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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ostindien (Geschichte)

litteratur bietet von der ältern Vergangenheit nur mythische Überlieferungen. Den ersten, einigermaßen festen Punkt in der ind. Chronologie bezeichnet Buddhas Tod (gegen 480 v. Chr.); frühern Perioden lassen sich nur vermutungsweise Grenzen innerhalb mehrerer Jahrhunderte anweisen. Bekannt ist, daß aus den Gebirgsländern im Nordwesten von Indien ein Volk kaukas. Abstammung (Arier, s. d.) in die niedern Gegenden hinabstieg, die Ureinwohner unterwarf und höhere Bildung unter ihnen verbreitete. Nach den astron. Untersuchungen H. Jacobis fällt diese Einwanderung der Arier vor das Jahr 4000 v. Chr. Aus der Vermischung dieser verschiedenen Völker entstand das heutige Hinduvolk. Die religiöse Anschauung war im Anfang eine Art von Naturdienst, reiner und geistiger als später, nachdem sie, unter schärferer Ausbildung des Kastenwesens, in einen vielgestaltigen Götzendienst entartet war. In der frühesten Periode war Hindustan in eine große Anzahl einzelner Staaten geteilt, wie Ajudhja, Magadha u. a., an deren Spitze Radschas, d. i. Könige, Fürsten, standen, von denen oft mehrere zusammen einem Oberkönig oder Maharadscha gehorchten. Die Brahmanen oder Priester, als Abfasser und Bewahrer der Gesetze, hatten von den ältesten Zeiten an einen großen und unheilvollen Einfluß auf die Gestaltung des Staatswesens und die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten. Religiöse Bewegungen, wie z. B. das Aufblühen des Buddhismus, veranlaßten von Zeit zu Zeit große Aufregung der Gemüter. Religion und Kultur wurden von Hindustan aus nach dem Dekan und nach Ceylon, auch in andere Länder, so z. B. nach den Inseln Java und Bali, verpflanzt.

Die Griechen besaßen lange nur unbestimmte Nachrichten über Indien. Erst seit dem Kriegszug Alexanders d. Gr. (326 v. Chr.) wurde O. ihnen bekannter. Seit dieser Zeit bestand zwischen den Griechen und Indien Handel zur See und Karawanenhandel über das Schwarze Meer und Vorderasien, auch über Ägypten. Nach Alexanders d. Gr. Tode herrschte der ind. König Sandrakottus (sanskr. Tschandragupta) über die ganze Gegend vom Indus bis zum Ganges. Seleucus Nikator, der König von Syrien, drang gegen ihn angeblich bis nach Palimbothra (Patna) am Ganges vor, und der Enkel des Seleucus Nikator, Antiochus Theos, schloß mit dem Enkel Tschandraguptas, dem berühmten buddhist. König Asoka, 256 v. Chr. einen Vertrag. Im nächsten Jahrhundert eroberte Eukratides das heutige Haidarabad in Sindh und sandte Expeditionen nach Katschh und Guzerat (181-161 v. Chr.); am weitesten aber nach Indien hinein wurde das Baktrisch-Griechische Reich (um 100 v. Chr.) von dem König Menander ausgedehnt. Mit dem Verfall jenes Reichs gingen auch die ind. Grenzprovinzen der griech. Herrschaft verloren, aber der griech. Einfluß auf Indien ist seit jenen Zeiten sehr merklich. Später traten auch die Römer mit Indien in Verbindung, und mehrere ind. Gesandtschaften an röm. Kaiser werden erwähnt.

