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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Handelsverträge
Princip allgemein zur Geltung gelangt; eine Aus-
nahme hiervon bilden nur gewisse Verträge mit
halbcivilisierten Völkern. Die Verwirklichung des
erstgenannten Grundsatzes hat zur Folge, daß die
meisten neuern H. sich nicht darauf beschränken, neben
dem höhern allgemeinen (Geueral-)Tarif einen
Vertrags-(Konventional-)Tarif mit niedri-
gern Sätzen für bestimmte Ein- bez. Ausfuhrgegen-
stände zu Gunsten des Vertragsstaates zu verein-
baren, sondern außerdem auch die sog. Meistbeg ü n -
stigungsklausel in den Vertrag aufnehmen, durch
welche bestimmt wird,daß hinsichtlich des Zollverhält-
nisses von keinem der vertragschließenden Teile dritte
Staaten günstiger als der andere Teil behandelt
werden dürfen. Nicht selten bildet übrigeus diese
Klausel die einzige Tarifbegünstigung des Vertrags
überhaupt, indem von besondern Zollermäßigungen
Abstand genommen wird.
Vereinzelt ist das Verfahren zur Geltung gelangt,
nach welchem ein Staat neben seinem Generaltarif
selbständig einen sog. Minimaltarif aufstellt, wel-
cher dann auf die Waren derjenigen Länder Anwen-
dung findet, die den heimifchen Waren entsprechende
Vorteile gewähren und auf dieselben die niedrigsten
Tarife anwenden (franz. Zolltarif vom 12. Acm.
1892). Wenn übrigens das System der H. die Ver-
tragstarife an die Stelle der autonomen Tarife setzt,
so folgt hieraus nicht, daß letztere immer hochfchutz-
zölluerische Zwecke verfolgen. Vielmehr kann nach
dem Beispiele Englands auch der Freihandel ver-
mittelst niedriger autonomer Tarife, für welche dann
seitens des Auslandes die Meistbegünstigung ge-
währt wird, zur Durchführung gelangen, wie denn
überhaupt viele Vertreter der Freihandelsschule
keine vertragsmäßige, sondern eine autonome Tarif-
herabsetzung gefordert haben. Andererseits können
die vereinbarten Zollsätze, namentlich infolge vor-
herigen übermäßigen Hinauffchraubens des allge-
meinen Tarifs, trotz ihrer mäßigern Höhe immer
noch einen hochschutzzöllnerifchen Charakter tragen.
Wenn nun auch beim Inhalt der neuzeit-
lichen H. der Schwerpunkt fast stets auf der Fest-
stellung des Zollverhältnisses beruht, sei es daß die-
selbe lediglich durch Aufnahme der Meistbegünsti-
gungsklausel oder aber durch besondere Verein-
barungen erfolgt, so pflegen doch die H. daneben
noch eine Neihe von Bestimmungen zu enthalten,
welche gleichfalls für den internationalen Verkehr
von Bedeutung sind. Unter ihnen sind namentlich
folgende bemerkenswert. Die Gewähruug der Han-
delsfreiheit verpflichtet die Vertragsstaaten, den
aegenfeitigen Verkehr zwifchen ihren Ländern durch
keinerlei Einfuhr-, Ausfuhr- oder Durchfuhrverbote
zu hemmen; gewisse Ausuahmen werden besonders
ausbedunqen. Die sog. Steuerklauseln berücksich-
tigen die Möglichkeit, daß der Vertragsstaat eine
neue innere Steuer oder einen Zuschlag zu innern
Steuern legt; es kann dann der betreffende Gegen-
stand mit einer gleichen oder entsprechenden Abgabe
bei der Einfuhr belegt werden. Regelmäßig findet,
vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen, eine Gleich-
stellung der Ausländer mit den Inländern statt,
sofern es sich handelt um den Betrieb und die Ab-
gaben vom Gewerbe und Handel und die sonstige
innere Besteuerung, ferner um die Benutzung der
Landstraßen, Eisenbahnen, Flüsse, Kanäle, Brücken
und anderer Verkehrsmittel. In Fällen eines regel-
