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Haartuch – Haarwürmer
Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Haartracht'
in Frankreich eingeführte Mode allgemein, das Haar kurz zu scheren, mit dem Barett (s. d.) und der zugehörigen
Calotte (s. d.) zu bedecken, während die Frauen das im Nacken aufgebundene Haar mit einer Haube bedeckten. In der Renaissancezeit
kämmten die Männer das Haar über die Stirn und schnitten es gerade ab. Unter Ludwig XIII. von Frankreich lebte die Mode wieder auf, das Haar lang und lockig
zu tragen, was um die Mitte des 17. Jahrh. zur Einführung der Perücke (s. d.) Veranlassung gab. Unter Ludwig XIV. erreichte diese H. ihren
Höhepunkt, besonders in der Allongeperücke. Diese Frisur, die in Nachahmung franz. Lebensgewohnheiten bald an allen europ. Höfen Mode wurde, bezeichnet
so recht die Steifheit des Ceremoniells und gesellschaftlichen Lebens der damaligen Zeit. Gleichzeitig mit der Perücke wurde, seit 1700, das Pudern derselben
allgemein. Die Frauen trugen zwar keine Perücken, doch brachten sie ihr Haar ebenso mühsam durch untergelegte Kissen, falsche Haare und Drahtgestelle
(s. Fontange) in turmhohe Frisuren. Während die Geistlichkeit das ganze 18. Jahrh. an der Perücke festhielt, ebenso wie noch heute in
England sich die gepuderte Allongeperücke als Zeichen der Amtsfeierlichkeit in Gebrauch erhalten hat, wurde die eigentliche Staatsperücke seit etwa 1710
ebenfalls auf die Initiative Frankreichs hin durch Zopf und Haarbeutel (s. d.) verdrängt; jener erschien mehr militärisch, dieser galt für
modisch und als ein Zeichen der guten Gesellschaft. Bei den Frauen wurde im 18. Jahrh. der Chignon (s. d.) fast allgemein angewendet, die
Stirn dabei mit Löckchen umgeben. Dieser Mode des Zopfes, dessen Zeitalter gewöhnlich von der Mitte des 18. bis Anfang des 19. Jahrh. gerechnet wird, machte
schon die Französische Revolution ein Ende. Anfangs wurde bei der Männerfrisur das schlicht herabhängende, dann das kurz geschnittene Haar eingeführt,
während die Frauen, beeinflußt von der klassizistischen Kunstrichtung der Zeit, vielfach die H. der republikanischen Römerinnen nachahmten. Darauf trugen die
Frauen das auch jetzt noch öfter beliebte kurze Lockenhaar (Tituskopf), welcher Frisur dann die im Nacken herabwallenden Locken folgten; damit kam die Mode,
das Haar lang zu tragen, wieder auf und führte in den dreißiger oder vierziger Jahren zu einer übertriebenen Künstelei im Flechten von Zöpfen und Kräuseln von
Locken. Hieraus ergab sich unter dem Einfluß des zweiten Kaiserreichs die Wiederaufnahme des Chignons und die sehr starke Verwendung falscher Haare. Seit
der Mitte der siebziger Jahre kamen unter dem Einfluß Englands wieder einfache Touren auf, bei welchen meist das Haar in einem Knoten auf dem Scheitel
gebunden wird. Der Verwendung falscher Haare wurde dadurch stark Einhalt gethan. Auch die Sitte, die Stirnhaare zu verschneiden, zu kräuseln und ins Gesicht
zu streichen, ist im Abnehmen. Als Haarputz finden Schleifen sowie Kämme, Haarpfeile u.dgl. aus Edelmetall, Schildpatt oder Perlmutter vielfach Verwendung.
Die Männer trugen um 1830 und 1840 das Haar entweder glatt und sorgfältig gescheitelt oder, als Zeichen freierer Gesinnung, in oft kunstvoller Unordnung.
