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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Mädchenheime - Mädchenschulen

1893. Zum Eintritt ist der sechsjährige Besuch einer höhern Mädchenschule erforderlich, d. h. bestenfalls das vollendete 12. Lebensjahr; normale Schülerinnen sollen mit 18 Jahren die Reife zur Hochschule erlangen. - In Berlin wurden die Gymnasialkurse für Frauen, die Schöpfung eines hauptsächlich aus Berlinern bestehenden Vereins, im Okt. 1893 eröffnet. Nur Schülerinnen, die das 16. Lebensjahr vollendet und die festgestellte Vorbildung nachgewiesen haben, werden zugelassen, doch giebt der leitende Ausschuß den Rat, die Kurse nicht vor dem 18. Lebensjahr zu besuchen; die Dauer des Lehrganges ist auf 3-4 Jahre berechnet. - Die Gymnasialkurse für Mädchen in Leipzig wurden vom Allgemeinen deutschen Frauenverein begründet und 2. April 1894 eröffnet. Leiterin ist Fräulein Kate Windscheid, die in Heidelberg die Doktorwürde erworben hat. Zum Eintritt ist das vollendete 16. Lebensjahr erforderlich; der Lehrgang ist auf 4 Jahre bemessen. Die Errichtung eines Mädchengymnasiums in Bremen wurde 1896 genehmigt.

Mädchenheime (Frauenheime), Anstalten zu dauernder oder vorübergehender Aufnahme alleinstehender, meist unverheirateter Frauen, die einem Beruf oder einem Erwerbe nachgehen. Sie gewähren vorzugsweise denjenigen, welche stellenlos sind oder sich vorübergehend an einem Orte aufhalten, gegen mäßige Vergütung Logis oder Beköstigung oder beides zugleich, nehmen auch wohl Pensionärinnen für längere Zeit. Zugleich sorgen sie für Unterhaltung und Beschäftigung der Insassen sowie anderer alleinstehender Mädchen in ihren Freistunden, besonders an den freien Sonn- und Festtagen. Sie sind vielfach mit einem Arbeits- und Wohnungsnachweis verbunden. Bisweilen erscheinen Pensionate in Verbindung mit Haushaltungsschulen, wie in der "Haushaltungsschule und Mädchenheim" des Lette-Vereins in Berlin. Die Mehrzahl der M. ist auf das Bedürfnis der arbeitenden Klassen und des kleinen Mittelstandes berechnet. Aber auch für höhere Gesellschaftsklassen bestehen solche Anstalten, wenn auch unter andern Namen. Hierher zählt das Victoriastift des Lette-Vereins. Die Gründung von M., die erst in der neuesten Zeit in größerer Anzahl entstanden, ging meist von Frauenvereinen aus, teilweise auch von einsichtigen Arbeitgebern. Die Leitung liegt überall ausschließlich in weiblichen Händen. (S. Frauenfrage.)

Mädchenhorte, s. Kinderhorte.

Mädchenlyceen, in Österreich Mittelschulen für die weibliche Jugend, etwa den deutschen höhern Töchterschulen entsprechend. M. bestehen in Wien (3), in Linz, Graz, Triest und Prag.