mäßigen Schissahrtsverkehrs zwischen den Vertrags
staaten werden gleicherweise Bestimmungen über die
Abgabenvcrhältnisse und die Zulassung der Fahr-
zeuge, die Meßbriefe u. s. w. getroffen. Weitere
Abmachungen betreffen Einzelheiten über die zoll-
amtliche Behandlung der Waren, Erleichterungen
im Grenzverkehr, die gegenfeitige Zulassung von
Konsuln, die Einsetzung von Schiedsgerichten zur
Entscheidung von Streitigkeiten über die Vertrags-
bestimmungen, die Dauer des Vertrags (Festsetzung
einer mehrjährigen Geltungsdauer und der Kün-
digungsfristen) u. s. w. Zum Zwecke gemeinsamer
Vorschriften über die Steuerkontrolle pflegt wohl ein
fog. Zollkartell abgeschlossen zu werden. Nicht
selten werden auch Vereinbarungen über den gegen-
seitigen Marken- und Musterschutz, über Viehseuchen
u. s. w. mit dem Vertrage verbunden. Ilm zu ver-
hüten, daß Waren aus einem Nachtvertragsstaate
die Vorteile der Tarifbegünstigung genießen, sind
den Zollämtern über die Vertragsländischen Waren
Ursprungszeugnisse beizubringen, in denen von dor-
tigen Konsulaten, Handelskammern, Polizei- oder
Ortsbehörden bescheinigt wird, daß die Waren wirk-
lich Erzeugnisse des Vertragsstaates bez. durch
Zablung des dortigen Zolles naturalisiert sind.
Die Ausbildung der neuern Handels-
vertragssysteme, als deren Vorlänfer schon der
engl.-franz. sog. Edensche Handelsvertrag von 1786
und in gewissem Sinne auch der Deutsche Zollverein
bezeichnet werden können, beginnt mit dem Ab-
schluß des Handelsvertrags zwischen England und
Frankreich von 1860, dessen Vereinbarungen nach
den oben angedeuteten Gesichtspunkten getroffen
sind und dem sich die spätern, gleichfalls mehr
oder weniger in freihändlerischer Richtung sich be-
wegenden H. als ihrem Vorbilde angeschlossen
haben. Indem nämlich, unter Tarifermähigungen,
weitere H. mit den meisten andern europ. Staaten
solgten (prenß.-franz. Handelsvertrag von 1862),
welche sich gegenseitig die Meistbegünstigung zuer-
kannten, bildete sich in den sechziger Jahren allmäh-
lich ein umfassendes freihändlerischcs Wirtschafts-
gebiet aus (System der westeuropäischen H.).
Der weitere Fortschritt in dieser Richtung wurde
indessen zu Anfang der achtziger Jahre insofern
unterbrochen, als Frankreich die damals ablaufen-
dcn Verträge nur unter der Bedingung von Zoll-
tariferhöhungen erneuerte. Deutschland beteiligte
sich an diesen neuen Vertragsabschlüssen überhaupt
nicht. Es hatte 1879 einen autonomen Zolltaris
aufgestellt und nur Italien, Spanien, Griechenland
und der Schweiz einige Erleichterungen gewährt.
Mit den meisten andern Staaten stand es lediglich
im Meistbegünstigungsverhältnis, welch letzteres
übrigens infolge einer ganzen Reihe von H. die
meisten europ. und außereurop. Länder verbindet.
(S. unten die Übersicht, S. 758 a fg.) Deutschland
und Frankreich waren durch Art. 11 des Frankfur-
ter Iriedeusvertrags die unkündbare Verpflichtung
eingegangen, sich in den gegenseitigen Handels-
beziehungen auf dem gleichen Fnße mit England,
Belgien, den Niederlanden, der Schweiz, Österreich
und Rußland zu behandeln. Die zollpolitisch vor-
teilhafte Lage, in welcher sich Deutschland dadurch
befand, daß es für sich im wesentlichen freie Hand
hatte, wäbrend es doch infolge des Meistbegünsti-
gungsrechts in vollem Maße an den Vergünstigun-
gen der europ. Konventionaltarife teilnahm, er-
reichte ihr Ende mit dem 1. Febr. 1892, dem Ter-
min, bis zu welchem die franz. und die Mehrzahl
der übrigen europ. Tarifverträge abgeschlossen dez.