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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Rasores - Raspail
und in Priesterlose (Vespopowzy). Erstere ver-
langen nur von den geweihten Priestern, daß sie
förmlich zu ihnen übertreten, die "neuen" Kirchen-
bücher verwerfen und gewisse Ceremonien nach dem
altgläubigen Ritus verrichten.
Unter den priesterlichen R. sind folgende her-
vorzuheben: 1) die Gemeinden zuKersh en ez, einem
Nebenflüßchen der Wolga im Gouvernement Nishnij
Nowgorod. Sie bildeten die älteste priesterliche
Gruppe und hatten eine besondere Auffassung von
der Dreieinigkeit; 2) die donischen und kubani-
schen Gemeinden, vom Mönch Hiob gegründet; 3) die
Siedeleien derWetta-Insel im Tschernigowschen
Gouvernement, die angesehenste Gruppe. Aus der
Wetka gingen hervor: dieDiakoniten und die A n -
Hänger der Epiphanischcn Lehre. Die Wetka-
gemeinden wurden 1764 von der Regierung gewalt-
sam aufgelöst; 4) die Gemeinden von Starooub,
welche sich aus den Überresten der Wetkagcmeinden
bildeten und deren Ansehen erbten. Auch hier ent-
standen neue Lehrgemeinschaften: dieTschernobo-
lische und die Suslowsche Lehre; 5) die Ge-
meinden am Irgis im Gouvernement Saratow;
6) die Gemeinden auf dem Friedhof von Rogofh
in Moskau. Außerhalb Rußlands sind die Alt-
gläubigen häufig in der Bukowina, Rumänien, der
Türkei und Kleinasien. 1846 wurde in Vjelotriniza
(rumün. ^ontana. aida) in der Bukowina ein Metro^
politansitz der Altgläubigen begründet. Derselbe
konnte aber seine Autorität nur in einigen Gegenden
geltend machen. Seit dem poln. Ausstände von
1863 hörte die Verbindung des Metropoliten mit
den russ. Altgläubigen fast ganz auf. Viele Mos-
kauer Gemeinden schlössen sich den Iedinow-
jerzen (s. d.) an.
Unter den priesterlosen R. hatten 1) die Po-
morzy (oder Danieliten) am Flusse Wyg, der in
das Weiße Meer fließt, schon im 17. Jahrh. Be-
deutung. Sie erkannten die Staatskirche nicht an,
beteten aber für den Zaren; aus ihnen ging der
Mönch Philipp hervor, dessen Anhänger 2) die
Philipponen (s. d.) sind. Eine andere Gruppe,
3) die Kapitonen, so alt wie die Pomorzy, sind
Vegetarianer und halten auch den Selbstmord für
verdienstlich. Die verbreitetste popenlose Gruppe
ist 4) die der Theodosianer (Fedossejewzy).
Fedossej Wassiljew lehrte Ende des 17. Jahrh,
in Nowgorod, daß in der Staatskirche der Anti-
christ herrsche, und verwarf Priestertum und Sakra-
mente. Besondern Aufschwung nahmen die Theo-
dosianer seit dem Pestjahr 1771, wo einer ihrer
Anhänger, Kowylin (daher auch Kowylinzen),
ein großes Pesthospital auf dem Friedhof von
Preobraschensk in Moskau gründete; diese An-
stalt , die von dem Zaren große Privilegien genoß
und, wie die weltlichen Hospitäler, von geist-
licher Beaufsichtigung befreit war, bildete bald eine
Pflanzstätte für die Theodosianer. 1853 wurden
den stark vergrößerten Anstalten die Privilegien
genommen, indessen sind noch heute die Leiter
meist Anhänger der Theodosi anischen Gruppe. Zu
den Pomorzy stehen die Thcodosiancr im Gegen-
satz. In Beziehung auf die Ehe haben die Theodo-
sianer die Ansicht, daß, seitdem es keine rechtmüßig
geweihten Priester gäbe, auch die Ehen nicht mehr
rechtmäßig sein könnten, woraus naturgemäß eine
laxe Auffassung der ehelichen Verhältnisse sich ent-
wickelt hat. Höchst gefährlich erscheinen 5) die
Stranniki (Wanderer) oder Vjeguny, deren
Stifter, ein militär. Deserteur, Iewsimij, alle Be-
ziehungen zum Staat und zur Staatskirche ab-
brach. Sie verdammen die Ehe und halten nichts
von geschlechtlicher Moralität. Sie befinden sich be-
ständig auf der Flucht vor dem Antichrist (Kirche
und Staat). Eine kleine, aber sehr wüste Gruppe
bilden 6) die Chlysty, Selbstgeihler, welche eine
hierarchische Ordnung unter sich ausrecht erhalten;
sie haben einen "Christus", eine "Mutter Gottes",
einen "Propheten" u. s. w. Ihre Andachten sind
mit Kasteinngen, Nervenüberreizungen und Aus-
schweifungen verbunden. Gewissermaßen verwandt
mit diesen sind 7) die Skopzen (s. o.).
