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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Polizeiaufsicht; Polizeistaat; Polizeistrafverfahren

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Polizeiaufsicht - Polizeistrafverfahren

dieser materiellen Bestimmung des polizeilichen Wirkungskreises verstehen manche Schriftsteller unter P. diejenige Thätigkeit auf dem Gebiete der innern Verwaltung, die mit einem Zwang gegen Personen verbunden ist, obwohl die Anwendung der staatlichen Gewalt auch auf dem Gebiete des Finanz-, Militär- und Justizwesens nicht zu entbehren ist und man demgemäß auch von Gerichts-, Zoll-, Steuerpolizei u. s. w. spricht.

Man teilt die P. nach ihren verschiedenen Aufgaben ein, z. B. in Kriminal-, Gesundheits-, Verkehrs-, Markt-, Straßen-, Bergwerks-, Sittlichkeitspolizei u. s. w. und unterscheidet ferner die Orts- (Lokal-)polizei und die allgemeine Landespolizei. Die erstere ist gewöhnlich den Gemeinden und andern Körperschaften zur Selbstverwaltung übertragen, während die letztere von Behörden des Staates wahrgenommen wird; in den großen Städten Preußens wird auch die Lokalpolizei von Staatsbehörden gehandhabt. Die gerichtliche P. (Kriminalpolizei) ist unter die Leitung der Staatsanwaltschaft gestellt; dagegen ist die sog. Polizeigerichtsbarkeit, d. h. die Untersuchung und Bestrafung der Übertretungen, ein Teil der Strafrechtspflege. (S. Polizeistrafverfahren.) Den Behörden, welchen die Handhabung der P. obliegt, ist in der Regel auch die Befugnis zum Erlaß von Polizeiverordnungen delegiert. Ein Mißbrauch war die geheime P., die besonders in Frankreich unter Ludwig ⅩⅣ. seit Argenson (1697‒1718), aber auch während der Regierung Napoleons Ⅰ. unter Fouché ihr Netz der Spionage über das ganze Reich ausdehnte, Verbrechen selbst erst anstiftete (s. Agents provocateurs), alle Geselligkeit untergrub, die Regierung durch ihre Verbindung mit ehrlosen, wieder einer geheimen Gegenpolizei (contre-police) unterstellten Subjekten entwürdigte und trotz ihrer hohen Kosten wenig Nutzen gewährte.

Vgl. Rob. von Mohl, Die Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates (3. Aufl., 3 Bde., Tüb. 1866); Förstemann, Principien des preuß. Polizeirechts (Berl. 1870); Rosin, Das Polizeiverordnungsrecht in Preußen (Bresl. 1882); Avé-Lallemant, Physiologie der deutschen P. (Lpz. 1882); die Werke über Verwaltungsrecht von L. von Stein, Rösler, Löning, G. Meyer u. a.

Polizeiaufsicht, eine in Deutschland nur neben einer andern Freiheitsstrafe accessorisch vom Richter zu verhängende Freiheitsbeschränkung. Nach den darauf bezüglichen Vorschriften des Reichsstrafgesetzbuchs (§§. 38 u. 39) erhält auf Grund richterlichen Straferkenntnisses die Landespolizeibehörde die Befugnis, den Verurteilten nach Anhörung der Gefängnisverwaltung auf die Zeit von höchstens fünf Jahren unter P. zu stellen. Geschieht dies, so hat die Behörde die Befugnis, den Aufenthalt an einzelnen bestimmten Orten zu untersagen, Ausländer aus dem Bundesgebiet zu verweisen und unabhängig von den zeitlichen Beschränkungen der Strafprozeßordnung (z. B. auch zur Nachtzeit) Haussuchungen vorzunehmen. Die P. ist franz. Ursprungs. Ihr Zweck ist Prävention. Gefährliche Individuen, z. B. Münzfälscher, gewerbsmäßige Diebe, Hehler, Wilddiebe, sollen verhindert werden, sich der rechtzeitigen Ergreifung und der Beobachtung ihres Lebenswandels zu entziehen. Auch die belg. und engl. Gesetzgebung hat die P. Nutzen und Schaden der P. lassen sich in ihrem gegenseitigen Verhältnis nicht leicht abschätzen. Als Übelstand fällt ins Gewicht, daß eine mißtrauisch gehandhabte P. leicht das Bestreben solcher durchkreuzt, die ehrlichen Arbeitserwerb nach geschehener Entlassung aus der Strafanstalt suchen und dann durch polizeiliche Nachfragen kompromittiert werden. – Vgl. Fuhr, Die P. nach dem Reichsstrafgesetzbuche (Gieß. 1888); Braune, Wider die P. (in der «Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft», Bd. 9, Berl. 1888).

