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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Großbritannisches Heerwesen
Aus diesen Gründen wollen die Verwaltungen der
Great-Northern-, der North-British- und der North-
Eastern-Eisenbahn dem Beispiele der Midlandbahn
folgen und die II. Klasse ganz beseitigen, um in
Zukunft nur Züge mit I. und III. Klasse zu fahren.
Die Anzahl der ausgegebenen Saisonbillcts hat sich
nahezu verdreifacht.
Über die Eisenbahnen in den Englischen Ko-
lonien s. die Emzelartikel.
Über die Verwaltung und Beaufsichtigung der
Eisenbahnen in Großbritannien s. Eisenbahnbchör-
ven (Bd. 5, S. 848 d) und Eisenbahnrccht (Bd. 5,
S. 879I>).
Litteratur. Cohn, Untersuchungen über die
engl. Eisenbahnpolitik (2 Bde., Lpz. 1874-75); ders.,
Die engl. Eisenbahnpolitik der letzten zehn Jahre (in:
"Archiv sür Eisenbahnwesen", 18831; Ulrich, Bemer-
kungen hierzu (ebd. 1884,1887,1889); Encyklopädie
des gesamten Eisenbahnwesens, hg. von Roll, Bd. 4
(Wien 1892).
Großbritannisches Heerwesen. I. Land-
hcer. Die Organisation der Armee weicht von der-
jenigen der übrigen curop. Großmächte infolge der
eigenartigen polit. Entwicklung des Staates, seines
ausgedehnten Kolonialbesitzes, seiner mächtig ent-
wickelten Flotte und seiner insularen Lage völlig ab.
