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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte)

besetzung des von Pražak innegehabten Ministeriums in Aussicht stellte, brachte die Krisis zum Ausbruch. Graf Kuenburg nahm sofort seine Entlassung, die Linke aber forderte als Bedingung einer weitern Unterstützung der Regierung die Bildung einer festen Majorität und die Aufstellung eines bestimmten polit. Programms. Da Graf Taaffe sich nach einigen vergeblichen Verhandlungen mit dem Hohenwart-Klub und den Polen der Sache nicht weiter annahm, stimmte die Linke wieder gegen den Dispositionsfonds, der auch mit 167 gegen 146 Stimmen abgelehnt wurde. Um einen vollständigen Bruch zu verhüten, arbeitete die Regierung auf Grund von Konferenzen mit den Führern der drei großen Klubs ein Programm aus, das sie 4. Febr. 1893 vorlegte, das aber keine der Parteien völlig befriedigte. Ein gespanntes Verhältnis zwischen den Parteien untereinander und zur Regierung blieb bestehen und machte die weitere Session des Reichsrats, die bis zum 24. März dauerte, völlig unfruchtbar.

Als nach dem Schlusse des Reichsrats die Landtage einberufen wurden, machte die Regierung noch einen Versuch, die Abgrenzung der Gerichtsbezirke in Böhmen in Gang zu bringen, und brachte Vorlagen wegen Errichtung neuer Kreisgerichte in Trautenau und Schlan ein. Als aber erstere 17. Mai zur Verhandlung kommen sollte, machten die Jungczechen dieselbe durch lärmende Tumulte unmöglich. Das ganze Land wurde systematisch aufgewühlt, und bei der beabsichtigten Feier des Reskripts vom 12. Sept. 1871 kam es zu antidynastischen Demonstrationen und Zusammenstößen mit der Polizei. Infolgedessen wurden durch Verordnung vom 12. Sept. die Art. 12 und 13 des Staatsgrundgesetzes, betreffend das Versammlungs- und Vereinsrecht und die Freiheit der Presse, für Prag und dessen Umgebung suspendiert und die Wirksamkeit der Geschworenengerichte im Sprengel des Prager Landgerichts bezüglich der Preßvergehen und der politischen wie einiger anderer Verbrechen für die Dauer eines Jahres außer Kraft gesetzt.

Obwohl das bedrohliche Anwachsen der Radikalen in Böhmen die Regierung hätte bedenklich machen sollen, glaubte sie doch gerade jetzt den Zeitpunkt zu einer Abänderung des Reichsratswahlrechts gekommen, die für die alten Parteien im höchsten Maße bedrohlich erschien. Bei der Eröffnung des Reichsrats (10. Okt.) brachte Graf Taaffe einen Gesetzentwurf ein, der zwar die Kurie des großen Grundbesitzes und die Gruppe der Handelskammern unangetastet ließ, aber in den Kurien der Städte und Landgemeinden, ohne die Zahl ihrer Vertreter zu vermehren, das Wahlrecht allen, mit wenigen Ausnahmen, zuerkennen wollte.

Diese Vorlage rief allgemeine Überraschung hervor, und was bisher für unmöglich gegolten hatte, eine Verbindung der Feudalen und Klerikalen mit den Liberalen, das brachte Graf Taaffe mit seinem Wahlgesetzentwurf zu stande. Nachdem sich die Deutsche Linke, die Polen und die Konservativen gegen den Gesetzentwurf erklärt hatten, reichte das Ministerium Taaffe 29. Okt. seine Entlassung ein. Aus Vorschlag der Führer der drei großen Parteien, die sich über ein Koalitionsministerium geeinigt hatten, wurde mit der Kabinettsbildung Fürst Alfred zu Windisch-Grätz beauftragt, der 11. Nov. die Regierung übernahm. Die meisten Mitglieder des frühern Kabinetts behielten ihre Portefeuilles; der Marquis Bacquehem vertauschte das Handelsministerium mit dem des Innern, das Ministerium für Kultus und Unterricht übernahm der Pole von Madeyski, und der Führer des Polenklubs von Jaworski wurde zum Minister ohne Portefeuille ernannt. Der Linken wurden ebenfalls zwei Ministerien, das für Finanzen und das für den Handel überlassen, die E. von Plener und Graf Wurmbrand erhielten.

