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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Jünglingsbund; Jünglingsvereine

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Jünglingsbund - Jünglingsvereine

fallend eigentlich erst um die Mitte der Kindheit. Schon hier beginnt der Knochenbau der Knaben wesentlich stärker, die Muskulatur kräftiger, die Formen weniger gerundet und eckiger zu werden. Schon jetzt beginnt bei den Knaben das Bauchatmen, bei den Mädchen das Brustatmen vorzuwiegen, auch die Stimme bei den Knaben eine etwas tiefere Lage einzunehmen.

In allmählicher Ausbildung dieser Unterschiede rückt die Zeit heran, in welcher die Geschlechtsthätigkeit beginnt. Bis dahin sind beide Geschlechter rasch in die Länge, weniger in die Breite gewachsen; von jetzt ab geschieht das Längenwachstum weniger schnell, und der Körper nimmt mehr an Breite und Fülle zu. Die Ausbildung des Knochengerüstes und der Muskeln wiegt beim Jünglinge bedeutend vor, seine Brust wird breit, der Kehlkopf ist stark entwickelt und die Stimmlage geht, oft ziemlich schnell, um eine Oktave und mehr herab; Bart- und Schamhaare sprossen, die Bildung des Spermas beginnt. Bei der Jungfrau füllen und runden sich die Formen immer mehr ab, das Becken gewinnt an Umfang, die Fortpflanzungsorgane bilden sich aus. Wie im ganzen Habitus und in den Gesichtszügen prägt sich auch im Charakter, in der geistigen und gemütlichen Sphäre der Unterschied immer stärker aus, der sich später zwischen Mann und Frau so ausgesprochen geltend macht.

Das rasche Wachstum, die Umgestaltung von Körper und Seele, der Eintritt neuer Körperthätigkeiten können zahlreiche Störungen im Gesundheitszustand bedingen. Häufig sind bei kräftigen Individuen Blutwallungen nach dem Kopf (Kopfweh, Nasenbluten), nach der Brust (Beklemmung, Herzklopfen, wirkliche Herzerkrankung, Bluthusten, Brustentzündung, Tuberkulose), bei den Mädchen nach den Geschlechtsorganen (Schwere und Druck im Kreuz, Schmerzen vor dem Eintritt der Regel). Typhus und Rheumatismus sind gewöhnliche Krankheiten, im allgemeinen die Erkrankungen häufig, die Sterblichkeit indes unbedeutend. Die rasche Entwicklung des Gehirns ist oft verknüpft mit extravaganter Stimmung, unklarem Schwärmen, religiösen und geschlechtlichen Verirrungen und häufig unmotiviertem Lebensüberdruß. Daher die in diesem Lebensalter ausbrechende Melancholie, der erotische und religiöse Wahnsinn, der Veitstanz, der Beginn der Epilepsie, bei Mädchen hysterische Krämpfe u. dgl., ferner Bleichsucht, Knochenleiden. Schwächliche erstarken aber hinwieder oft und frühere Leiden heilen. Eine zu angestrengte körperliche und geistige Thätigkeit, geschlechtliche Aufregung muß vermieden, verkehrter Geistesrichtung energisch entgegengewirkt werden. Schwächlinge bedürfen besonderer Pflege: methodischer Übung der Kräfte, guter Luft, kräftiger Nahrung.

Jünglingsbund, eine 1821 gestiftete geheime Verbindung auf den deutschen Universitäten, die nach dem Muster ital. Geheimbünde in kleine Zirkel zerfiel, unbedingten Gehorsam gegen die Obern forderte und sich den Umsturz der bestehenden Verfassungen und die Souveränität des Volks zum Ziel setzte. Die Regierungen schritten seit 1823 gegen den J. ein.

