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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Nerven; Nervendehnung

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Nerven (botanisch) - Nervendehnung

auf längerm oder kürzerm Wege zu ihren Endausbreitungen (z. B. in den Muskeln). Aus dem Halsteil des Rückenmarks (s. d.) treten 8 Nervenpaare, aus dem Rückenteil 12, aus dem Lendenteil 5, aus dem Kreuzbeinteil 5, aus dem Steißbeinteil 2-3 aus. Jeder so entstehende peripherische Nerv enthält Bewegungs- und Empfindungsnerven gemischt, von denen die erstern den schmächtigern vordern, die letztern den dickern hintern Wurzeln entstammen. Das Aussehen der N. ist weiß, ihr Gefüge ziemlich derb und fest, strangartig, ihr Umfang außerordentlich wechselnd. Der dickste Nerv ist der Hüftnerv (nervus ischiadicus), welcher die Nervenbahnen für die Beugeseite des Oberschenkels sowie für den Unterschenkel und Fuß enthält. Jeder Nerv besteht aus einer Summe von Nervenfasern, welche ihrem feinern Bau nach in markhaltige oder weiße und marklose oder graue geteilt werden. Die markhaltigen Nervenfasern bestehen aus einer äußern bindegewebigen Scheide (Schwannsche Scheide) und aus einem Hohlcylinder von Nervenmark (einem fettähnlichen Körper),in welchem der Achsencylinder, der die Nervenreize leitende Teil, verläuft; die marklosen Nervenfasern entbehren des Nervenmarkes. Das Kaliber der einzelnen Markfasern ist sehr verschieden. Der Durchmesser beträgt 0,002 bis 0,02 mm. Die Nervenfasern teilen sich auf ihrem Wege vom Centralorgan nach der Peripherie; hierdurch wird es erklärlich, daß die Zahl der Fasern in einem Nerv mit der Entfernung vom Rückenmark wächst. Aus diesem Verhalten läßt sich ohne weiteres auch noch der Schluß ziehen, daß eine in der Nähe des Rückenmarkes verlaufende Nervenfaser die Reize von mehrern an der Peripherie gelegenen Fasern übernehmen muß. Die Endigung der peripherischen N. ist verschieden; die Bewegungsnerven enden an den Muskelfasern mit plattenförmigen Gebilden (motorische Endplatte), die Empfindungsnerven in Form von kolben- oder knopfartigen Ausläufern.

Die motorischen N. nehmen von den Nervenzellen (Ganglienzellen) der grauen Vorderhörner des Rückenmarkes (s. d.) ihren Ausgang in der Weise, daß in einer sehr frühen Entwicklungsperiode von jeder Nervenzelle ein Fortsatz (Ganglienzellenfortsatz) durch die vordern Wurzeln hindurchwächst und sich mit einer bestimmten Muskelfaser verbindet. Die sensiblen N. entstehen in ähnlicher Weise von dem Zwischenwirbelnervenknoten, nur gehen von jeder Nervenzelle zwei Fortsätze ab, deren einer durch die hintern Wurzeln in das Rückenmark einwächst, deren zweiter in entgegengesetzter Richtung in die peripherischen N. eindringt und sich mit der Haut u. s. w. verbindet. Die marklosen Nervenfasern, welche dem nervus sympathicus angehören, sind in ähnlicher Weise Zellenfortsätze der sympathischen Ganglienzellen und liegen zu beiden Seiten der Wirbelsäule in dem sog. Grenzstrang, der seinerseits mit den aus den Rückenmarkswurzeln entstehenden N. vielfache Verbindungen eingeht, vereinigt.

