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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Haftpflichtgesetze
Dampfschiffahrts unternehmungen bei Tötungen und
Verletzungen, das engl. Gesetz, betreffend die Haft-
pflicht gewerblicher Unternehmungen (43 u. 44 Vict.
<^p. 42) vom 7. Sept. 1880. Nach dem Deutfchen
Reichsgesetz haftet der Betriebsunternehmer einer
Eisenbahn (nach der Rechtsprechung des Reichs-
gerichts auch einer Pferdeeisenbahn), wenn bei deren
Betrieb ein Mensch getötet oder körperlich verletzt
wird, für den dadurch entstandenen Schaden, sofern
der Betriebsunternehmcr nicht beweist, daß der Un-
fall durch höhere Gewalt oder durch eigenes Ver-
schulden des Getöteten oder Verletzten verursacht ist
<§. 1). Wer ein Bergwerk, einen Steinbruch, eine
Gräberei oder eine Fabrik betreibt, haftet, wenn
ein Bevollmächtigter oder ein Repräsentant oder
eine zur Leitung oder Beaufsichtigung des Be-
triebes oder der Arbeiter angenommene Person
durch einVerschulden in Ausführung der Dienst-
verrichtungen den Tod oder die Körperverletzung
eines Menschen herbeigeführt hat, für den dadurch
entstandenen Schaden (§. 2). Der Schadenersatz
(§§. 1 u. 2) ist zu leisten im Falle der Tötung
durch Ersatz der Kosten einer versuchten Heilung
und der Beerdigung, sowie des Vermögensnach-
teils, welchen der Getötete während der Krankheit
durch Erwerbsunfähigkeit oder Verminderung der
Erwerbsfähigkeit erlitten hat. War der Getötete
zur Zeit seines Todes vermöge Gesetzes verpflichtet,
einem andern Unterhalt zu gewähren, so kann
dieser insoweit Ersatz fordern, als ihm infolge des
Todesfalles der Unterhalt entzogen wird. Im Fall
einer Körperverletzung ist Ersatz der Heilungs-
tosten und des Vermögensnachteils zu gewähren,
welchen der Verletzte durch eine infolge der Ver-
letzung eingetretene zeitweise oder dauernde Er-
werbsunfähigkeit oder Verminderung der Erwerbs-
fähigkeit erleidet (§. 3). Vertragsbestimmungen (in-
sonderheit Reglements), durch welche derartige An-
sprüche im voraus ausgeschlossen oder beschränkt
werden, haben keine rechtliche Wirkung (§. 5). Das
Gericht hat unter Würdigung aller Umstände nach
freiem Ermessen über die Höhe des Schadens sowie
darüber zu erkennen, ob, in welcher Art und in
welcher Höhe Sicherheit zu bestellen ist. Als Ersatz
für den zukünftigen Unterhalt oder Erwerb ist,
wenn nicht beide Teile über die Abfindung in Kapi-
tal einverstanden sind, in der Regel eine Rente zu-
zubilligen. Wenn sich die Verhältnisse, welche für
die Zuerkennung, Feststellung der Höhe der Rente,
derenMinderung oder Aufhebung maßgebend waren,
nachträglich ändern, tann der Verpflichtete oder der
Verletzte Aufhebung oder Minderung, bez. Erhöhung
oder Wiedergewährung der Rente fordern (§. 7).
Die Forderung auf Schadenersatz verjährt in zwei
Jahren, welche auch gegen Minderjährige mit Aus-
schluß der Wiedereinsetzung laufen (§. 8). über
Unterbrechung der Verjährung entscheidet das
bürgerliche Gesetz. Die Bestimmungen der Landes-
gesetze, nach welchen außer den in dem Hastpflicht-
gesetz vorgesehenen Fällen der Unternehmer einer
in den §§. 1 u. 2 bezeichneten Anlage oder eine
andere Person, insbesondere wegen eines eigenen
Verschuldens, für den bei dem Betriebe der Anlage
durch Tötung oder Körperverletzung eines Men-
schen entstandenen Schaden haftet, bleiben unbe-
rührt. Die Vorschriften der §§. 3, 7, 8 finden auch
in diesen Fällen Anwendung, unbeschadet derjenigen
Bestimmungen der Landesgesetze, welche dem Be-
schädigten einen höhern Ersatzanspruch gewähren.
