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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Landwirtschaftliches Betriebssystems; Landwirtschaftliche Schriftsteller des Altertums; Landwirtschaftliche Vereine

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Landwirtschaftliches Betriebssystem - Landwirtschaftliche Vereine

Eine viel weniger befriedigende Organisation hat bisher der Mobiliar- und Personalkredit gesunden. Der Mobiliar- oder Lombardkredit leidet unter der Schwierigkeit, die landwirtschaftlichen Produkte aufzubewahren und zu transportieren. Die erforderlichen öffentlichen Lagerhäuser sind in Deutschland erst vereinzelt errichtet worden. Der Personalkredit ist den Landwirten im ganzen deshalb weniger leicht zugänglich als andern Berufsklassen, weil ihr Vermögen hauptsächlich aus Immobilien besteht, deren Realisierung, d. h. freiwilliger oder zwangsweiser Verkauf, meist längere Zeit erfordert. Bankinstitute befinden sich in Deutschland nur in den größern Städten, sie haben thatsächlich allein für den Großgrundbesitz Bedeutung und gewähren auch meist auf zu kurze Termine Kredit. Von den bestehenden Realkreditinstituten haben nur wenige zugleich Einrichtungen für den Personalkredit geschaffen. Hauptsächlich kommen hier nur die landschaftlichen Darlehnskassen zu Berlin, Königsberg, Danzig und Breslau und einige Sparkassen in Betracht. Die Lückenhaftigkeit der Kreditorganisation hat daher bewirkt, daß die Landwirte, namentlich die Bauern, in vielen Gegenden durch Kapitalisten der niedrigsten Sorte ausgebeutet werden. (S. Wucher.) Aus dem Kampf gegen den Wucher sind andererseits in neuerer Zeit örtliche Genossenschaften hervorgegangen, die vornehmlich dem Personalkredit ihrer Mitglieder dienen und sich als die wirksamsten Heilmittel gegen die Bewucherung erwiesen haben. Es sind dies die nach ihren geistigen Schöpfern benannten Raiffeisenschen Darlehnskassenvereine (s. d.) und die Schulze-Delitzschschen Vorschuß- und Kreditvereine (s. d.).

