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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Griechische Kunst
geringwertigen Nachbildungen erkennen lassen, entsprach der Würde und Hoheit der Gesamterscheinung eine kraftvolle Einfachheit und Strenge der Formengebung, die sich im stilistischen Charakter der Kunstrichtung, wie sie unter andern durch die olympischen Giebelskulpturen vertreten ist, verwandt zeigt. Phidias’ Name ist mit der Staatsverwaltung des Perikles und mit dessen glänzendster Leistung, dem Bau des Parthenon (s. d.), eng verknüpft. Aber es ist zweifelhaft, wie weit Phidias außer der Herstellung der Entwürfe an der plastischen Ausschmückung des Tempels mit eigener Hand thätig gewesen ist. Die Bildwerke selbst, Metopen, Friese und Giebel zeigen durch ihre Verschiedenheiten, daß die Arbeit an mehrere Künstler verteilt war, die unter der Leitung des Phidias standen. Die Metopen, stilistisch den Reliefs vom Theseion verwandt, fallen durch ihre Altertümlichkeit namentlich den Giebelskulpturen gegenüber auf; diese wieder geben ein anderes Bild, als man es nach den erhaltenen Kopien der Athena Parthenos von der Kunst des Phidias gewinnt. Die Figuren sind freier, bewegter und bei aller Großartigkeit der Anlage anmutiger, die Gewänder hängen nicht in schweren Falten herab, sondern schmiegen sich dem Körper an und erzeugen, jeder Linie des Körpers folgend, ein reiches Faltenspiel von unendlicher Pracht und Schönheit (s. die beigefügte Tafel: Skulpturen aus dem Ostgiebel des Parthenon). Wenn es schwer fällt, sich für die Giebelskulpturen einen andern als den größten Meister als Schöpfer zu denken, so geben die anziehenden Friesreliefs (s. Taf. II, Fig. 15) mehr ein Bild von dem allgemeinen Können der attischen Künstlerzunft zu Phidias' Zeit. Dieses Bild wird vervollständigt durch die zahlreich erhaltenen attischen Grabreliefs, von denen die größte Sammlung im Nationalmuseum in Athen ist, hervorragende Stücke sich auch im Berliner Museum befinden (vgl. Conze, Die attischen Grabreliefs, Berl. 1890 fg.); ferner durch die Friese vom Erechtheion und vom Niketempel in Athen, dessen graziöse Balustradenreliefs mit ihren stürmisch bewegten Siegesgöttinnen die feine Technik des attischen Stils am glänzendsten entwickelt zeigen. Weit über die Grenzen der engern Heimat hinaus ist die attische Kunst gedrungen. Im Peloponnes hat sie uns in dem großen Apollotempel zu Bassä, dessen Friese jetzt in London sind (s. Taf. II, Fig. 9), ein stolzes Denkmal hinterlassen, und mitten im lykischen Hochgebirge findet sich ihre Spur in dem Heroon von Giölbaschi (s. d.), in dem Nereidenmonument von Lanthos wieder.
