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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege; Offer; Offerieren; Offertorĭum

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Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege – Offertorium

fahren zum Zweck der Ausübung der Strafgewalt, über die Organisation und die Instanzen und Zuständigkeit der Strafgerichte, der Reichs- und Staatsanwaltschaft fest; das Civilprozeßrecht die über die Organisation, die Instanzen und Zuständigkeit der Civilgerichte und das für die Verhandlung und Entscheidung streitiger bürgerlicher Rechtssachen maßgebende Verfahren. Die besondern Rechtsverhältnisse der polit. Gemeinden werden von der deutschen Rechtswissenschaft im Zusammenhang mit der Darstellung des Staatsrechts abgehandelt. In einem besondern Sinne bezeichnet man bisweilen als jus publicum diejenigen privatrechtliche Rechtsverhältnisse betreffenden Rechtssätze, welche zwingendes Recht sind, dem sich der Einzelne nicht durch abändernde Bestimmungen bei dem Abschluß von Rechtsgeschäften entziehen kann: jus publicum pactis privatorum mutari non potest («das Ö. R. kann durch Privatverträge nicht abgeändert werden»).

Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege, die großen Grundsätze, die, zusammen mit der Unmittelbarkeit des Verfahrens, den heutigen Prozeß, und zwar sowohl den Civil- als auch den Strafprozeß beherrschen. Der alte röm. Prozeß und der mittelalterliche deutsche Prozeß waren mündlich und öffentlich; in dem vom kanonischen Recht beeinflußten gemeinen deutschen Prozeß kam die Schriftlichkeit und mit ihr die Heimlichkeit des Verfahrens zur Geltung. Die Schriftlichkeit schloß auch von selbst die unmittelbare Wirkung der Prozeßhergänge auf die erkennenden Richter aus. Diese unmittelbare Wirkung, das Verhandeln des Streits, die Führung der Beweise vor den urteilenden Richtern selbst ist der wesentliche Punkt für die Bedeutung des Verfahrens gegenüber den Beteiligten, bildet die sicherste Gewähr für die Findung des materiellen Rechts, für die Erforschung der Wahrheit durch den Richter. Wie die Unmittelbarkeit im schriftlichen Verfahren, bei welchem entweder die sämtlichen Richter den Sachverhalt aus den zu lesenden Akten erfahren oder ein Richter ihnen deren Inhalt durch schriftlichen oder mündlichen Bericht vermittelt, ausgeschlossen ist, so ist andererseits eine Öffentlichkeit in vollem Maße nur im mündlichen Verfahren denkbar. Von der allgemeinen Öffentlichkeit unterscheidet man die Parteienöffentlichkeit, welche lediglich in dem Recht der Parteien, gewissen Verhandlungen beizuwohnen, besteht. Die Parteien haben bei dieser Art von Öffentlichkeit zwar die Rolle des Zuschauers, der sich von der Richtigkeit des Verfahrens in seiner eigenen Sache überzeugt, aber nicht die des mitwirkenden Beteiligten. Wenn nun auch die Prozeßgesetze des 19. Jahrh. allmähliche Übergänge von der Schriftlichkeit zur Mündlichkeit, von der Heimlichkeit zur Öffentlichkeit enthielten, so brachte doch erst die 1. Okt. 1879 in Kraft getretene Reichsjustizgesetzgebung im ganzen Deutschen Reiche die Grundsätze der Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und Öffentlichkeit zur Geltung.

Erstere beide zeigen ihren Einfluß und finden deshalb ihre Darstellung bei den einzelnen Prozeßeinrichtungen. Die Öffentlichkeit ist zwar nur mit der Mündlichkeit möglich, hängt aber übrigens weder mit dieser noch mit der Unmittelbarkeit notwendig zusammen. Ein Verfahren kann unmittelbar und mündlich sein, auch wenn es überhaupt nicht, oder doch nicht in allen seinen Abschnitten öffentlich ist. Das Deutsche Gerichtsverfassungsgesetz schreibt grundsätzlich die Öffentlichkeit nur für die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht, also namentlich nicht für die Voruntersuchung (s. d.) vor, schließt dieselbe in dem Verfahren wegen Entmündigung (s. d.) und Wiederaufhebung der Entmündigung von Geisteskranken unbedingt, in Ehesachen und in dem auf die Klage wegen Anfechtung oder Wiederaufhebung der Entmündigung eingeleiteten Verfahren auf Antrag einer Partei aus. In allen andern Sachen sollte die Öffentlichkeit nach §. 173 des Gerichtsverfassungsgesetzes nur dann ausgeschlossen werden dürfen, wenn sie eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit besorgen läßt, die Urteilsverkündung nach §. 174 aber stets öffentlich erfolgen.

Mißstände dieser ausgedehnten Öffentlichkeit stellten sich teils bei der Verhandlung von Strafsachen sittlich bedenklichen Inhalts gegen bekannte Persönlichkeiten, sog. causes célèbres, teils bei der Verkündung des Urteils in Landesverratsprozessen, bei welchen es mitunter nicht zu vermeiden war, die durch das Strafgesetz geschützten Staatsgeheimnisse zu erwähnen, heraus. Diese Mißstände nötigten zu einer teilweisen Einschränkung der Öffentlichkeit, welche durch das Reichsgesetz vom 5. April 1888 erfolgte. Danach kann das Gericht die Öffentlichkeit insbesondere auch wegen Gefährdung der Staatssicherheit, und durch besondern Beschluß aus diesem Grunde oder dem der Gefährdung der Sittlichkeit auch für die Verkündung der Urteilsgründe oder eines Teils derselben ausschließen. Der Beschluß über die Ausschließung der Öffentlichkeit und der Grund desselben muß öffentlich verkündet werden. Ist die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen, so kann das Gericht den anwesenden Personen (Richtern, Geschworenen, Zeugen u. s. w.) die Geheimhaltung von Thatsachen, welche durch die Verhandlung, durch die Anklageschrift oder durch andere amtliche Schriftstücke des Prozesses zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen. Die Verletzung dieses Schweigebefehls wird mit Geldstrafe bis zu 1000 M. oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft. Ebenso ist die Mitteilung von Berichten über Gerichtsverhandlungen, bei denen die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen war, durch die Presse und die öffentliche Mitteilung aus Gerichtsverhandlungen, für welche wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, wenn dieselbe geeignet ist Ärgernis zu erregen, bei Strafe verboten.

Der Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen kann Unerwachsenen und solchen Personen versagt werden, welche sich nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, oder welche nicht in einer der Würde des Gerichts entsprechenden Weise erscheinen. Einzelnen Personen kann auch zu nichtöffentlichen Verhandlungen der Zutritt vom Gericht gestattet werden.

Bei der Beratung und Abstimmung dürfen außer den zur Entscheidung berufenen Richtern nur die bei demselben Gericht zu ihrer jurist. Ausbildung beschäftigten Personen (so Referendare) zugegen sein, soweit der Vorsitzende deren Anwesenheit gestattet.

Offer, Paul, geistlicher Dichter, s. Speratus.

Offerieren (lat.), anbieten; Offerént, jemand, der etwas anbietet; Offerte (frz. offre), Anerbieten, Antrag (s. d.).

Offertorĭum (lat., «Darbringung»), der dritte Teil der röm.-kath. Messe (s. Messe, kirchlich).