Da die Ausbreitung dieser Verbände nicht selten, namentlich in solchen Gegenden, welche einen wenig zahlreichen und räumlich zerstreuten Bauernstand haben, große Schwierigkeiten findet, sind neuerdings mannigfache Reformvorschläge für den anderweitigen Ausbau der ländlichen Kreditorganisation aufgetaucht. Man denkt namentlich an die stärkere Decentralisierung der bestehenden landschaftlichen, staatlichen und kommunalen Kreditinstitute, unter gleichzeitiger Schaffung von lokalen Filialen für den Personalkredit, die jedoch da wegfallen können, wo schon örtliche Kreditvereine bestehen. Es ist indessen wahrscheinlich, daß das Problem der bessern Kreditorganisation nicht anders als im Zusammenhang mit der andern Frage eine Lösung finden wird, wie der zunehmenden Verschuldung der Landwirte zu steuern sei. Seitdem Rodbertus 1868 zuerst darauf hingewiesen hat, ist es durch alle neuern Untersuchungen bestätigt worden, daß die große Menge aller Hypothekenschulden der Landwirte nicht produktiv wirkenden Kreditgeschäften, sondern dem Besitzkredit entstammt, d. h. aus rückständigen Kaufgeldern oder eingetragenen Erbteilen besteht. Die eingetragenen Kapitalien sind also der Landwirtschaft als solcher niemals zugeflossen; ihre Verzinsung ist ein bloßer Abzug vom Reinertrag, ohne daß dieser Verzinsung ein mit Hilfe der Schuldaufnahme erhöhter Ertrag gegenüber stände. Nach den Erhebungen im Königreich Preußen kann man annehmen, daß der bäuerliche Grundbesitz im Durchschnitt bereits die Verschuldung des ersten und besten Wertdrittels seines Grundbesitzes vollendet hat und anfängt, das zweite Drittel fortzugeben, daß hingegen der größere Grundbesitz schon über die Hälfte seines Wertes hinaus verschuldet ist. Dabei steigt die Verschuldung trotz rückgängiger Preiskonjunkturen unaufhörlich (s. Hypothekenschulden), und es ist zu fürchten, daß die Landwirtschaft einem Zustande entgegengeht, bei welchem die Mehrheit ihrer Angehörigen als überschuldet gelten muß. Das aus der internationalen Konkurrenz hervorgegangene Sinken der Getreidepreise hat, eben wegen der bestehenden hohen Belastung der Landwirte die schwere Krisis zur Folge gehabt, welche in allen vorwiegend Getreide bauenden Gegenden ausgebrochen ist. Unter dem Eindruck jener Krisis sind verschiedene Pläne vor die Öffentlichkeit getreten, welche das bestehende Agrarrecht durch Einführung von Verschuldungsbeschränkungen reformieren wollen. Zu den meistbesprochenen gehört der Vorschlag eines Heimstättenrechts (s. Heimstättengesetze) und die Schäfflesche Idee einer Inkorporation des Hypothekenkredits, d. h. der Gründung von landwirtschaftlichen Zwangsgenossenschaften, die nicht nur Kredit vermitteln, sondern auch die ganze Kreditgebarung ihrer Mitglieder unter Ausschluß alles Besitzkredits überwachen und unter Umständen die Grundstücke der Schuldner übernehmen und verpachten sollen. Soll die Festsetzung von Verschuldungsgrenzen praktisch große Bedeutung erlangen, so muß unbedingt eine Schuldentlastung vorausgehen. Dieser Gedanke ist zuerst zu ernstlicher legislatorischer Behandlung gekommen in Österreich, dessen Regierung 1893 einen entsprechenden Entwurf dem Reichsrat unterbreitet hat.

Litteratur. Rodbertus-Jagetzow, Zur Erklärung und Abhilfe der heutigen Kreditnot. I u. II (Jena 1868-69); Schäffle, Inkorporation des Hypothekarkredits (Tüb. 1883); von Miaskowski, Der Wucher auf dem Lande und die Organisation des ländlichen Kredits (in den "Schriften des Vereins für Socialpolitik", Bd. 38, Lpz. 1889); Sering, Artikel "Heimstättenrecht" im "Handwörterbuch der Staatswissenschaften" (Jena 1889-93); Hecht, Die Organisation des Bodenkredits in Deutschland (2 Bde., Lpz. 1891); Schiff, Zur Frage der Organisation des L. K. in Deutschland und Österreich (ebd. 1892); Sering, Die Entwürfe für eine neue Agrargesetzgebung in Österreich (in Schmollers "Jahrbuch für Gesetzgebung", ebd. 1894).

Landwirtschaftliches Betriebssystems, s. Betriebssystem.

Landwirtschaftliche Schriftsteller des Altertums, s. Geoponici.

Landwirtschaftliche Vereine, Vereinigungen von Landwirten behufs Erörterung und Förderung der gemeinsamen Berufsaufgaben und Standesinteressen. Die Anfänge des landwirtschaftlichen Vereinswesens fallen in die erste Hälfte des 18. Jahrh.; doch ging die Entwicklung zunächst langsam von statten, erst seit den sechziger Jahren erlangten die "Ökonomischen Gesellschaften" allgemeinere Verbreitung. Wie in der Entwicklung der Landwirtschaft selbst, so ging auch in der des Vereinswesens England voran. Die ersten rein L. V. Großbritanniens waren die 1715 in Schottland gestiftete Highland Society und die 1723 gegründete Society of Improvers in the knowledge of agriculture. Das von Schottland gegebene Beispiel zog sehr bald die Gründung ähnlicher Vereine in England und Irland nach sich. Durch die zu Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrh. überall gebildeten Lokalvereine fand die Thätigkeit der bereits vorhandenen größeren und umfassendern Vereine die wirksamste Unterstützung. In Frankreich erstand