Vom ersten vorchristl. bis zum Ende des zweiten nachchristl. Jahrhundert währte die Fremdherrschaft der Çakas oder Indoskythen, eines turanischen Volksstammes, über Nordindien. Von diesen dem Buddhismus anhängenden Fürsten war der bedeutendste Kanishka oder Kanerki (im 1. Jahrh. n. Chr.). Verhängnisvoll für Indien war das Auftreten des Islam mit seiner fanatischen Kriegslust, infolgedessen vom 11. Jahrh. an eine Reihe Eroberer in Indien eindrangen, die eigentümliche Kulturentwicklung störten, die Unabhängigkeit der nördl. Staaten vernichteten und fremde politische, religiöse und sociale Elemente zur Geltung brachten. Nur in dem südlichern Dekan erhielten sich unabhängige ind. Dynastien, während das eigentliche Hindustan seitdem, einzelne Teile ausgenommen, nie wieder zur Unabhängigkeit gelangte. So herrschten in Indien die mohammed. Dynastien der Ghasnewiden, der Ghuriden, mehrerer afghan. Eroberer und diejenige Timurs, bis endlich Babar, ein Nachkomme Timurs, 1526 das Reich der Großmoguls (s. d.) gründete, das in der Zeit seiner Blüte unter Akbar und Aurangseb ganz Hindustan und den größten Teil vom Dekan umfaßte. Die Residenzen der Moguls waren Dehli und Agra. Es gab unmittelbare, von Nawwabs regierte, und mittelbare, eigenen Radschas erblich unterworfene Provinzen, die dem Mogul nur tributär waren.

Im Anfang des 16. Jahrh. hatten die Portugiesen unter Almeida und Albuquerque auf den Küsten Indiens bedeutende Besitzungen (s. Goa) erworben, mit denen sie fast 100 Jahre den ostind. Handel beherrschten. Zu Anfang des 17. Jahrh. traten die Niederländer an ihre Stelle und eigneten sich den Alleinhandel mit O. für längere Zeit an. Fast gleichzeitig mit den Niederländern traten auch die Engländer als Mitbewerber um die Vorteile des Handels mit O. auf, und 1600 fand die Stiftung der Englisch-Ostindischen Compagnie statt. (S. Ostindische Compagnien.) Auch den Franzosen gelang es, in O. einige Territorialbesitzungen mit dem Hauptort Pondichéry zu erwerben. Mit ebenso viel Gewandtheit und Beharrlichkeit als Glück verfolgte anfangs der franz. Gouverneur Dupleix seinen Plan zur Vertreibung der Engländer. Allein seine Regierung unterstützte ihn nicht, rief ihn 1754 ab, und so gingen für die Franzosen im Frieden zu Paris (1763) alle von Dupleix im Süden der Halbinsel errungenen Früchte wieder verloren. Zu gleicher Zeit war auch ein Umschwung der Dinge in Bengalen erfolgt. Müde der Bedrückungen, die sich Siradsch ud Daula, der halb unabhängige Nawwab des im Verfall begriffenen Reichs des Großmoguls erlaubte, und gereizt durch einen Überfall, bei dem Kalkutta erobert wurde und 123 Engländer in einem Kerker, dem "Schwarzen Loch" (black hole), umkamen, griffen die Engländer zu den Waffen, und besiegten zuerst unter Clive bei Plassy 23. Juni 1757, dann in mehrern Feldzügen den Feind so völlig, daß sich ihre Herrschaft am untern Laufe des Ganges ebenso sehr erweiterte als befestigte. So wurde Lord Clive der Begründer der engl. Macht in O. Nach dem Tode Aurangsebs 1707 folgten diesem binnen 50 Jahren nicht weniger als 12 Herrscher auf dem Thron zu Dehli. Hierdurch kamen Anarchie und Empörung an die Tagesordnung, und mehrere der das Reich des Moguln bildenden Völkerschaften machten sich mit ihren Statthaltern oder tributären Fürsten unabhängig; so der Nisam (Statthalter) von Haidarabad, der Nawwab von Oudh u. s. w. Die Sikh bildeten im Pandschab das Reich von Lahaur (engl. Lahore). Den Löwenanteil aber nahmen die Mahratten (s. d.), die schließlich den Großmogul selbst in ihre Gewalt bekamen und so die wahren Herren Indiens waren. Der Großmogul durfte als Titularkaiser seinen Hofstaat in Dehli behalten und bekam von den Mahratten eine Rente. Die Macht der Mahratten wurde 1761 durch den Afghanen Ahmad