Jünglingsvereine, evangelische, freie Vereinigungen junger Männer auf Grund christl. und vaterländischer Gesinnung, gingen aus dem Bedürfnis hervor, die heranwachsende Jugend, insbesondere des Handwerker- und Kaufmannsstandes, vor unsittlicher und antichristl. Einwirkung zu bewahren. Sie stehen meist unter Leitung von Geistlichen und wahren den konfessionellen Charakter. Der erste evang. Jünglingsverein entstand 1831 in Bremen. Neuerdings gliedern sie sich vielfach in Jünglingsabteilungen für reifere Altersstufen und in Jugendabteilungen für das Alter von 14 bis 17 J. Wöchentlich mindestens einmal, am Sonntag Abend, versammeln sie sich in den evang. Vereinshäusern und Herbergen zur Heimat. Erbauung, Belehrung, Unterhaltung wird in der Form von biblischen Besprechungen, Gebetsandachten, Vorträgen aus allen Gebieten des Wissens, Erörterungen, Unterrichtskursen in Sprachen, Zeichnen, Stenographie, Buchführung u. s. w. geboten, ferner durch Bibliotheken, Gesang, Turnen, harmloses Spiel, Deklamationen und kleinere Aufführungen. Tanz, Kartenspiel, Branntweingenuß ist ausgeschlossen. Wandernde Mitglieder erhalten ein Wanderbuch und werden mit Logis und Beköstigung unterstützt. Stellenvermittelung findet hier und da statt. Spar- und Krankenkassen sind weit verbreitet; größere Krankenkassen, auch für verwandte Vereine, bestehen als eingetragene Hilfskassen in Berlin und Elberfeld. Besonders rege ist die Teilnahme an Werken der Innern Mission, wie Sonntagsschulen, Schriftenverbreitung, religiös-sittlicher Einwirkung auf Alters- und Standesgenossen. Die J. Deutschlands zerfallen in Kreis- oder Gauverbände, die in acht landschaftlich abgegrenzte Bündnisse mit Bundespräses und Bundeskomitee zusammengefaßt sind. Der älteste und größte Bund ist der 1848 gegründete Westdeutsche (Vorort Elberfeld). Daneben bestehen: der Ostdeutsche Bund, mit dem Sitz in Berlin, der Norddeutsche (Vorort Hamburg), der Sächsische Bund (Dresden), der Südostdeutsche (schlesische), der Thüringische, der Süddeutsche (Vorort Stuttgart), der Elsaß-Lothringische (Straßburg). Außerdem bestehen noch etwa 300 Vereine ohne Anschluß an größere Bündnisse. Die Gesamtzahl der J. in Deutschland beträgt 1893 etwa 1400 mit gegen 76000 Mitgliedern. Nationale Konferenzen der Bundesvorstände finden alle zwei Jahre in Eisenach statt.

Die J. der verschiedenen Länder, die besonders in England und Amerika verbreitet sind, bilden zusammen einen Weltbund, der 1855 bei der Konferenz in Paris, unter Wahrung der nationalen und kirchlichen Eigenart der einzelnen Länder, begründet wurde. Die Leitung liegt in der Hand des Internationalen Centralkomitees in Genf. Von dort aus und durch die alle vier Jahre stattfindenden Weltkonferenzen wird die Sache der J. gefördert. Die deutsche Schweiz zählt 210 Vereine, die franz. Schweiz 175; Holland 650, Norwegen 133, Schweden 70, Dänemark 110, Belgien 40, Frankreich 82, Rußland 12, Spanien 12; in England und Amerika nennen sich die Vereine "Young men's Christian Associations^[fehlt: "]. Der Weltbund der J. umfaßt jetzt: 55 nationale Bündnisse mit etwa 5000 Vereinen und 600000 Mitgliedern.

Organe der deutschen J. sind: "Der Jünglingsbote" (Elberfeld), "Der Bundesbote" (Berlin), "Der Sächsische Jünglingsbote" (Dresden), "Der Norddeutsche Bote" (Hamburg).- Vgl. Krummacher, Die evangelischen J. in den verschiedenen Ländern der Erde (Elberf. 1881); ders., Lebensbilder von Freunden und Förderern der evangelischen J. (Gütersloh 1882); Schwanbeck, Die J. (Gotha 1890); Tiesmeyer, Die Praxis des Jünglingsvereins (2. Aufl., Bremen 1890); Bundeskalender für evang. Jüng-^[folgende Seite]