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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Griechische Litteratur

nun zu einer nach festen Regeln geübten Kunst ausgebildet, deren erste Lehrer in Athen die Syrakusaner Korax und Tisias, dann die sog. Sophisten waren. Seit dem Peloponnesischen Kriege bis zum Untergang der Selbständigkeit Athens trat dann eine Reihe hervorragender Männer teils selbst als Redner bei polit. wie gerichtlichen Verhandlungen, teils als Lehrer der Redekunst und Verfasser von Anklage- oder Verteidigungsreden auf, unter denen folgende zehn nach dem Urteil der Alten die bedeutendsten sind: Antiphon, Andocides, Lysias, Isokrates, Isäus, Lykurgus, Hyperides, Demosthenes, Äschines, Dinarchus. (S. Rhetoren.) Auf dem Gebiete der Philosophie endlich wurde durch die Schüler des Sokrates die Form des Dialogs in die Litteratur eingeführt und durch Plato zur höchsten Vollendung gebracht, während Aristoteles den Dialog nur für seine populären Schriften beibehielt, sonst aber die systematische Darstellungsweise wählte. Auf dem mehr praktischen Gebiete der wissenschaftlichen Thätigkeit sind Hippokrates mit seinen Genossen als Begründer einer wissenschaftlichen Arzneikunde, und Archytas, Meton, Eudoxus als Mathematiker und Astronomen hervorzuheben.

IV. Periode (vom Tode Alexanders bis auf Augustus). Man kann diese als die alexandrinische oder hellenistische bezeichnen; denn Alexandria ist jetzt, dank dem wissenschaftlichen Eifer der ersten Fürsten aus dem Hause der Ptolemäer, die in der Alexandrinischen Bibliothek einen Mittelpunkt gelehrter Studien aller Art schufen, der Hauptsitz aller litterar. Bestrebungen; aber der eigentliche national-hellenische Charakter der Litteratur geht verloren, sie nimmt stattdessen den sog. hellenistischen an, durch den sie sich freilich zu der Stellung einer Weltlitteratur erhoben hat. (S. Hellenisten.) Die Schriftsteller schrieben nicht mehr für ihre Stammgenossen, sondern für den weiten Kreis der Gebildeten, die der Bücher- und Hofsprache (denn diese Stellung nahm jetzt die griech. Sprache außerhalb Griechenlands ein) mächtig waren. (S. Alexandrinisches Zeitalter.) Auf dem Gebiete der Poesie geht fast alle Produktion von der gelehrten Beschäftigung mit den Werken der ältern Dichter, die jetzt mehr und mehr mit philol. Methode behandelt werden, aus; so die epischen Dichtungen des Apollonius und des Rhianus, die Lehrgedichte des Aratus und Nikander, die Hymnen des Kallimachus, die Elegien des Philetas, Hermesianax, Kallimachus, Euphorion, Parthenius u. a., und die Tragödien und Satyrspiele der gewöhnlich unter dem Namen des Siebengestirns (Pleias) zusammengefaßten Dichter. Ein frischer Geist weht nur noch in den Schöpfungen der neuern Komödie. Gleichwohl entsteht und gedeiht in dieser Periode eine neue Dichtgattung, die bukolische Poesie des Theokrit und seiner Nachahmer Bion und Moschus, die in kleinen epischen Bildern (Eidyllia) das Leben der sicil. Hirten mit frischer Naturwahrheit, daneben auch Scenen aus dem Volksleben der Städte zeichnet, deren dramat. Lebendigkeit trotz der mehr epischen Form (meist Hexameter, aber doch Dialog!) an die Mimen des Sophron erinnert. Das Entstehen einer solchen Gattung erklärt sich leicht in einer Zeit, die von Einfachheit und Natürlichkeit weit entfernt war und daher auf künstlichem Wege sich in eine recht naturwüchsige Umgebung zu versetzen liebte. Darum auch das Wohlgefallen dieser Zeit an parodisierenden Dichtungen aller Art (die Sillen des Timon, die Kinäden des Sotades und des Alexander von Ätolien, die Satiren des Menippus, in Prosa mit eingestreuten Versen), sowie an dem fein ausgearbeiteten Epigramm, das von jetzt an die beliebteste und am eifrigsten gepflegte Dichtgattung wird. (S. Anthologie.)