Die Funktion der peripherischen N. besteht in der Fortleitung eines vom Gehirn oder Rückenmark oder den Nervenendigungen in der Haut ausgehenden Reizes und Übertragung desselben auf das zugehörige Endorgan. So wird ein Willensreiz, der eine bestimmte Bewegung hervorruft, von der Gehirnrinde durch das verlängerte Mark auf das Rückenmark übertragen, von den Nervenzellen des Rückenmarkes an ihre Fortsätze, die Bewegungsnerven, abgegeben und von diesen den einzelnen Muskeln zugeleitet, in deren Kontraktion der Nervenerregungsvorgang endlich greifbar zu Tage tritt. Wird hingegen ein Gefühlsnerv in Erregung versetzt oder gereizt (durch Druck seiner Nervenendigungen z. B.), so wird der Reiz nach dem Rückenmark geleitet, gelangt durch dasselbe in das Gehirn, wo er im Bewußtsein das auslöst, was man Schmerz oder Druck nennt. Es ist hiernach begreiflich, daß die Unterbrechung des Leitungsvermögens der N., welches an deren normalen Aufbau gebunden ist, Störungen in der Bewegung und in der Empfindung zur Folge haben muß; so werden, wenn die Erregbarkeit der N. nur herabgesetzt ist, die Bewegungen schwächer ausfallen, die Empfindungen undeutlicher sein als normal; ist die Erregbarkeit erloschen durch Unterbrechung der Leitung, so wird jede Bewegung und Empfindung in den zugehörigen Körperteilen aufgehoben sein (motorische und sensible Lähmung). Außer den die Gefühlseindrücke vermittelnden Bahnen giebt es jedoch noch eine große Zahl centripetal leitender Fasern, welche dazu dienen, das Rückenmark und Gehirn von dem jeweiligen Zustand (in Bezug auf Ernährung, Lage, Thätigkeit u. s. w.) der einzelnen Organe zu unterrichten, ohne dabei aber in das Bewußtsein vorzudringen.

Die Schnelligkeit, mit welcher ein Reiz im Nerv sich fortpflanzt, hat man auf 33 m in der Sekunde berechnet. Jeder Nerv antwortet auf einen Reiz, gleichviel wo und wie jener einwirkt, nur mit der ihm eigentümlichen Energie, d. h. der Bewegungsnerv kann auf einen Reiz nur zu einer Bewegung, der Empfindungsnerv nur zu einer Empfindung führen. Für die Empfindungsnerven gilt ferner noch das Gesetz, daß die den Nervenstamm in seinem Verlaufe treffenden Erregungen so empfunden werden, als ob sie die Nervenendigungen getroffen hätten; stößt man sich z. B. an die innere Hälfte des Ellbogens, so spürt man ein Kriebeln und Ameisenlaufen im kleinen und vierten Finger, wo die Nervenfasern des am Ellbogen gequetschten Nervs endigen. (Gesetz von der peripherischen oder excentrischen Lokalisation.) - Die Lehre von den N. bildet einen eigenen, gewöhnlich Neurologie genannten Zweig der Anatomie.

Litteratur. Foster, Physiologie (deutsch von O. Schmidt, 2. Aufl., Straßb. 1890); Gegenbaur, Lehrbuch der Anatomie des Menschen (2 Bde., 6. Aufl., Lpz. 1895); Waldeyer, über einige neuere Forschungen im Gebiete der Anatomie des Nervensystems (in der "Deutschen mediz. Wochenschrift", 1891, Nr. 44 fg.).

Nerven, in der Botanik, s. Blattnervatur.

Nervendehnung, ein zuerst 1873 von Nußbaum angegebenes operatives Heilverfahren gegen hartnäckige Neuralgien, welches darin besteht, daß der kranke Nerv freigelegt und dann mit stumpfen Instrumenten (Haken oder Pincetten) oder mittels des untergeführten Fingers stark gedehnt wird. Ist die Dehnung erfolgt, so wird die Wunde wieder geschlossen und aseptisch verbunden. Der Erfolg dieser Operationen ist unsicher, so daß nachträglich die Unterbrechung des Nerven durch Ausschneiden eines Stückes (die sog. Nervenresektion, Neurektomie, auch weniger gut Neurotomie) noch erforderlich wird. Dehnungen der Rückenmarkswurzeln, welche zur Behandlung der Tabes dor-^[folgende Seite]