Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

9

Peter Ⅰ. (Kaiser von Rußland)

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Peter Ⅰ.'

Sophia, wußte dies zu vereiteln. Ein Aufstand, bei dem sie sich zum erstenmal der Strelitzen bediente, brachte es dahin, daß Iwan und P. zwar zugleich als Zaren ausgerufen wurden, der Haupteinfluß der Regierung aber an Sophia fiel. Während nun Sophia nach der Alleinherrschaft strebte, bildete sich der junge Zar auf dem Lustschlosse Preobrashenskoje bei Moskau zu seinem großen Berufe aus. Geschickte Ausländer, wie der Artillerieoffizier Franz Timmermann aus Straßburg, der Schotte Patrick Gordon (s. d., Bd. 8, S. 164a) und der Genfer Franz Lefort (s. d.), wurden seine Lehrer in Mathematik und Kriegswesen. Durch seine Vermählung mit Eudoxia Feodorowna Lopuchin (6. Febr. 1689) erlangte er unter den großen Familien des Reichs einen bedeutenden Anhang und benutzte nun die unglückliche Führung des Krieges in der Krim durch den Günstling Sophias, Wassilij Golizyn, um von diesem und seiner Schwester im Staatsrat, wo er seit 1687 Sitz und Stimme genommen hatte, Rechenschaft über ihre Verwaltung und die Anmaßung des höchsten Titels zu verlangen. Sophia wandte sich jetzt an die altruss. Partei, deren Mißfallen P. durch seinen Verkehr mit den Ausländern erregt hatte, und machte durch ihre Strelitzen einen mörderischen Anschlag auf den in Preobrashensk weilenden jungen Zaren. Peter aber, rechtzeitig gewarnt, entfloh nach dem Troizkijkloster und rief den Adel sowie die disciplinierten Truppen unter den fremden Offizieren zu seiner Hilfe herbei. Die Hauptschuldigen wurden ergriffen und zu Tode geknutet oder nach Sibirien verbannt, Sophia selbst wurde in ein Kloster verwiesen. Im Sept. 1689 hielt P. in Moskau seinen Einzug als Alleinherrscher, obwohl er der Form nach die Mitregentschaft seines Bruders Iwan bis zu dessen Tode (29. Jan. 1696) beibehielt.

Vor allem schuf er jetzt ein europäisch geschultes Heer, mit dem er zunächst im Innern gegen das Altrussentum eine gesicherte Stellung gewann. Ebenso legte er den Grund zu einer Flotte, welche die Herrschaft auf der Ostsee und dem Schwarzen Meere begründen sollte. Am 28. Juli 1696 wurde die türk. Seemacht geschlagen und durch die von Gordon geleitete Belagerung Asow zur Übergabe gezwungen. Im April 1697 trat P., nicht als Zar, sondern als Mitglied einer Gesandtschaft, eine Reise ins Ausland an, auf der er die Ostseeprovinzen und Deutschland besuchte und in dem holländ. Orte Saardam sich unter dem Namen Peter Michailow als Arbeiter niederließ, um den Schiffbau zu erlernen. Von dort ging er nach England. Er war in Wien, als ihn die Nachricht von einer neuen Empörung der altruss. Partei, die sich noch auf die Strelitzen stützte, heimrief. Als er Aug. 1698 in Moskau eintraf, hatte Gordon den Aufstand bereits gestillt. P. hielt nun ein blutiges Strafgericht über die Schuldigen; an 1000 Menschen mußten sterben. P. selbst soll sich am Foltern und Hinrichten beteiligt haben. Viele wurden nach Sibirien verbannt, das Korps der Strelitzen aufgehoben. Auch seine Gemahlin Eudoxia, die eine Anhängerin des Altrussentums war, ward in ein Kloster gebracht. Es begann nun die Epoche der rücksichtslosesten Reformen. Die Erhebung der öffentlichen Abgaben wurde vereinfacht, die Nationalkleidung beschränkt, die langen Bärte beseitigt, gegen die orient. Abgeschlossenheit der Frauen angekämpft, das Reisen ins Ausland befördert, Straßen und Kanäle angelegt, Buchdruckereien und Schulen gestiftet und dem Aberglauben entgegengewirkt. P. errichtete den Senat, stiftete zehn Regierungskollegien zur Verwaltung des Reichs, schuf einen neuen Beamtenadel durch die Errichtung des Tschin (s. d.), gab den Städten eine Gemeindeverwaltung, änderte das Gerichtswesen, setzte aber auch die berüchtigte geheime Kanzlei zur Bekämpfung des Widerstandes gegen seine Umformungen ein. Die Raskolniken (s. d.) suchte P. durch eine milde Behandlung mit den Rechtgläubigen zu versöhnen, das Mönchswesen verbesserte er. Um die Macht des Klerus zu beschränken, ließ der Zar nach dem Tode des Patriarchen Adrian zu Moskau diese Würde unbesetzt, hob sie 1721 ganz auf und vereinigte in sich und dem von ihm geleiteten Allerheiligsten Synod die höchste geistliche und weltliche Macht.