Das Gesetz hat eine Einschränkung erfahren durch
die Gesetze über Arbeiterversicherung (s. d.). Nach
dem Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884,
§. 95 können die nach Maßgabe dieses Gesetzes
versicherten Personen und deren Hinterbliebene
einen Anspruch auf Ersatz des infolge eines Unfalls
erlittenen Schadens nur gegen diejenigen Betriebs-
unternehmer, Bevollmächtigten oder Repräsentan-
ten, Betriebs- oder Arbeiteraufseher geltend machen,
gegen welche durch strafgerichtliches Urteil festge-
stellt worden ist, daß sie den Unfall vorsätzlich her-
beigeführt haben. In diesem Fall beschränkt sich
der Anspruch auf den Betrag, um welchen die den
Berechtigten nach den bestehenden gesetzlichen Vor-
schriften gebührende Entschädigung diejenige über-
steigt, auf welche sie nach dem Unfallversicherungs-
gesetz Anspruch haben. Die Vetriebsunternehmer,
Bevollmächtigten oder Repräsentanten, Betriebs-
oder Arbeiteraufseher, gegen welche durch strafge-
richtliches Urteil festgestellt ist, daß sie den Unfall
vorsätzlich oder durch Fahrlässigkeit mit Außeracht-
lassung der Aufmerksamkeit, zu der sie vermöge
ihres Amtes, Berufs oder Gewerbes besonders
verpflichtet sind, herbeigeführt haben, haften für
alle Aufwendungen, welche im Falle eines Unfalls
auf Grund des Unfallversicherungsgesetzes oder
des Gesetzes betreffend die Krankenversicherung
der Arbeiter von den Berufsgenossenschaften oder
Krankenkassen gemacht sind. Ebenso als Vetriebs-
unternehmer eine Aktiengesellschaft, eine Innung
oder eingetragene Genossenschaft für die durch ein
Mitglied ihres Vorstandes, eine Handelsgesell-
schaft, Innung oder eingetragene Genossenschaft
für die durch einen der Liquidatoren herbeigeführ-
ten Unfälle (§. 96). Die Haftung tritt ohne Fest-
stellung durch strafgerichtliches Urteil ein, wenn
solche wegen Todes, Abwesenheit des Betreffenden
oder aus einem andern in dessen Person liegenden
Grunde nicht erfolgen kann (§. 97). Die Haftung
dritter, in den ߧ. 95 u. 96 nicht bezeichneter Per-
sonen, welche den Unfall vorfätzlich herbeigeführt
oder durch Verschulden verursacht haben, bestimmt
sich nach den bestehenden Vorschriften. Jedoch geht
die Forderung der Entschädigungsberechtigten gegen
den Dritten auf die Berufsgenossenschaft insoweit
über, als die Verpflichtung der letztern durch das
Unfallversicherungsgesetz begründet ist (§. 98). Die-
selben Bestimmungen sind enthalten in den die ge-
setzliche Unfallversicherung auf andere Kategorien
ausdehnenden Gefetzen. Das Fürsorgegesetz für
Beamte und Personen des Soldatenstandes vom
15. März 1886 enthält überdies in §. 8 die Bestim-
mung, daß die dem Verletzten oder dessen Hinter-
bliebenen auf Grund §. 1 des Haftpflichtgesetzes
gegen Eisenbahnunternehmer zustehenden Ansprüche
auf die Betriebsverwaltung, welche dem Verletzten
oder dessen Hinterbliebenen auf Grund dieses
Gesetzes oder anderweiter reichsgesetzlicher Vor-
schrift Pensionen, Kosten des Heilverfahrens, Ren-
ten oder Sterbegelder zu zahlen hat, in Höhe
dieser Bezüge übergehen. Weiter gehende Ansprüche
als auf diese Bezüge stehen dem Verletzten und
dessen Hinterbliebenen gegen das Reich und die
Vundesstaaten nicht zu.
Über die im einzelnen nicht immer klare Ab-
grenzung der Ansprüche aus dem Haftpflichtgesetze
gegenüber den Bestimmungen der Versicherungs-
gesetze sind bereits eine Anzahl reichsgericktlicker
Entscheidungen erlassen.