Die Prosalitteratur dieses Zeitalters trägt, wenigstens soweit sie von Alexandria und seinen gelehrten Anstalten ausgeht, den Charakter einer die verschiedensten Zweige des menschlichen Wissens in systematischer Gliederung umfassenden Gelehrsamkeit. Der beste Vertreter dieser Richtung ist Eratosthenes. Namentlich die Philologie oder, wie sie damals hieß, die Grammatik, und die Mathematik machten in Alexandria die gewaltigsten Fortschritte. (S. Grammatiker.) Die Mathematik, bisher meist nur als ein Zweig der Philosophie betrieben, wurde durch eine ganze Anzahl von Geistern ersten Ranges (Euklides, Archimedes, Heron, die Astronomen Aristarchus von Samos und Hipparchus von Nicäa, den Harmoniker Aristoxenus) rasch aus den Elementen zu bedeutender wissenschaftlicher Höhe erhoben und durch die Anwendung auf Mechanik, Astronomie, Optik, Musik zur größten praktischen Bedeutung gebracht. In der Naturgeschichte wurde durch Theophrast, in der Medizin durch Herophilus und Erasistratus, die zwei ersten großen Anatomen des Altertums, beide Begründer eigener mediz. Schulen, Bedeutendes geleistet. - Die Philosophie (s. Griechische Philosophie) fand in den geschlossenen Schulen der Akademiker und Peripatetiker, der Stoiker, Epikureer und Skeptiker eifrige und allseitige Pflege; Athen blieb auch in dieser sowie in der folgenden Periode ihr Hauptsitz; ebenso für die Rhetorik. - Der Geschichtschreibung lieferten zunächst die Feldzüge Alexanders einen reichen und vielfach ausgebeuteten Stoff, und auch in der Folgezeit wurde besonders die zeitgenössische Geschichte eifrig behandelt. Es ist nur ein Denkmal der Geschichtschreibung dieser Periode erhalten in dem nur unvollständig überlieferten Werke des Polybius, das den völligen Untergang der polit. Freiheit Griechenlands und den mächtigen Aufschwung Roms in der Zeit von Anfang des zweiten Punischen Krieges bis zum Sturz des macedon. Königtums mit staatsmännischem Geiste schildert.

V. Periode (von Augustus bis Justinian). Die G. L. tritt ganz in den Dienst des röm. Weltreichs. Rom wird der Mittelpunkt der Wissenschaft wie der Kunst, daher auch der Sammelplatz der griech. Schriftsteller, die sich mehr und mehr dem Geschmack ihrer Herren, insbesondere des den Ton angebenden kaiserl. Hofs, fügen müßen; daneben bleibt noch Athen eine Art hoher Schule für Philosophie und Rhetorik, bis durch die Schließung seiner Schulen durch Justinian auch der letzte Schimmer des alten Glanzes der heidn.-griech. Bildung erlischt. Die Poesie war, abgesehen von dem leichten Spiel des Epigramms, in den beiden ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung fast ganz verschwunden; in der Prosa aber trat, ähnlich wie in der bildenden Kunst dieser Zeit, durch engen Anschluß an die klassischen Muster eine Art Restauration ein, die in der Korrektheit der Form und in einer allerdings etwas künstlichen Eleganz besteht. Den Vorrang behaupten zunächst die Geschichtschreibung und die Rhetorik. Auf jenem Felde sind Männer thätig wie Diodorus, Strabo (bekannter als Verfasser eines großen, noch erhaltenen geogr.