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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Musen - Musenalmanache
ruft nur eine Muse an (^Iu8a, d. i. die Sinnende),
die Gcberin des Gesangs und Kennerin alles dessen,
was über Götter, Wcltgeheimnisse und Heroenvor-
zeit der Mensch zu wissen und der Rhapsode zu be-
richten wünscht. Andererseits begegnet man an
vielen Orten einer Dreizahl gewöhnlich mit Apollon
verbundener Göttinnen, welche oft mit den Cha-
riten oder mit den Qucllnymphen verwechselt wur-
den. Die Hauptsitze dieser M. befanden sich in den
böotischcn Städten Askra und Thespiä am Helikon
in Verbindung mit alten Propheten- und Sänger-
schulen, eine Verbindung, die auch an dem noch
wenig erforschten Musensitze Pieriens, am Nord-
fuße des Olymp, bestanden haben muh. Frühzeitig
wurden die M. zu einem Chor von neun erweitert.
Ihre Namen blieben seit Hesiod folgendermaßen
fixiert: Kalliope, nach Hesiod die Vornehmste des
ganzen Kreises, Kleio oder Klio (Clio), Euterpe,
Thaleia oder Thalia, Melpomene, Terpsichore,
Erato, Polyhymnia, Urania. Als ihre Eltern be-
zeichnete der Mytbus Mnemosyne (s. d.) und Zeus.
Ihre Bedeutung ist während des größten Teils des
griech. Altertums auf Dichtung, Gesang und Reigen-
tanz beschränkt geblieben. Eine genauere Unter-
scheidung der einzelnen M. versuchte erst die gelehrte
Epoche der Alexandriner. Die einzelnen Figuren der
in dieser Zeit geschaffenen Darstellungen bestimmt
zu benennen, ist bei dem Mangel an Inschriften un-
möglich, während die kurzen Beschreibungen und die
mit Inschriften versehenen Mosaiken röm. Zeit in den
Benennungen schwanken. Feststehend ist in der röm.
Kaiserzeit höchstens Klio als Muse der Geschichte
mit einer Schriftrolle, Kalliope als Mufe der
heroischen (epischen und crnstlyrischen) Dichtung mit
Schreibtafel oder Schriftrolle, Melpomene als
Muse der Tragödie mit ernster Maske, auch Keule
(nicht der Keule des Herakles, wie gewöhnlich gesagt
wird, sondern dem Attribut der Moira, Dike und
Ananke), Thalia als Muse der Komödie mit komi-
scher Maske, Urania als Muse der Astronomie,
Terpsichore und Erato mit Saiteninstrument als
M. der Lyrik leichtern Schlags, Euterpe mit den
Flöten scheint der Instrumentalmusik vorzustehen,
Polyhymnia scheint die attributlose Muse zusein,
welche mit ins Gewand gehüllten Armen dargestellt
wird und auf den Reliefs eine leichte Tanzbewegung
ausführt. Zwifchen ihr und Terpsichore, ja noch einer
dritten (Melpomene) schwankt die Zuteilung des Tan-
zes. Zu einer wirklich genauen Unterscheidung der
M. ist also das Altertum eigentlich nie gelangt. In
der künstlerischen Ausbildung der Musentypen kann
eine Centralstätte, wie der delphische Apollotempel,
in dessen einem Giebelfelde Apollon und die M.
dargestellt waren, nicht ohne Einfluß geblieben sein,
ebensowenig die zum größern Teil von Kephisodotos,
Praxiteles'"Vater, geschaffenen Gruppen am Heli-
kon. Doch haben neuere Funde in Mantinea gezeigt,
welche Verdienste auch Praxiteles auf diesem Gebiet
hatte; dort wurden von den drei Tempelstatucn der
Leto, des Apollon und der Artemis, deren beide
letztere von Praxiteles herrührten, die Postament-
reliefs wieder entdeckt, auf einem Wettstreit Apol-
lons mit Marsyas, auf den zwei andern je drei
M., von denen die zwei vorletzten geschwisterliche
Ähnlichkeit mit dem Hermes des Praxiteles zeigen;
mindestens die Anlage der Musenfiguren rührt
von Praxiteles her, oder sie sind nach seinen sog.
