Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Diese Seite ist noch nicht korrigiert worden und enthält Fehler.

432
Nordsee
von Calais, dem nördlichsten Teil der franz. Küste,
von Belgien, den Niederlanden und Deutschland, im
O. von Deutschland (Schleswig-Holstein), Däne-
mark und Skandinavien begrenzt, während die Nord-
grenze wegen der Annäherung der Shetlandinseln
an Norwegen beim 61.° nördl. Br. anzunehmen ist.
In diesem Umfange mag die Gesamtflüche etwa
500000 ykm betragen. Mit dem Namen Hoof-
den wird der südöstl. trichterförmigeres der N. be-
zeichnet; er liegt zwischen dem 53. und 51. Breiten-
grade. (Hierzu eine Seekarte der Nordsee.) Als
Teile der N. sind besonders zu nennen: in Schott-
land: Dornoch- und Moray-Firth, Firth of Tay und
Firth of Forth; in England: die Humbermündung,
der Washbusen und die Themsemündung; in den
Niederlanden: die Schelde-, Maas- und Rheinmün-
dung, der 4130 hkm große Zuidersee und der Dollart
(mit Emsmündung) an der deutschen Grenze; in
Deutschland: der Iadebusen und die Weser- und
Elbemündung, welche drei zusammen zur Helgo-
länder Bucht gehören; in Dänemark: besonders der
Limfjord und die Jammer Bucht an der Nordwest-
tüste Iütlands; zwischen Dünemark, Norwegen und
Schweden das Skagerrak und Kattegat, welches
letztere durch den Kleinen und Großen Belt und den
Sund mit der Ostsee verbunden ist, und in Norwegen
der Kristianiafjord und viele kleinere Fjorde, von
denen bis zum 61.° nördl. Br. nur der Stavanger-
undHardangerfjord zu nennen sind. Die Gezeiten
in der N. zeigen sehr interessante Erscheinungen, weil
sie stellenweise von zwei Flutwellen, einer von der
Nordspitze Englands und einer aus dem Kanal kom-
menden hervorgerufen werden. Im westl. Gebiet der
N. schreitet die Flutwelle nach S. fort. Im südl.
Gebiet vom Humber bis zur Eider auf 54° nördl. Br.
hat das Gezeitenphänomen den Charakter einer
stehenden Welle; der ostwärts gerichtete Flutstrom
setzt im Augenblicke des Hochwassers zu Helgoland
auf dem ganzen Gebiete gleichzeitig in den westwärts
gerichteten Ebbestrom um. Im östl. Gebiete der N.
wechseln die Gezeitenstrome in nordwest-südöstl. Rich-
tung. Bei Texel, wo sich die beiden Flutwellen
treffen, dreht die Stromrichtung während einer Ge-
zeit von 12 Stunden allmählich durch alle Himmels-
richtungen von N. über O., S., W. bis wieder auf
N. u. s. w. Der durchschnittliche Unterschied zwischen
Ebbe und Flut beträgt 3^ m, bei Nordweststürmen
aber steigt die Flut wohl 7 iu über die gewöhnliche
Höhe und verheert und zerreiht die Ufer, wie Zuider-
see, Dollart und Iadebusen bezeugen. Die Tiefe
der N. ist nicht bedeutend, denn sie bildet mit den
brit. Inseln zusammen gegen die Tiefe des Oceans
ein großes, steil emporsteigendes Plateau, nur an
der Süd- und Westküste Norwegens zieht sich eine
breite, bedeutend tiefere Rinne hin (bis 809 m tief).
Im allgemeinen nimmt die Tiefe der N. von S.
nach N. zu; sie beträgt 10 Seemeilen seewärts von
Ostende 33 m, bei Iütland 20-30 m, östlich von
Edinburgh 54 und 88 in und steigt bei den Orkney-
Inseln auf 151 m. Inmitten, zwischen Nordeng-
land einerseits und Nordschleswig und Südjütland
andererseits, östlich vom Meridian von Greenwich
liegt die große Doggerbank (s. d.). Anßer den Orkney-
und Shetlandinseln im NW. und den Inseln an der
skandinav. Küste im NO. hat die N. nur eine Felsen-
insel: Helgoland (s. d.), dagegen im S. eine ganze
Reihe Düneninseln und zwar die niederländ. Texel
(Tessel), Vlieland, Terschelling, Ameland u. a., die
deutschen Borkum, Norderney, Baltrum, Langeoog,
Spiekeroog und Wangeroog an der ostfries. Küste.
