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Landwirtschaftliche Vereine
Vereinsangelegenheiten. Innerhalb des Vereins werden meist für die verschiedenen Thätigkeitsgebiete oder Kulturzweige einzelne Sektionen gebildet. Die Centralvereine Preußens verkehren amtlich mit Übergehung aller untern Instanzen unmittelbar mit dem Landwirtschaftsministerium.
Neben der rein technischen haben die L. V. die geschäftliche und wirtschaftspolit. Seite mit wachsendem Erfolge entwickelt. Von ihnen hat das kraftvoll entwickelte landwirtschaftliche Genossenschaftswesen (s. Landwirtschaftliche Genossenschaften) seine besten Impulse empfangen.
Die L. V. stehen zu den Staatsregierungen in bestimmten regelmäßigen Beziehungen. Sie sind verpflichtet, den Behörden Gutachten zu erstatten und die gewöhnlichen statist. Erhebungen zu vermitteln. Andererseits gewährt ihnen der Staat beträchtliche materielle Unterstützungen. In Preußen belaufen sich die Staatssubventionen auf etwa 900000 M. jährlich. Ihnen stehen nur 485000 M. eigene Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen (durchschnittlich 3,08 M. pro Mitglied) gegenüber. Auch in den übrigen größern deutschen Staaten erhalten die Vereine mehr oder minder erhebliche Zuschüsse, neben denen die eigenen Einnahmen zurücktreten. Die ganze Entwicklung der Vereine drängt daher hauptsächlich infolge dieser finanziellen Abhängigkeit vom Staate immer entschiedener dahin, den Centralvereinen den Charakter einer amtlichen Vertretung der Landwirtschaft zu geben, sie in Landwirtschaftskammern (s. d.) umzuwandeln.
Auf der Grundlage der bestehenden Centralvereine baut sich die oberste Körperschaft zur Vertretung der landwirtschaftlichen Interessen im Deutschen Reiche, der Deutsche Landwirtschaftsrat (s. d.) auf. Sein Vorbild und Vorläufer war das noch in voller Wirksamkeit stehende Landes-Ökonomiekollegium (s. d.). Eine dem preuß. Landes-Ökonomiekollegium analoge Einrichtung ist in Sachsen der Landeskulturrat (s. d.), in Württemberg die Centralstelle für Landwirtschaft, während in Bayern wie in den übrigen deutschen Staaten solche Behörde fehlt.
Neben den allgemeinen landwirtschaftlichen oder ihnen unmittelbar angeschlossenen Vereinen besteht in Deutschland noch eine Anzahl von Vereinen, welche für gewisse Sonderzwecke die Interessenten für ganz Deutschland zusammenfassen. Hierher gehören der Deutsche Pomologenverein (seit 1860), Deutsche Weinbauverein (seit 1874), Deutsche Hopfenbauverein, Deutsche milchwirtschaftliche Verein (seit 1874); ferner die Vereine für technische Nebengewerbe, nämlich die Vereine der Spiritusfabrikanten (seit 1857) und für die Rübenzuckerindustrie und der Verein zur Förderung der Moorkultur (seit 1883), endlich der zweckverwandte Deutsche Fischereiverein (seit 1870) mit 35 Zweigvereinen. Hieran reiht sich eine Gruppe von Vereinen, welche eine solche Zusammenfassung für verwandte Ziele nur für größere Bezirke innerhalb Deutschlands bezwecken. Dahin gehören der "Kongreß Deutscher Landwirte" (s. d.), die 1875/76 in Berlin ins Leben gerufene "Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer", in der seit Anfang des J. 1894 der Kongreß Deutscher Landwirte aufgegangen ist, der 1866 gegründete Klub der Landwirte zu Berlin und die "Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft" (s. Landwirtschaftsgesellschaft, Deutsche).