In Österreich ist die Stellung unter P. zulässig gegen Personen, welche wegen Verfälschung öffentlicher Kreditpapiere, Münzverfälschung oder wegen strafbarer Handlungen wider fremdes Eigentum zu einer mehr als sechsmonatigen, oder wiederholt zu kürzern Freiheitsstrafen, oder welche als Landstreicher verurteilt sind und für die Sicherheit des Eigentums gefährlich erscheinen. Die Zuständigkeit ist ähnlich wie in Deutschland geordnet; die P. darf nicht über drei Jahre vom Tage der Entlassung aus der Strafe ab ausgedehnt werden. Wirkungen, außer den für Deutschland genannten, sind die Verpflichtung des Verurteilten, jeden Wechsel seiner Wohnung anzuzeigen, über seine Beschäftigung, seinen Unterhalt, Erwerb, Verkehr mit andern Personen auf Verlangen jederzeit Auskunft zu erteilen. Die Sicherheitsbehörden können ihm in bestimmten Fristen wiederkehrende persönliche Meldung auferlegen, Beteiligung an bestimmten Versammlungen, Betreten gewisser Räumlichkeiten, Verlassen der Wohnung zur Nachtzeit untersagen. Übertretungen der Beschränkungen sind strafbar (Strafgesetzbuch §. 26; Gesetz vom 10. Mai 1873, §§. 4‒9, 11). – Vgl. Zucker, Die Polizeiaufsicht nach österr. Recht (Prag 1894).

Polizeistaat, ein Staat, in welchem die Fürsorge der Verwaltungsbehörden für die Wohlfahrt und Sicherheit der Gesamtheit auf Kosten der individuellen Freiheit und der unabhängigen Wege des Rechts ungebührlich ausgedehnt wird. Ein solches System führt zur staatlichen Bevormundung der Bürger und zur Nichtachtung des Rechts, wenn das vermeintliche Interesse des Staates dazu Veranlassung giebt. Zur Rechtfertigung pflegt man sich auf den Satz salus publica suprema lex esto zu berufen. Als Beispiel eines solchen Systems wird gewöhnlich der Staat Ludwigs ⅩⅣ. angeführt; auch unter Maria Theresia und Joseph Ⅱ. war dies System stark ausgebildet.

Polizeistrafverfahren. Den Polizeibehörden kann nach der Reichsstrafprozeßordnung in gewissem Umfange durch Bestimmung der Landesgesetze die Befugnis beigelegt werden, eine in den Strafgesetzen angedrohte Strafe durch Verfügung festzusetzen. Diese Befugnis erstreckt sich aber nur auf Übertretungen; auch kann die Polizeibehörde keine andere Strafe festsetzen als Haft bis zu 14 Tagen oder Geldstrafe und die an Stelle nicht beizutreibender Geldstrafe tretende Haft, sowie eine etwa verwirkte Einziehung. Gegen die Strafverfügung, welche gleich einer richterlichen Handlung die Verjährung unterbricht, kann der Beschuldigte, sofern er nicht eine gesetzlich zugelassene Beschwerde an die höhere Polizeibehörde ergreift, binnen einer Woche nach der Bekanntmachung bei der Polizeibehörde, welche diese Verfügung erlassen hat (schriftlich oder mündlich) oder bei dem zuständigen Amtsgericht (schriftlich oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers) auf gerichtliche Entscheidung antragen. Gegen Versäumung der Frist ist Wiedereinsetzung (s. d.) in den vorigen Stand zulässig. Der rechtzeitige Antrag