Der neue Ministerpräsident erklärte als die erste und wichtigste polit. Aufgabe, im Einvernehmen der drei großen Parteien eine Wahlreform zu schaffen, und 8. März 1894 teilte das Ministerium den koalierten Klubs auch die Grundzüge der Wahlreform mit, wonach eine neue Wählerklasse geschaffen wurde, in der alle österr. Staatsbürger über 24 Jahre mit wenigen Ausnahmen wahlberechtigt sein sollten. Diese Klasse sollte 43 Mandate erhalten, die auf die einzelnen Länder zu verteilen wären.

Die Obmänner der koalierten Parteien konnten sich jedoch über einen bestimmten Plan nicht einigen. Ein Subkomitee, das der aus 36 Mitgliedern bestehende Wahlreformausschuß niedersetzte, brachte unter Vermittelung der Regierung einen auf zahlreichen Kompromissen beruhenden Gesetzentwurf zu stande, der Juni 1895 bekannt gemacht wurde. Danach sollte die Zahl der Mitglieder des Abgeordnetenhauses um 47, also auf 400 erhöht werden, von denen 34 von der Gruppe der kleinsten Steuerzahler (unter 5 Fl.), 13 von den industriellen Arbeitern, die in den Krankenkassen versichert sind, gewählt werden sollten.

Dieser Entwurf, in dem hauptsächlich die Wünsche des Hohenwart-Klubs zum Ausdrucke gebracht wurden, erregten große Unzufriedenheit nicht bloß bei den Arbeitern, sondern auch bei den Liberalen. Drohte schon diese Frage eine Krise in der Koalition hervorzurufen, so wurde sie beschleunigt durch die von der Regierung beantragte Errichtung eines Gymnasiums mit deutscher und slowen. Unterrichtssprache in Cilli, das den Slowenen noch vom Ministerium Taaffe in Aussicht gestellt worden war. Die Deutsche Linke sprach sich in der schärfsten Weise gegen die Errichtung dieses Gymnasiums in Cilli aus, wo das Deutschtum ohnehin gefährdet war, zeigte sich aber zur Bewilligung der Mittel für ein deutsch-slowen. Gymnasium an einem ganz oder vorherrschend slowen. Orte Südsteiermarks bereit. Als trotzdem im Budgetausschusse die für das Cillier Gymnasium geforderte Summe bewilligt wurde, trat sie auf Grund eines Klubbeschlusses aus der Koalition aus, die dadurch gesprengt wurde. Am folgenden Tage reichte das Ministerium seine Demission ein, und der Statthalter von Niederösterreich, Graf Kielmansegg, wurde zum Minister des Innern ernannt und mit dem Vorsitz im Ministerrat betraut. Von den bisherigen Ministern blieben nur der Landesverteidigungminister Graf Welsersheimb und der Minister für Galizien Ritter von Jaworski, während mit der Leitung der übrigen Ministerien hervorragende Beamte beauftragt wurden, die nur die Aufgabe hatten, die laufenden Geschäfte bis zur Konstituierung eines definitiven Kabinetts zu führen und die Annahme des Budgets durchzusetzen.

Dies wurde auch in kurzer Zeit erreicht, wobei auch die Kosten für das utraquistische Gymnasium in Cilli bewilligt wurden. Außer dem Budget wurden auch zwei schon unter dem Koalitionsministerium sehr weit geförderte Gesetzentwürfe von großer Wichtigkeit, die neue Civilprozeßordnung und die