Das verbreitete Bedürfnis, eine energische Gesamtvertretung der landwirtschaftlichen Interessen in polit. Richtung zu besitzen, hat sich mit geradezu elementarer Gewalt in der im Febr. 1893 zu Berlin erfolgten Gründung des Bundes der Landwirte Geltung verschafft. Den äußern Anstoß zu der Gründung gab das Bekanntwerden des auf Abschluß des deutsch-russ. Handelsvertrags gerichteten Planes, der die Herabsetzung der Getreidezölle auch Rußland gegenüber in Aussicht nahm. Der Zweck des Bundes ist, der Landwirtschaft durch Einwirkung auf die Wahlen eine ihrer Bedeutung entsprechende Vertretung in den parlamentarischen Körperschaften zu verschaffen. Der Bund, der im Febr. 1894 bereits 178939 Mitglieder (155000 allein in Norddeutschland ausschließlich Hessens) zählte, gliedert sich in Orts-, Bezirks-, Kreis- und Provinzialabteilungen mit gewissen durch die Verschiedenheit der Vereinsgesetze gebotenen Modifikationen in einzelnen Staaten. Die Kreisabteilungen decken sich mit den einzelnen Reichstagswahlkreisen. Den dem Vorstande zur Seite stehenden Ausschuß bilden außer den Vorstandsmitgliedern die Vorsitzenden der Provinzialabteilungen. Die Beiträge der Mitglieder charakterisieren sich als freiwillige Steuerzuschläge, die der Verschiedenheit der Steuerverfassung der Einzelstaaten entsprechend vom Bundesausschusse festgesetzt werden. Für Preußen ist der Beitrag auf 5 Proz. der Grundsteuer bestimmt. Alljährlich findet eine ordentliche Generalversammlung statt. Das Hauptorgan des Bundes bildet die "Illustrierte landwirtschaftliche Zeitung". Vor der Gründung des Bundes der Landwirte bestand bereits der Deutsche Bauernbund, der sich fast ausschließlich aus dem Kleinbesitzerstande Pommerns, Posens, Niederschlesiens, Thüringens und des Königreichs Sachsen rekrutierte. Seine polit. Richtung war konservativ-antisemitisch. In praktisch-ökonomischer Hinsicht führte der Verein namentlich eine gemeinsame Beschaffung künstlicher Düngemittel und eine Organisation der Trichinenschau durch. Nach achtjährigem Bestehen löste er sich im J. 1893 zu Gunsten des Bundes der Landwirte auf, in dem er mit seinen 44000 Mitgliedern völlig aufging. Sein Organ "Der Deutsche Bauernbund" wurde unter dem Titel: "Der Bund der Landwirte" fortgesetzt. Nach dem Vorbilde des Bundes der Landwirte haben sich in jüngster Zeit in Bayern mehrere Bauernbünde gebildet, die aber jenem Bunde nicht angeschlossen sind. Zur Zeit (1894) besteht ein oberbayr., ein niederbayr. und ein unterfränk. Bauernbund. Die Tendenz dieser Bünde ist darauf gerichtet, die Bauernschaft von der polit. Führung des Centrums, die in wirtschaftspolit. Hinsicht nicht befriedigte, zu emancipieren. Im Gegensatz zu diesen Vereinigungen wurde in Unterfranken und Niederbayern je ein Bauernbund von Centrumsmitgliedern gegründet. Allgemeinere Ziele verfolgen die Bauernvereine (s. d.).
Litteratur. Mentzel und von Lengerkes Landwirtschaftliche Hilfs- und Schreibkalender, besonders Jahrg. 1891 (Berlin); R. Stadelmann, Das landwirtschaftliche Vereinswesen in Preußen (Halle 1874); Preußens landwirtschaftliche Verwaltung 1884-87 (in den "Landwirtschaftlichen Jahrbüchern", Bd. 17 (Berl. 1888); von Langsdorff, Die Landwirtschaft im Königreich Sachsen (Dresd. 1889); Die Landwirtschaft in Bayern. Denkschrift (Münch. 1890); Jahrbuch der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft; von Mendel-Steinfels, Landwirtschaftliches Ver-^[folgende Seite]