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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte)

mit Rußland, das die orient. Politik Österreichs mit Eifersucht beobachtete, wurden unter Vermittelung Preußens freundschaftlichere Beziehungen hergestellt, besonders durch die Bemühungen des russ. Ministers von Giers, der im Jan. 1883 einen Besuch in Wien machte. Die Drei-Kaiser-Zusammenkunft in Skierniewice (in Polen) 15. Sept. 1884 und der Besuch, den Alexander III. dem Kaiser Franz Joseph 25. und 26. Aug. 1885 in Kremsier machte, schienen das gute Verhältnis beider Reiche zu befestigen. Als aber Rußland gegen Bulgarien trotz der Abdankung des Fürsten Alexander (3. Sept. 1886) eine entschieden feindselige Haltung einnahm und man besonders nach der Wahl des Prinzen Ferdinand von Coburg-Kohary (7. Juli 1887) die Einmischung Rußlands fürchten mußte, hielt es auch Österreich für seine Pflicht, sich kriegsbereit zu machen, da es eine einseitige Besetzung Bulgariens durch russ. Truppen nicht dulden und überhaupt die Unabhängigkeit der Balkanstaaten nicht gefährden lassen wollte. Im Winter 1887-88 schien der Ausbruch eines Krieges unvermeidlich, da Rußland an seiner Westgrenze immer größere Truppenmassen aufhäufte. Aber die Friedenspolitik des im März 1887 erneuerten Dreibundes bestand in glänzender Weise ihre Probe. Die drohende Kriegsgefahr ward abgewandt. Dagegen wurde die Stellung Österreichs auf der Balkanhalbinsel dadurch verschlechtert, daß in Serbien nach der Abdankung Milans (6. März 1889) die russenfreundliche Richtung wieder das Übergewicht erhielt. Doch änderte sich dies, als sich (13. April 1893) der junge König Alexander für volljährig erklärte und einen Systemwechsel eintreten ließ. Auch die Spannung zwischen Österreich und Rußland selbst ließ endlich nach, und das bessere Verhältnis beider Staaten erhielt an dem 1894 geschlossenen Handelsvertrage eine Stütze.

Indessen hatten die Erfolge, die die Jungczechen 1889 bei den böhm. Landtagswahlen errungen hatten, die Haltung der Regierung im Innern und namentlich in der böhm. Frage wesentlich beeinflußt. Am 4. Sept. 1889 wurde der Statthalter Kraus seiner Stelle enthoben und für ihn Graf Franz Thun ernannt, ein Anhänger des böhm. Staatsrechts. Mehrfache Versuche der Deutschen, die Regierung zu einer unzweideutigen Erklärung über die staatsrechtlichen Ansprüche der Czechen zu veranlassen, blieben erfolglos. Als dann aber die Regierung, offenbar auf höhere Weisung, Ausgleichungsverhandlungen über die Streitpunkte mit den Czechen beantragte, ließen sich die Deutschen dazu bereit finden. Die Verhandlungen fanden Jan. 1890 in Wien statt und führten auch zu einer Einigung, die aber infolge des Widerstandes der Jungczechen und der schwächlichen Haltung dei Altczechen im böhm. Landtag nicht zur Ausführung kam. (S. Böhmen, Geschichte.) Das Treiben der sich immer radikaler geberdenden Jungczechen sowie die Unsicherheit der Parteiverhältnisse im Reichsrat schienen indessen in der Mehrheit des Ministeriums den Wunsch rege gemacht zu haben, sich mit der deutschliberalen Partei auf einen bessern Fuß zu stellen. Durch kaiserl. Patent vom 23. Jan. 1891 wurde das Abgeordnetenhaus aufgelöst, und 4. Febr. trat der Finanzminister Dunajewski, der Hauptgegner der Deutschliberalen, in den Ruhestand; sein Nachfolger wurde der Sektionschef im Justizministerium, Dr. Steinbach. Der Ausfall der Reichsratswahlen rechtfertigte die Hoffnung der Regierung auf eine Verstärkung der gemäßigten Parteien nicht. Die Altczechen, die bisher eine ihrer Hauptstützen gebildet hatten, unterlagen vollständig, und die Polen und der Hohenwart-Klub (s. d.) besaßen ohne sie nicht mehr die Majorität. So mußte die Regierung suchen, ein erträgliches Verhältnis zu der stärksten Partei, der Vereinigten Deutschen Linken (s. d.), die sich Nov. 1888 durch den Wiederzusammenschluß des Deutschen und des Deutsch-Österreichischen Klubs gebildet hatte, herzustellen. Angebahnte Verbandlungen über die Vereinigung der gemäßigten Elemente zu einer einzigen Partei scheiterten, weil die Regierung und die Polen ihre Verbindung mit dem Hohenwart-Klub nicht aufgeben, die Deutsche Linke mit diesem keine engere polit. Verbindung eingehen wollte. Doch blieb das Verhältnis der drei großen Parteien ein ziemlich erträgliches. Einen äußern Ausdruck fand die Besserung der Beziehungen zwischen der Regierung und der Deutschen Linken dadurch, daß ein Mitglied derselben, Graf Kuenburg, 23. Dez. 1891 Minister ohne Portefeuille wurde.

