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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Griechische Kunst
ten Behandlung eine starke Betonung seelischer Affekte; dem entspricht eine über die Natur hinausgeführte Bildung der Formen, die namentlich in den Köpfen charakteristisch hervortritt. Wie diese Kunst das Göttliche im Bilde zu erreichen suchte, zeigt sich vielleicht am glänzendsten in der Statue des Apollon vom Belvedere (s. Taf. III, Fig. 7), die auf ein Original dieser Zeit zurückgeht. So bildeten sich die Typen, auf deren Grundlage die gewaltigen Götterbildwerke der spätern Zeit, die Aphrodite von Melos (s. die Tafel beim Artikel Aphrodite), der Kopf des Zeus von Otricoli sowie der Juno Ludovisi (s. die Tafel: Jupiter Otricoli. - Juno Ludovisi, beim Artikel Jupiter) erwachsen sind. Andere Werke, wie der sog. Pasquino am Palast Braschi in Rom, die Marmorgruppe: Menelaos mit der Leiche des Patroklos (s. Taf. II, Fig. 17) und die der Niobiden (s. Niobe und Taf. II, Fig. 14), schließen sich hier an. Von Skopas’ Genossen am Mausoleum, Bryaxis und Timotheos, sind Originalwerke in Athen und Epidaurus bekannt geworden und vor allem haben die Ausgrabungen in Lykosura die große Göttergruppe des Damophon von Messene ans Licht gebracht, in der Demeter und Despoina mit Artemis und dem Heros Anytos vereint waren, Werke von einer Kraft des Ausdrucks und einer in großem Zuge geführten freien Behandlung, wie man sie bisher in der Kunst des 4. Jahrh. nicht kannte.
Wie in den Meisterwerken macht sich die Neigung für das Effektvolle auch in den Grabmälern dieser Zeit bemerkbar, die lebensgroße Figuren der Verstorbenen in pathetischer Auffassung zeigen. Die Porträtbildnerei, die schon zur Zeit des Perikles in Kresilas einen hervorragenden Vertreter gefunden hatte, nahm besonders seit dem 4. Jahrh. v. Chr., nachdem die Sitte, berühmten Männern Standbilder zu errichten, allgemeiner geworden war, einen bedeutendem Aufschwung. Durch eine schlichte Wiedergabe der Züge und ein kräftiges Erfassen des Charakters zeichnet sich die in mehrern Nachbildungen erhaltene Büste des Platon und die des Thucydides aus. Aber über die ehrliche Einfachheit dieser Porträtbildnerei, die in Silanion ihren hervorragendsten Vertreter hatte, führte das Streben, nicht nur die wirklichen Züge der dargestellten Persönlichkeit wiederzugeben, sondern auch ihren Charakter im Bilde zur Geltung zu bringen, bald hinaus. Von bestimmendem Einfluß auf diesen Wechsel scheint Lysippus (s. d.) gewesen zu sein, in dessen Wirken die Kunst des 4. Jahrh. gleichsam gipfelte. Die Thätigkeit dieses Künstlers ragte in ihren Anfängen noch in die Periode des Praxiteles und skopas hinein und erreichte ihren Höhepunkt in der Zeit Alexanders d. Gr. Äußerlich knüpfte Lysippus an Polyklet an, indem er, aus Sikyon gebürtig, derselben Schule angehörte, aus der zwei Generationen früher dieser hervorgegangen war, und indem er in der Statue seines Äpoxyomenos (s. d. und Taf. II, Fig. 7) einen neuen Kanon schuf, der nun au die Stelle des Polykletischen trat. Lysippus bildete den Kopf kleiner und die Gestalt schlanker: dazu zeigen seine Gestalten Leben in der Bewegung. Alexander d. Gr., so erzählt Plutarch, wollte nur von Lysippus in Stein oder Erz porträtiert sein. Es gab im Altertum mehrere Alexanderstatuen des Lysippus. Von einer ist eine freilich nur mangelhafte Nachbildung in einer im Louvre Zu Paris befindlichen Herme erhalten; es ist ein Charakterkopf, in dem sich ebenso wie in andern ihm verwandten Bildnissen, wie dem des Sokrates, Euripides, Homer (s. Taf. III, Fig. 2), eine ideale Auffassung mit realistischer Wiedergabe verbindet. Immer entschiedener trat nun die Richtung auf das Realistische hervor. Für ihre Ausbildung muß die Erfindung, die Lysippus’ Bruder Lysistratus machte, über dem lebenden Körper eine Gipsform zunehmen und nach dieser zu modellieren, von treibender Kraft gewesen sein. Schon kurze Zeit darauf entstanden Werke, die in der scharfen Betonung des Individuellen, in der Gewandung, in der getreuen Nachbildung selbst aller Zufälligkeiten des Fleisches und der Haut unübertroffen sind, wie die Statue des Sophokles (s. Taf. III, Fig. 1), die des Demosthenes (s. Taf. III, Fig. 4) und der schlafende Satyr (s. Taf. III, Fig. 5).
