Aufl. 1746-50) enthält an Übersetzungen und
Originalarbeiten das Bedeutendste, was während
G.s litterar. Diktatur für das deutsche Drama ge-
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