Während der beiden Reichsratssessionen 1891 und 1891/92 wurden mehrere Eisenbahnen verstaatlicht, der Freihafen Triest in das Zollgebiet einbezogen, der Lloyd neu organisiert und wie die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft durch Gewährung einer Subvention in seiner Existenz gesichert. Mit Deutschland, Italien, Belgien und der Schweiz wurden auf 12 Jahre Handelsverträge geschlossen, durch die die Zölle teilweise bedeutend herabgesetzt wurden. Da die finanzielle Lage sich immer günstiger gestaltete, der Rechnungsabschluß für 1891 einen Überschuß von mehr als 22 Mill. Fl. aufwies, wagte man sich im Verein mit Ungarn auch an die Valutaregulierung und beschloß (im Juli 1892) die Einführung der Goldwährung und eines neuen Münzfußes mit der Krone als Rechnungseinheit (s. oben, S. 721 a). Am 19. Febr. 1892 brachte der Finanzminister auch einen Gesetzvorschlag über die Reform der direkten Steuern ein, und zwar sollte das Gesetz, betreffend die direkten Personalsteuern (Erwerbs-, Besoldungs-, Rentensteuer und eine allgemeine Personaleinkommensteuer), an die Stelle des bisher geltenden Erwerbssteuergesetzes von 1812 und des Einkommensteuergesetzes von 1849 treten. Ein principieller Widerspruch wurde gegen diese Gesetzentwürfe bei den Ausschußberatungen nicht erhoben, wenn auch viele Einzelheiten angefochten wurden, so daß es mit einigen Abänderungen 1895 im Abgeordnetenhause und 1896 im Herrenhause angenommen wurde. Auch der Unterrichtsminister errang einen wichtigen Erfolg, indem der Tiroler Landtag, der bisher die Anerkennung des Reichsvolksschulgesetzes von 1869 grundsätzlich verweigert hatte, 7. April 1892, allerdings gegen große Zugeständnisse an den Klerus, ein Schulgesetz beschloß, das dem bisherigen ungeordneten Zustande ein Ende machte.

Während der ganzen Session 1891/92 hatte die Linke das Ministerium in den wichtigsten Fragen unterstützt, und sie konnte es als einen neuen Erfolg ansehen, daß Ende Juli der Minister Pražak seine Entlassung erbat und erhielt. Aber die schwächliche Haltung der Regierung bei der von den Deutschen geforderten Durchführung des böhm. Ausgleichs sowie das ablehnende Verhalten des Justizministers gegen die Fortsetzung der nationalen Abgrenzung der böhm. Gerichtsbezirke erregte die Unzufriedenheit der Deutschen. Die Budgetdebatte, bei der Graf Taaffe 23. Nov. 1892 die baldige Wieder-^[folgende Seite]