Alkamenes (s. d.) und Agorakritos (s. d.) werden Schüler des Phidias genannt. Auch Päonius (s. d.) geht in dem stolzen Werke seiner schwebenden Nike ganz in den Bahnen dor attischen Kunst. Wie Myron neben Phidias, so steht neben des letztern Schülern Polyklet, der aus der Schule von Argos hervorgegangen war. Von seiner Hand war das kolossale Goldelfenbeinbild der Hera im Tempel von Argos. Aber seine Stärke lag nicht in der Schöpfung von Götterstatuen. Seine Werke waren, wie die des Myron, vorwiegend Athletenstatuen und in Bronze gearbeitet; aber es war in ihnen im Gegensatz zu der Myronischen Kunst die einfache naive Natürlichkeit der Auffassung bereits dem bewußten Streben gewichen, eine für alle Formen allgemein gültige Norm zu finden und so eine Art Musterschönheit zu schaffen. Dieses akademische Princip führte ihn weiter dazu, die Bewegung, nicht wie sie sich in freier Ungezwungenheit natürlich giebt, sondern nach einem Schema zu gestalten, das dem in bestimmte Pose gestellten Modell entnommen ist. Seine Figuren treten immer in derselben Stellung, wie anhaltend im Schreiten, auf, mag nun ein Speerträger (Doryphoros, s. d. und Taf. II, Fig. 16), ein Sieger, der sich mit der Binde schmückt (Diadumenos; s. Taf. II, Fig. 4), oder eine verwundete Amazone (s. die Textfigur beim Artikel Amazonen) dargestellt sein. Dasselbe Motiv der verwundeten Amazone war gleichzeitig von andern Künstlern, von Phidias, Kresilas u. a. behandelt worden; aber während die Polykletische Amazone in sichern Kopien ermittelt ist, schwankt man bei den übrigen, welche dem Phidias, welche dem Kresilas zuzuweisen ist. Von den Werken des Kresilas war eins der berühmtesten eine Porträtstatue des Perikles; der in mehrern Nachbildungen erhaltene Kopf derselben (s. Taf. II, Fig. 12) wirkt bei einer großen Schlichtheit der Ausführung durch die Vornehmheit der Auffassung und die lebendige Charakteristik der Züge. Die Nachbildung eines andern hervorragenden Porträtwerkes dieses Künstlers ist kürzlich in der jetzt in Kopenhagen befindlichen Statue des Dichters Anakreon ermittelt worden.
Die Periode der polit. Zersplitterung nach dem Peloponnesischen Kriege, das Zeitalter der Sophistik, aber auch des Platon und des Menander, ist in der Kunst durch die Namen des Praxiteles und Skopas bezeichnet. Dem Zeitgeist entsprechend liegt in ihrer Kunst und in der Kunst des 4. Jahrh. v. Chr. überhaupt mehr Sinnlichkeit und Pathos, aber auch ein feineres Formengefühl. Die anmutige, noch strenge Figur der Eirene mit dem Kinde Plutos auf dem Arm (s. Taf. II, Fig. 13), von dem Vater des Praxiteles, Kephisodot, kurz nach 375 v. Chr. geschaffen, knüpft unmittelbar an die Kunst des 5. Jahrh. an, ohne viel Neues zu bieten. Um so eigenartiger treten die Schöpfungen feines Sohnes Praxiteles in ihrer strahlenden Schönheit hervor. Je weiter die Kunst in der Verfeinerung fortschreitet, um so weniger können Kopien den Originalen gleichkommen. Wie sehr dies gerade für Praxiteles Geltung hat, lehrt gegenüber einem Werke, wie der Knidischen Aphrodite, von der nur Nachbildungen vorhanden sind (s. die Textfigur 1 beim Artikel Aphrodite), die in Olympia gefundene Marmorstatue des Hermes (s. die Tafel: Hermes. Von Praxiteles, beim Artikel Hermes), sowie der prachtvolle Kopf des Eubuleus. Wenn für Praxiteles’ Werke die bis ins feinste und letzte durchgeführte Vollendung des einzelnen charakteristisch ist, so scheint die Stärke des Skopas mehr in einer gewissen Leidenschaftlichkeit des Schaffens gelegen zu haben. Von der großen Zahl seiner Werke, von der die litterar. Überlieferung berichtet, hat sich bisher nur sehr weniges sicher als von ihm herrührend nachweisen lassen. Über ganz Griechenland ebenso wie in Kleinasien waren Werke seiner Hand verbreitet: Götterfiguren in den Tempeln und große Kompositionen, wie die Giebelgruppen am Tempel zu Tegea. Zusammen mit den Bildhauern Leochares, Bryaxis und Timotheos arbeitete er um 350 v. Chr. den bildnerischen Schmuck für das Mausoleum in Halikarnassos (s. Taf. II, Fig. 6), um 340 v. Chr. an dem Bau des Artemistempels in Ephesus. Auch die Bildwerke am Athenetempel in Priene gingen aus dem Kreis dieser Künstler hervor. Die erhaltenen Überreste dieser Werke (im Britischen Museum zu London) zeigen bei einer außerordentlich geschick-^[folgende Seite]