Neuwcrk vor der Elbemündung und die nordfries.
Inseln: die Halligen, Föhr, Sylt, Rom und das dän.
Fanö. Die Küsten derN. sind im nördl. Teile (Schott-
land und No-rwegen) felsig und steil, dagegen in
den Niederlanden, Deutschland und Dänemark sehr
niedrig und meist durch Dünen und Deiche geschützt.
DieTemperaturdesWassersistimnördl.Teileder
N. an der Oberfläche im Mittel 12,6° und am Grunde
8,9° und im südl. Teile oben 17,5° und unten 17,i° 0.
Der Salz geh alt derN. ist größer als der der Ostsee
und nimmt mit der Tiefe von S. nach N. zu. Das
Oberflächenwasser hat im Mittel 3,4 Proz. Salzgehalt
und gefriert daher nicht so leicht als in der Ostsee.
Die Strömungen sind äußerst veränderlich und
die Oberfläche fast immer in fließender Bewegung.
Infolge des vorwaltenden Südwestwindes hat die
Strömung gewöhnlich eine nordöstl. Richtung. Zwi-
schen dem jütlünd. Riff und der norweg. Küste ist sie
durchgehends nach W., selbst bei Westwinden, wäh-
rend der jütländ. Küstenstrom ostwärts nach Skagen
stießt. Mit nördl. und nordwestl. Winden zieht ein
Strom längs der norweg. Küste und über das jüt-
lünd. Riff mit großer Geschwindigkeit nach Helgo-
land. Jene beständige Westströmung aus dem
Skagerrak ist eine notwendige Folge der Wasser-
menge, welche die Ostsee in die N. ergießt, indem
erstere durch die vielen Flüsse mehr Wasser empfängt,
als sie durch Verdunstung verliert. Längs der Ost-
küste Großbritanniens läuft eine Strömung nach
S., welche im N. von Schottland durch den Pent-
land-Firth aus dem Atlantischen Ocean kommt, nnd
geht in der Straße von Calais in die Strömung
über, welche durch den Kanal in die N. fließt.
Das Pflanzenleben der N. ist viel artenreicher
in den Seetangen (Algen, s. d.) entwickelt als in der
süßeres Wasser führenden Ostsee. Jedoch beschränkt
sich die Algenvegetation fast ganz auf die flachen
Küstenregionen mit festem, felsigem Grund, wie die
Ostküste Englands, die Südwestküste Norwegens
und die Umgebung Helgolands, während die Hol-
land, und deutschen Küstengewässer sehr arm an
festsitzenden Meerespflanzen sind und die tiefern
Teile der N. ihrer gänzlich entbehren. Der Vlasen-
tang (^ucu8 V68iculo8u8 ^,.) ist wohl die gemeinste
Art und besiedelt alle Hafendämme. Die Tier-
welt der N. ist sehr viel reicher als die der Ostsee,
am artenreichsten an den selsigen Küsten Englands,
Schottlands und besonders Norwegens. Ärmer
sind die Küstengewässer Hollands, Dentschlands
und Iütlands; nur der felsige Grund um Helgo-
land beherbergt eine sehr artenreiche Tierwelt. Die
Tiefen der offenen N. sind sehr reich an niedern
Tieren, und wesentlich dadurch ist die außerordent-
liche Fülle von nutzbaren Fischen bedingt, die die
N. hervorbringt, besonders Hering, Schellfisch,
Kabeljau und Plattsische (Seezunge, Scholle, Stein-
butte u. a.). über den Fischereibetrieb auf der N.
s. Fischerei. Austern werden besonders an der Süd-
ostküste Englands, in Holland (Seeland) und an
der deutschen Küste im Wattenmeere an Schleswigs
Westgestade gefunden. Seehunde finden sich in
mehrern Arten, auch die kleinern Waltiere, während
große mehr durch Zufall in die N. geraten. Das
durch das Leuchttierchen hervorgerufene Meeres-
leuchten zeigt sich häufig namentlich in den west-
lichern und südl. Teilen der N. Haifische bis zu 2 m
Größe werden zuweilen in der N. gefangen. Die
Schiffahrt ist an der Süd- und Ostküste wegen der