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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Raudnitz – Rauhes Haus

Raudnitz. 1) Bezirkshauptmannschaft in Böhmen, hat 459,34 qkm und (1890) 45212 (21980 männl., 23232 weibl.) meist czech. E. in 81 Gemeinden mit 97 Ortschaften und umfaßt die Gerichtsbezirke Libochowitz und R. –

2) R. an der Elbe, czech. Roudnice nad Labem, Stadt und Sitz der Bezirkshauptmannschaft, eines Bezirksgerichts (253 qkm, 26656 E.) und der fürstl. Lobkowitzscken Domänen- und Forstverwaltung, links an der Elbe und an der Linie Prag-Bodenbach der Osterr.-Ungar. Staatsbahn, hat (1890) 3349, als Gemeinde 6615 E., ein großartiges Schloß der Fürsten von Lobkowitz, 1650–77 an Stelle eines alten bis 1194 zurückreichenden Holzbaues errichtet, mit einer Bibliothek (50000 Bände, 600 Manuskripte, 1200 Inkunabeln, darunter eine Mainzer Bibel von 1462), Bilder- und Waffensammlung, ferner ein Kapuzinerkloster, czech. Staatsobergymnasium, czech. landwirtschaftliche Mittelschule; Fabrikation von Zucker, Spiritus, Malz, Liqueur, Öl, Leder, Korkstöpseln, Metallwaren und Chemikalien, Brauerei, Sägewerke und Handel mit Holz, Getreide und Vieh. – 1350 saß hier der röm. Tribun Cola di Rienzi als Gefangener Kaiser Karls IV.

Raudten, Stadt im Kreis Steinau des preuß. Reg.-Bez. Breslau, an den Linien Breslau-Stettin und R.-Camenz (145,1 km) der Preuß. Staatsbahnen, hat (1890) 1394 E., darunter 258 Katholiken und 20 Israeliten, Post, Telegraph, evang. und kath. Kirche; Braunkohlenlager und ehemals bedeutende Tuchfabrikation.

Rauensche Berge, s. Fürstenwalde.

Rauenthal, Pfarrdorf im Rheingaukreis des preuß. Reg.-Bez. Wiesbaden, 5 km nördlich von Eltville, auf einem Vorberge des Taunus, hat (1890) 992 kath. E., Postagentur, Telegraph, Kirche (15. Jahrh.) und Weinbau. Die nahe Bubenhäuser Höhe (268 m) gewährt einen prächtigen Überblick über den Rheingau. Das ehemalige Kloster Tiefenthal nahe dem Wallufbach ist jetzt Schloß, der ältere Teil Mühle. – Der Rauenthaler ist einer der edelsten Weine des Rheingaus, wächst südöstlich vom Dorfe R. auf einem Bergsattel an der Straße von Walluf nach Schwalbach. Der Wein zeichnet sich insbesondere aus durch höchst entwickelte Blume neben feingeistiger Fülle und bedeutender Kraft. Man unterscheidet Rauenthaler Berg (die bessern Lagen) und gewöhnlichen Rauenthaler, unter welcher Etikette das Produkt einer weiten Umgebung in den Handel tritt.

Raufdegen, früher die Hauptwaffe des Stoßfechtens, bestand aus langer schmaler gerader Klinge mit Stichblatt (Glocke), Parierstange und Griff.

Raufhandel. Der R. hat, nebst den dabei vorkommenden Körperverletzungen und Tötungen, von jeher der Gesetzgebung Schwierigkeiten rücksichtlich geeigneter, nicht allzu sehr von Fiktionen ausgehender Bestrafung bereitet. Oft ist es unmöglich, festzustellen, wer von den dabei Beteiligten den Tod oder die Körperverletzung verursacht hat, während in andern Fällen der Erfolg nur aus dem Zusammenwirken mehrerer Verletzungen sich ergiebt. Nach dem Deutschen Strafgesetzb. §. 227 wird jeder, welcher sich an dem R. beteiligt hat, wenn er nicht ohne sein Verschulden hineingezogen war, schon wegen dieser Beteiligung mit Gefängnis bis zu 3 Jahren bestraft. Voraussetzung ist, daß durch den R. der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung verursacht wurde. Daneben werden ↔ diejenigen, welche Verletzungen beigebracht haben, durch deren Zusammentreffen der Tod oder die schwere Körperverletzung verursacht ist, mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängnis nicht unter 1 Monat bestraft. Das Österr. Strafgesetzbuch hat eine besondere Strafe für denjenigen, welcher Hand angelegt hat (§§. 143, 157). Vorbebalten bleiben nach beiden Gesetzen die besondern Strafen des Mordes, Totschlages u.s.w., wenn der Thäter nachweisbar ist.