Diese hat sich zur Zeit nur noch bei jenen erhalten, die äußerlich als Künstler zu erscheinen sich bemühen (Künstlerlocken). Sonst wird das Haar der Männer kurz
verschnitten und mehr oder minder glatt gescheitelt. (S. die Tafeln: Kostüme I–IV.) Vgl. Bysterveld,
↔ Album de coiffures historiques (4 Bde., Par. 1863–65). Über die H. der Geistlichen s.
Tonsur. Über die H. der außereurop. Völker s. die Tafeln:
Afrikanische Völkertypen,
Amerikanische Völkertypen,
Asiatische Völkertypen,
Australische Völkertypen.
Haarwasser von Bühligen und H. mit Chinaextrakt von Heinrich, s.
Geheimmittel.
Haarwechsel, beim Pferde das Ausfallen der langen und dichten Winterhaare und der Ersatz der Haardecke durch Bildung einer
neuen, dünnern im Frühjahr. Während der Zeit des H. sind die Pferde weniger widerstandsfähig gegen Witterungseinflüsse und Krankheiten und bedürfen daher
zu dieser Zeit besonderer Pflege.
Haarwild, in der Jägersprache alle vierfüßigen zur Jagd gehörigen Tiere.
Haarwirbel, s. Haare (animalische, S. 605 b).
Haarwürmer, Nematoden (Nematodes), eine äußerlich
vielgestaltige Ordnung von Rundwürmern, deren Inneres aber einheitlich organisiert ist. An dem oft außerordentlich verlängerten oder fadenartig dünnen Leibe
ist ein besonderer Kopfabschnitt nicht vorhanden; die Körperbedeckung bildet eine sehr widerstandsfähige, glatte, nicht selten auch feingeringelte und dann
beträchtlich verdickte Cuticula, die mit Ausnahme einiger Papillen und Warzen am Kopf- oder Schwänzende keine Anhänge zeigt. Bei den größern Formen der
H. kann man äußerlich mit bloßem Auge vier Längslinien unterscheiden, zwei stärkere seitliche (Seitenlinien) und zwei schwächere mediane (Rücken- und
Bauchlinie). Unter ihr liegt die charakteristisch gestaltete Muskulatur, die aber, lebhaftere Schlängelungen bei den kleinern Arten ausgenommen, den Tieren
eine größere Bewegung kaum gestattet; eine blutführende Leibeshöhle birgt allgemein die innern Organe. Der am vordern Körperpol gelegene Mund führt in
einen geradlinig verlaufenden Darm, der aus zwei Abschnitten, einer muskulösen Speiseröhre und einem zelligen Magendarm, besteht und meist etwas vor der
Schwanzspitze nach außen mündet. Ein Nervensystem ist besonders bei größern Arten in Gestalt eines schmalen um die Speiseröhre gelegenen Faserringes
nachweisbar; das Exkretionsgefäßsystem bilden zwei blind geschlossene, unter den Seitenlinien hinziehende Kanäle, die sich vor dem Kopf vereinigen und nach
außen münden (Porus excretorius). Die Geschlechter sind getrennt, Männchen und Weibchen schon äußerlich
unterscheidbar, indem die erstern bei oft bedeutend geringerer Körpergröße meist ein spiralig eingerolltes Schwanzende besitzen, während des Weibchens
Hinterleib schlank endet. Die Geschlechtsdrüsen sind einfache (Männchen) oder dicht hinter der Mündung gegabelte (Weibchen), vielfach aufgerollte und
gewundene Schläuche, die mitunter das 10–20fache der Körperlänge erreichen und in ihrem untern Ende Sammelort für die gebildeten Geschlechtsstoffe sind.
Die Männchen tragen an der Geschlechtsöffnung vielfach einen oder zwei feine Chitinstäbe (Spicula), die als Hilfsorgane
bei der Begattung dienen. Die H. sind teils eierlegend, teils lebendig gebärend und zeigen teilweise eine außerordentliche Fruchtbarkeit: ein Weibchen des
gemeinen Spulwurms birgt in seinen Geschlechtsorganen rund 64 Mill. Eier, und das Gewicht derjenigen, die innerhalb eines einzigen Jahres erzeugt und
abgelegt werden, beträgt etwa das 1740fache
Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 614.