Thespiaden (Plin. 36,39) kopiert. - Vgl. Deitcrs,
Über die Verehrung der M. bei den Griechen (Bonn
1868); Krause, Die M., Grazien, Hören und Nym-
phen (Halle 1871); Nödiger, Die M. (Lpz. 1875);
Trendclenburg, Der Musenchor (Berl. 1876); O.Bie,
Die M. in der antiken Kunst (ebd. 1887); Luiietin
(16 c0li-68p0iiliHnc6 ti6i16ui(iu6 (Taf. 1-3, Athen
1888); Overbeck in den "Berichten der Sächsischen
Gesellschaft" (1888); W.Mayer in den "Mittei-
lungen des kaiferl. Deutschen archäol. Instituts",
athenische Abteilung, Bd. 17 (Athen 1892).
Musen, Dorf im Kreis Siegen des preuß. Reg.-
Vez. Arnsberg, hatte 1890:1352,1895:1290 E., dar-
unter 34 Katholiken, Post, Telegraph, evang. Pfarr-
kirche; eine Eisen-, Silber-, Blei- und Kupferhütte
sowie Bergbau auf Silber-, Blei-, Zinkerze und Spat-
eisenstein, besonders im Stahlberg, derseit 1313 ab-
Musena, Pflanze, s. Massena. ^gebaut wird.
Musenalmanache, periodische Gedichtsamm-
lungen, die mit dem Aufblühen der neuern deutschen
Poesie im 18. Jahrh, entstanden. Die gleichzeitig
(1770) gegründeten Göttinger und Leipziger M.
nahmen sich den seit 1765 in Paris herauskommen-
den "^Imanao 668 mu863" zum Muster und spal-
teten sich beide 1776 zu je zweien. Der Göttinger,
von Voie und Gotter ins Leben gerufen, wurde,
nachdem Gotter Göttingen verlassen hatte, von Boie
allein bis 1775, dann bis 1778 von Göckingk, 1779
-94 von Bürger und 1795-1804 von K.Reinhard
fortgesetzt. In seinen frühern Jahrgängen veröffent-
lichten die Mitglieder des Göttinger Dichterbundes
oder des Hains ihre neuesten Poesien. Als Rivale
des Göttinger Musenalmanachs erschien seit 1776
der sog. "Hamburgische Musenalmanach", den zuerst
I. H. Voß allein, 1780 - 88 gemeinschaftlich mit
Göckingk,1789-1800wiederalleinherausgab. Dem
in Leipzig erscheinenden "Almanach der deutschen
Musen", den 1770-81 Chr. H. Schmid herausgab,
trat seit 1776 der "Leipziger Musenalmanach" an
die Seite. Von 1777 bis 1796 erschien auch ein
"Wienerischer Musenalmanach", an dessen Heraus-
gabe besonders I. F. Ratschky, M. I. Prandstetter,
I. Richter, Blumauer und G. Leon beteiligt waren.
Berühmter wurde der von Schiller herausgegebene
Musenalmanach (1796-1801); besonderes Auf-
sehen mackten namentlich die im Jahrgange für 1797
veröffentlichten "Genien" Goethes und Schillers.
Später entstanden die M. von A. W. Schlegel und
Tieck (Tüb. 1802), von Vermehren (Lpz. 1802 und
Jena 1803), von Chamisso und Varnhagen (1804
-6; einen Neudruck des letzten Jahrgangs besorgte
L. Geiger in den "Berliner Neudrucken", Verl. 1889),
das "Poet. Taschenbuch" von Fr. Schlegel (ebd. 1805
-6), der "Musenalmanach" von Leo von Secken-
dorf (Negensb. 1807-8) u. a. Indessen wurden die
M. durch die Taschenbücher (s.d.) verdrängt. Erst '.
als diese Litteratur alles Metrische aus ihrem Kreise
verbannte, trat das Bedürfnis nach Sammlungen,
die das beste Neue aus dem Gebiete der lyrischen
und der lyrisch-epischen Poesie in Auswahl mitteil-
ten, abermals hervor. So erschienen 1830 zwei M.
nebeneinander; der eine von Wendt, seit 1833 als
"Deutscher Musenalmanach" (Lpz. 1830-39) von
Chamisso und G. Schwab übernommen, bestand zehn
Jahre, der andere, der "Berliner Musenalmanach",
von Veit, erlebte nur zwei Jahrgänge. Neuere M.
sind der "Deutsche Musenalmanach" (Lpz. 1840),
die M. von Echtermcyer und Nuge (Berl. 1840-41),
Schad (9 Jahrg., Nürnberg, dann Würzb.1850-59)
und Gruppe (5 Jahrg., Verl. 1851-55) und neuer-
dings der "Cottasche Musenalmanach", hg. von