Durch Nüchternheit des Lebens und gegenseitige
Unterstützung gelangen die R., zu denen viele russ.
Kaufleute gehören, meist zu großem Wohlstände.
Das Centrum ihrer Organisation ist Moskau, wo
beide Hauptrichtungen des Raskols ihre reich-
dotierten Hospitäler und Klöster haben. Die anfangs
harten Verfolgungen ließen unter der Kaiserin Ka-
tharina 1l. etwas nach. Doch wurde erst 1874 durch
Einführung der Civilstandsregister in Rußland die
Ehe der R., wenn sie in jene 'Register eingetragen
waren, als gesetzlich anerkannt. Andere Beschrän-
kungen der bürgerlichen Freibeit bestehen noch fort.
Vgl. Makarij, Geschichte des russ. Raskols (russisch,
Pctersb. 1859; ein ausführlicher Auszug in der
"Baltischen Monatsschrift", Bd. 1, S. 105 fg.);
Schtschapow, Der russ. Raskol (russisch, Kasan 1859);
1^6 I^kol, 688^1 Iii8t0!'i(iu6 6tc. (Par. 1859); Ger-
bel-Embach, Russ. Sektierer (Heilbr. 1883); ferner
die russ. Schriften von Melnikow, Aristow, Nilskij,
Rasöres, s. Hühnervögel. ^Subbotin.
Rasorismus, s. Gegenreiz.
^5"F/)., hinter naturwissenschaftlichen Namen
Abkürzung für Francois Vincent Naspail (s. d.).
Raspail (spr. -p'äj), Francois Vincent, franz.
Naturforscher und Politiker, geb. 29. Jan. 1794 zu
Carpentras, kam 1815 nach Paris, wo er sich bei
allen Verschwörungen der Restaurationsperiode so-
wie an der Iulirevolution beteiligte. Später schrieb
er gegen die Iuliregicrung eine Reihe erbitterter
Flugschriften, die ihm eine 15monatige Haft zu-
zogen. Unter seinen naturwissenschaftlichen Schriften
früherer Zeit sind besonders hervorzuheben: "^88ai
ä6 cliimio niicro^opiHUtz ai)Mhu66 ü. 1a pli^io
lo^is" (Par. 1831), "^onveau 8V3t6ni6 äs cliimis
0i-^ui(iu6" (ebd. 1833; 2. Aufl., 3 Bde. mit Atlas,
1838), "X0UV69.U 8V8t6ll16 ä6 pQV8i()1()Fi6 V6Z6-
tai6 6t ä6 d0wni<iu6" (2 Bde., ebd. 1837, mit
Atlas), "N6iüoii'6 coinMi-^til 8iii' 1'Qi8toii-6 na-
tui'6ii6 ä6 1'iQ86ct6 ä6 13. A3.16" (ebd. 1834; deutsch
Lpz. 1835) und "Hi8toir6 n^wi-6116 ä6 lg. 8aut6
6t ä6 1a inala(1i6 CQ62 163 V6ZMHUX 6t 163 klii-
manx" (3 Bde., 1839-43; 3. Aufl. 1860). Beim
Ausbruch der Aprilunruhen von 1834 stiftete er das
demokratische Tageblatt "1^6 i^loi-mÄt^ii-", das in-
folge von Preßprozessen Ende 1835 wieder aufhören
mußte. R. warf sich nun mit doppeltem Eifer auf
mediz. Studien, deren Resultat die Schrift "(^Fai-6tt68
ä6 camplii'6 6t cHin^1iati<2i'68 iivFi6niqu68 conti-6
UQ6 lonl6 ä6 INKUX I6nt3 3< znörir" (Par. 1839 u. ö.)
war. Am Abend des 24. Febr. 1848 drang er an
der Spitze eines Volkshaufens in den Bcratungs-
saal der Provisorischen Regierung und zwang diese,
die Republik zu proklamieren. Am 27. Febr. ließ er
die erste Nummer des "^iui äu ^supls" erscheinen,
dessen Wirksamkeit er durch die Stiftung
der Volksfreunde unterstützte.
des Klubs
Am 15. Mai befand