Mädchenschulen finden sich zuerst in den Klöstern, wo die jüngern Schwestern sowie die auf einige Zeit dem Kloster übergebenen jungen Mädchen planmäßigen Unterricht erhielten. Aus ihnen sind z. B. die durch ihre Dichtungen berühmte Roswitha zu Gandersheim und die Äbtissin Herrad von Landsberg auf dem Odilienberge im Wasgenwalde hervorgegangen. In der Zeit der Reformation erblickte die kath. Kirche in der Gründung weiblicher Orden, denen vorzugsweise der Unterricht junger Mädchen oblag, wie z. B. der Genossenschaft der Ursulinerinnen (1537) und der Englischen Schwestern (1601), ein stilles Kampfmittel gegen die neue Kirche. In den aufstrebenden Städten hatte daneben auch der wohlhabende Bürgerstand Jungfrauenschulen ins Leben gerufen, in denen der Unterricht von Lehrern oder Lehrerinnen (Lehrmüttern, Lehrbasen, Lehrgotten) aus dem Laienstande erteilt wurde. Die Reformatoren zeigten großes Interesse auch für Ausbildung der Mädchen, wie z. B. aus Luthers Schreiben an die Bürgermeister und Ratsherren von 1524 und aus den Bugenhagenschen Schulordnungen für Braunschweig von 1528 und 1543 hervorgeht. Doch erst in der zweiten Hälfte des 18. und am Anfange des 19. Jahrh. wurden zahlreiche M. begründet. Nach den gegenwärtigen Schulgesetzen der meisten Staaten besteht die Schulpflicht ebenso für die Mädchen wie für Knaben, und wo die Verhältnisse es gestatten, wie in den größern Städten, sind meist für die Mädchen besondere Schulen oder wenigstens auf den obern Stufen besondere Klassen eingerichtet.

Für die höhern Stände gab am Ende des 17. Jahrh. zunächst in Frankreich Fénelons Schrift "Sur l'éducation des filles" (1687) vielfach Anregung zur Gründung von M.; eine der berühmtesten ist das von der Marquise von Maintenon in St. Cyr gegründete Haus des heil. Ludwig, eine Erziehungsanstalt für adlige Fräulein. In Deutschland gründete A. H. Francke, der auch eine Übersetzung von Fénelons Buch herausgab, 1695 eine Mädchenschule. Auch von den Philanthropen gingen mehrfach darauf gerichtete Bestrebungen aus. Zur Gemeindesache wurde der Mädchenunterricht vor allem von der Brüdergemeine gemacht. Einzelne größere Städte folgten; auch Fürsten bethätigten ihr Interesse an der Sache, und so entstanden nach und nach eine Anzahl öffentlicher M., z. B. die Magdalenenschule zu Breslau (1767), die Antoinettenschule zu Dessau (1786), die Ernestinenschule zu Lübeck (1804), die Elisabethschule zu Frankfurt a. M. (1804), die Luisenstiftung (1811), das Katharinenstift zu Stuttgart (1818), die Augustaschule zu Berlin (1832), die Cäcilienschule in Oldenburg (1836) u. a.; doch fehlte den Bestrebungen Zusammenhang und Einheit, bis 1872 die Direktoren und Lehrer von M. in Weimar zu einem Vereine zusammentraten, der seitdem vielfach auf festere Gestaltung des Mädchenschulenwesens hingewirkt hat. Die in einer Denkschrift desselben an die deutschen Regierungen niedergelegten Wünsche, welche die Gliederung der M. in Volksschulen, Mittelschulen und höhere M., den Lehrplan, die Vorbildung der Lehrern, s. w. betreffen, sind in Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen und Braunschweig erfüllt; in Preußen veranlaßte die Denkschrift den Kultusminister Falk, vom 18. bis 23. Aug. 1873 eine Konferenz von Sachverständigen nach Berlin zu berufen, welche den Forderungen in der Hauptsache beistimmte. Durch die Prüfungsordnung vom 24. April 1874 und verschiedene andere Vorschriften ist hierauf die Heranbildung von Lehrerinnen geregelt; durch die Erlasse vom 13. Juni 1883, 22. Febr. 1886, 2. März 1887 wurden höhere M. unter gewissen Voraussetzungen dem Provinzialschulkollegium unterstellt, und durch einen Normalplan für die höhern M. in Berlin von 1886, der allerdings vielfachen Widerspruch erfahren hat, weil er u. a. 9 Jahreskurse statt 10 aufstellte, wurde auf die Weiterentwicklung der höhern M. zu wirken gesucht; 1894 wurde ein erneuter Versuch einer staatlichen Regulierung vorbereitet. - Vgl. von Sallwürk, Fénelon und die Litteratur der weiblichen Bildung in Frankreich (Langensalza 1886); Kreyenberg, Die deutsche höhere Mädchenschule (Frankf. 1887); Nöl-^[folgende Seite]