Seit 1870 hat Großbritannien versucht, sich dem auf
dem europ. Festlande herrschenden System zu nähern
durch Abkürzung der Dienstzeit und Schaffung von
Reserven, aber nur mit mäßigem Erfolge. Die
militär. Leitung und die eigentliche Kommando-
gewalt hat der Oberbefehlshaber, gegenwärtig Feld-
marschall Herzog von Cambridge, den der König
ernennt. Unter ihm steht ein Generaladjutant,
augenblicklich Generallieutenant ^>ir N. Vuller, als
Generalstabschef. lS. auch Großbritannien und
Irland S. 415 a.) Zu Offizieren werden jetzt junge
Männer von 17 bis 21 Jahren auf Grund einer Ein-
nittsprüfung und nach einjährigem Befuch der Mili-
lärschule zu Sandhurst ernannt; dieselben erhalten
königl. Bestallung ((^0inmi38i0ii) und rücken, wie in
andern Heeren, seitdem 1871 der Stellenkauf ab-
geschafft worden ist,nach dem Dienstalter oder infolge
auf. Nur
wohlhabende Männer können in Großbritannien die
Offizierslaufbahn einschlagen, da das Leben in den
brit. Osfizierkorps sehr kostspielig ist und durch die
in gesellschaftlicher Hinsicht gestellten Anforderungen
beträchtliche Mittel während einer langen Reihe von
Jahren beansprucht. Seit 1870 hatte die Zahl der
Offiziere beträchtlich abgenommen' 1869 waren
10308 bei einer mittlern Heeresstärke von 186 668
Köpfen vorhanden, 1. Jan. 1889 nur 7441 bei
211105 Köpfen. Am 1. Jan. 1893 betrug die
Zahl der wirklich Eingestellten und Dienstthuenden
10255 Offiziere bei 211827 Köpfen.
Die gefamte Streitmacht Großbritanniens besteht
aus dcr regulären Armee nebst Reserve, Miliz,
Ueomanry und Volunteers. ^eit 1891 ist die Be-
zeichnung ^ixililn-^ I'oi'cLZ für Miliz, Ueomanry
und Volunteers aufgehoben. Die Rekrutierung für
die Miliz findet nach ähnlichen Grundsätzen wie für
das stehende Heer statt. Ueomanry und Volunteers
haben ihre eigene Rekrutierung und Verfassung. Ist
z. B. die Zieomanry zu ihren jährlichen Übungen ein-
berufen, fo untersteht sie der Xrm^ ^et, während
die Volunteers dcr Vowuteer ^.ct untergeordnet
sind. Die Rekrutierung der regulären Armee ist ge-
regelt durch die ^Vrm)' Diäciplino auä Reflation
^ct vom 24. Juli 1879, ergänzt durch spätere Ver-
fügungen. Der Eintritt erfolgt durch freiwillige
Werbung; seit 1883 ist ein Lebensalter von 18 bis
25 Jahren notwendig, obwohl auch Ausnahmen
gelten. So waren 1. Jan. 1888 von 103093 Unter-
offizieren und Mannfchaften im Mutterlande 2519
unter 18Jahren. Die Rekrutierungsgefchäfte werden
von 67 Regimentsdistrikten, 12 Artillerie-Hilfs-
distrikten und 3 Rekrutierungsdistrikten (London,
Dublin, Liverpool) ausgeübt. Die Zahl der an-
geworbenen Freiwilligen ist je nach Jahreszeit, ört-
lichen und socialen Verhältnissen verschieden, worin
der Hauptnachteil des ganzen Systems liegt. Auch
der moralische Zustand der Angeworbenen ist ein
sehr ungleicher. Die Dauer der Dienstzeit beträgt
12 Iabre, obwohl der Rekrut zwischen langerund
kurzer Dienstzeit wählen kann. Bei jener bleibt er
12 Iabre unter der Aahne, bei dieser 3-7 Jahre,
um den Rest der 12 Jahre in der Reserve I. Klasse
zu verbringen. Unteroffiziere und Gemeine können
außerdem nach 9 Dienstjahren ein zweites Engage-
ment eingehen und erhalten nach 20jährigem Dienst
bei der Fahne eine Pension. Grundsätzlich müssen
Infanterie, Kavallerie, Artillerie, Genie wenigstens
7 Iah're aktiv dienen, Garde zu Fuß und Hilfsdienste
(Kommissariat, Train, Sanitätswesen u. s. w.) nur
3 Jahre; jedoch giebt es auch hier viele Ausnabmen.
Am 1. Jan. 1893 betrug die Zahl der in der Armee-
rolle Eingeschriebenen, welche zum Dienst heran-
gezogen werden können, 218000 Mann. Der Ab-
gang 1892 betrug bei Unteroffizieren und Mann-
fchaften 38 223 Mann, der Zugang 44343 Mann,
alfo 6120 Mann mehr als der Abgang, sooaß die
Gesamtzahl der Unteroffiziere und Mannschaften
von 203103 in 1892 auf 209 283 gestiegen ist.
Seit 1870 haben Staatsmänner und Militärs durch-
greifende Reformen, fogar Einführung der allge-
^ meinen Wehrpflicht vorgeschlagen - die durch Ge-
setz von 1752 für die Miliz bereits besteht, durch
eine besondere ^ct aber alljährlich auf ein Jahr ein-
geschränkt wird-, allein bisher ohne Erfolg, nach-
dem Kriegsminister und Oberbefehlshabersich gegen
die allgemeine Wehrpflicht erklärt haben.
Das Gebiet Großbritanniens ist in Militärbezirke
eingeteilt, die indessen nichts mit der auf höhern
Truppenverbändcn beruhenden Territorialeintei-
lung anderer europ. Staaten gemein haben. Von
den 10 Militärbezirken Englands umfassen acht
1-15 Regimentsdistrikte, während zwei: Wool-
wich und Alderfhot, lediglich auf die nächste Umge-
bung beschränkt sind. Die Verteilung von England
und Wales auf diese Distrikte ist durch die ^i-m)-
0rä0r vom22.Iuni 1889 geregelt. Schottland bildet
einen einzigen Bezirk mit 10 Negimentsdistrikten,
in dem aber nur 2 Infanteriebataillone stationiert
find. Die Kanalinseln umfassen 2 Bezirke mit ab-
weichender Organisation. Irland nimmt mit 3 Di-
strikten militärisch eine Sonderstellung ein; der
Generalgouverneur hat zugleich den Titel General-
lieutenant; unter seinem Befehl kommandiert ein
General die sämtlichen in Irland stehenden Truppen.
Die Unregelmäßigkeit der Truppeneinteilung auf
brit. Gebiet zeigt sich auch in der Organisation der
Infanterie. Die einzelnen Regimenter wechseln m
der Zusammensetzung von 1 bis 4 aktiven Batail-
lonen; auch werden Miliz- und Volunteersbatail-
lone aus dem Distrikt, dessen Namen sie tragen, mit
ihnen verbunden. Das Regiment bildet keine Kampf-
einheit wie in den andern curop. Armeen.