Raugraf, im Mittelalter Bezeichnung mehrerer gräft. Geschlechter. Es gab R. zu Dassel, ferner R. in der Gegend zwischen Trier und Alzei, wo die Altenbaumburg oder Brimeneburg bei Münster ihr Stammsitz war. Von ihnen zweigten sich die Wildgrafen von Kirburg (Kyrburg) und Dann und die Grafen von Veldenz ab. Vielleicht hängen auch die Rheingrafen mit ihnen zusammen. Nachdem diese Besitzungen bei dem Erlöschen der raugräfl. Geschlechter an die Pfalz gekommen waren, erneuerte der Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz diesen Titel zu Gunsten seiner ihm zur linken Hand angetrauten Gemahlin, Loysa von Degenfeld (s. d.), die fortan Raugräfin hieß.

Rauhbank, ein langer Hobel (s. d., Fig. 2) zum Hobeln großer Flächen.

Rauhe Alb (fälschlich oft Alp) oder Höhlenjura, der breiteste Teil des Schwäbischen Juras (s. d.). Sie wird in die Hintere Alb (Kornbühl, 886 m), von der Lauchart bis zur Lauter, die Mittlere Alb, von der Lauter bis zur obern Lone, und in die Vordere Alb geteilt. Von den Höhlen der R. A. sind vor allem zu nennen: die Nebelhöhle bei Oberbausen und die Karlshöhle bei Erpfingen. Ein Teil ist das Aalbuch.

Rauhe Ebrach, Fluß in Bayern, s. Ebrach.

Rauhen, s. Appretur (Bd. 1, S. 762b).

Rauheneck, Rauhenstein, Burgruinen bei Baden (s. d., Bd. 2, S. 274b) in Niederösterreich.

Rauhes Haus, Erziehungs- und Bruderbildungsanstalt in Horn bei Hamburg, gegründet 1833 von Joh. Hinrich Wichern in einer unscheinbaren Strohhütte, die nach dem Erbauer oder frühern Bewohner «Ruges Huus» hieß, was mißverständlich in R. H. verhochdeutscht wurde. Die Anstalt umfaßt jetzt 25 kleinere und größere Häuser. Je 12–15 Kinder wohnen unter Aufsicht von «Brüdern» in einem Hause zusammen und bilden eine «Familie». Das R. H. besteht aus folgenden Zweiganstalten:

  • 1) Die Knabenkinderanstalt für ärmere oder für das Handwerk bestimmte Kinder (etwa 70), die Volksunterricht in vier Klassen erhalten, auch mit Feld- und Gartenarbeit beschäftigt und nach der Konfirmation bei Meistern außerhalb oder in den Werkstätten der Anstalt selbst untergebracht werden;
  • 2) die Lehrlingsanstalt, seit 1877, zur Ausbildung von Schlossern, Tischlern, Schneidern, Schuhmachern, Schriftsetzern und Buchdruckern (zusammen etwa 20), und seit 1890 auch Ökonomielehrlingen (ebenfalls 20);
  • 3) das Pensionat oder das Paulinum, seit 1850, für Knaben (70–80) aus gebildeten Ständen. Der Unterricht entspricht dem einer lateinlosen Realschule;
  • 4) die Brüderanstalt zur Ausbildung von Gehilfen («Brüdern», 40–50) im Dienst der Innern Mission, die dann auf Grund ordentlicher Berufung als Vorsteher und Gehilfen von Rettungshäusern, Herbergen zur Heimat, Arbeiterkolonien, als Armenkrankenpfleger und Gemeindehelfer entsendet werden. Bis Ende 1894 wurden

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 644.