Durch August Ⅱ. von Polen bestimmt, nahm P. teil an dem Nordischen Kriege gegen Karl ⅩⅡ. von Schweden, wurde aber bei Narwa (30. Nov. 1700) von Karl geschlagen. Während des Krieges legte er 27. Mai 1703 den Grund zur Stadt Petersburg, das er bald zur bleibenden Residenz erkor. Karls ⅩⅡ. Verweilen in Polen und Sachsen, dann sein unglücklicher Zug nach Rußland gaben dem Zaren Gelegenheit, in der Schlacht bei Poltawa (8. Juli 1709) die schwed. Armee zu vernichten. Darauf eröffnete er, nachdem er zuvor seinen Triumph in Moskau gefeiert, den Feldzug in Livland und Karelien. Wiborg und Kexholm wurden 1710 erobert, Riga, Pernau, Regal durch Vertrag gewonnen und mit diesen Plätzen ganz Livland und Karelien. Eine schlimme Wendung aber nahm im folgenden Jahre der türk. Krieg, den Karl ⅩⅡ. angestiftet hatte. P., am Pruth von den fünffach überlegenen Feinden eingeschlossen, verlor hier beinahe Thron und Leben und mußte froh sein, im Frieden am Pruth, 23. Juli 1711, gegen die Aufopferung Asows seine Rettung erkaufen zu können. Zur Herstellung seiner Gesundheit ging er hierauf noch im Herbst 1711 nach Karlsbad und feierte auf der Rückkehr in Torgau bei der Königin von Polen die Vermählung seines einzigen Sohnes Alexej mit der Prinzessin Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel. Seine Vermählung mit Katharina (s. Katharina Ⅰ.), die bei der Einnahme von Marienburg mit weggeführt worden war und deren Treue ihn im türk. Kriege gerettet hatte, feierte er 1. März 1712 in Moskau, nachdem er ihr 1707 heimlich angetraut worden war. Mitten im Kriege hatte er eine Verschwörung der altruss. Partei zu dämpfen, welche sein eigener Sohn Alexej gegen ihn anstiftete. (S. Alexej Petrowitsch.) Erst nach dem Tode Karls ⅩⅡ. beendigte P. den Krieg mit Schweden, der ihm im Nystader Frieden 1721 die Abtretung Livlands, Esthlands und Ingermanlands brachte. Nach dem Frieden nahm P. den Titel eines Kaisers aller Reussen an. Wenige Monate später erklärte er seine Tochter Elisabeth für volljährig und bestimmte zugleich (16. Febr. 1722), daß es dem Herrscher freistehen solle, zur Thronfolge zu berufen, wen er wolle: eine Änderung der Erbfolge, die Rußland viele Erschütterungen bereitet hat. Ein Krieg mit Persien 1722‒23 erwarb ihm die Städte Derbent und Baku und die Provinzen Gilan, Masenderan und Astrabad. Die Verhütung der Überschwemmungen, welche Petersburg im Herbst oft erleiden mußte, die Fortsetzung des Ladogakanals, die Errichtung einer Akademie der Wissenschaften (8. Febr. 1724), die aber erst 1726 eröffnet wurde, die Fortführung seiner Reformen und ein neuer

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 10.