Lysippus reicht noch ebenso wie Bryaxis und Leochares in die Anfänge der hellenistischen Zeit hinein. Von Leochares gab es im Metroon zu Olympia ein großes Werk, in dem Alexander d. Gr., Philipp und dessen Vater Amyntas in einer Gruppe vereinigt waren, und in den Bahnen, die er und seine Genossen vom Mausoleum beschritten hatten, blieb der Künstler, der die Reliefs an dem kürzlich in Sidon gefundenen (jetzt im Museum zu Konstantinopel befindlichen) Marmorsarkophag geschaffen hat, in dem einst die Leiche Alexanders d. Gr. selbst oder eines seiner Feldherren ruhte, einem Werk ebenso vollendet in der Feinheit der Durchführung, wie von packender Wirkung in den Kampf- und Jagddarstellungen. Dieselben Künstler waren auch noch selbst und durch ihre Schüler an den großen Aufgaben mit beteiligt, welche die an die Eroberungen Alexanders d. Gr. anschließende Gründung der neuen Weltstädte, namentlich Alexandrias und Antiochias, für die Kunst mit sich brachte. Für das Apolloheiligtum in Daphne bei Antiochia arbeitete Bryaxis eine Statue des Gottes. Ein Bild der Stadtgöttin von Antiochia war von Eutychides, dem Schüler des Lysippus. Von Chares aus Lindos, ebenfalls einem Schüler des Lysippus, stammte die eherne Kolossalstatue des Helios auf der Insel Rhodos, und aus Lysippus’ Schule jedenfalls auch die kleine Bronzefigur des Betenden Knaben (s. Taf. III, Fig. 3). Wie in der Architektur, so wendet sich auch in der Bildnerei der Zug auf das Große, Prunkende, Dekorative. Das virtuose Können, mit dem man im Besitz aller technischen Mittel jetzt über jede Art der Darstellungsform und Vortragsweise gebot, und daneben die starke Steigerung des Leidenschaftlichen bestimmen den Charakter der Zeit. In glänzenden Werken werden Siege und Kriegsthaten verherrlicht. Solchem Zwecke diente das Standbild der Nike, welches Demetrius Poliorketes in Samothrake aufstellte als Ruhmeszeichen seines 306 erfochtenen Seesieges (jetzt im Louvre zu Paris). Mehrfach wurde der Sieg über die Gallier, die auf wiederholten Zügen in Griechenland und Kleinasien einbrachen, im Bilde gefeiert. Für den Galliersieg 229 stiftete Attalus I. (s. d.) von Pergamon ein großes Weihgeschenk auf die athenische Akropolis und ein ähnliches auf die pergamenische Burg, welches Giganten-, Amazonenkämpfe und die Schlacht bei Marathon darstellte. Nachbildungen verschiedener Figuren aus diesen Gruppen, in Marmor ausgeführt, sind uns erhalten. Zu einem solchen Denkmal gehörte auch die Statue des sterbenden Galliers (im Kapitolinischen Museum