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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Rechtsgelehrsamkeit; Rechtsgeschäfte; Rechtsgeschichte; Rechtsgut; Rechtshängigkeit

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Rechtsgelehrsamkeit - Rechtshängigkeit

in Österreich und Großbritannien) wegen besonderer örtlicher Verhältnisse für einzelne der zu demselben Staate vereinigten Länder, Provinzen, Kreise, selbst Städte einzelne besondere Gesetze (z. B. Gemeindeordnung, Bauordnung, Polizeiverordnung) erlassen werden, auch von den lokalen Behörden ein Verordnungsrecht ausgeübt wird. Überdies hat die Erwerbung von Gebietsteilen durch Eroberung oder Erbgang und deren Eingliederung in das Staatsganze, welchem sie zuwachsen, nicht ohne weiteres die Wirkung, daß die in dem angegliederten Teile bisher gültigen Gesetze beseitigt sind und die für den angliedernden Staat erlassenen gültig werden. Dazu bedarf es einer ausgleichenden Gesetzgebung, welche, um nicht die Empfindlichkeit der neuen Unterthanen zu erregen, häufig, bisweilen zu lange, hinausgeschoben wird. Aus diesen Vorgängen, aus der staatlichen Zersplitterung, aus einem früher vielfach verbreiteten Irrtum über die Besonderheit des deutschen Charakters (s. Recht) erklärt es sich, daß wir namentlich auf dem Gebiete des Bürgerlichen Rechts (s. d.) noch heute eine Menge verschiedener R. haben, welche sich unter die vier großen Gruppen des Preuß. Allg. Landrechts (s. d.), des Gemeinen Rechts (s. d.), des franz. Rechts und des Bürgerl. Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen, welches dem Gemeinen Recht am nächsten steht, bringen lassen. Im einzelnen lassen sich dann wieder namentlich im R. des Gemeinen Rechts kleinere R. aussondern nach Staatsgebieten, Landschaften, Städten und selbst Ortschaften. Aber auch im R. des Allg. Landrechts giebt es für einzelne Rechtsinstitute wieder vom Landrecht zugelassene provinzielle Verschiedenheiten. (Hierzu die Übersichtskarte der Rechtsgebiete im Deutschen Reiche.)

Rechtsgelehrsamkeit, s. Rechtswissenschaft.

Rechtsgeschäfte, Willenserklärungen, die zu dem Zweck abgegeben werden, Rechtsverhältnisse der Erklärenden, der von ihnen Vertretenen oder ihrer Rechtsnachfolger zu begründen, aufzuheben oder zu verändern. Sie kommen auf öffentlich-rechtlichem Gebiet (Staatsverträge und völkerrechtliche Verträge, Anstellung von Beamten, Enteignungen, Zahlung von Steuern u. s. w.) vor; den größten Umfang haben sie auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts. Der ganze bürgerliche Verkehr ist eine Kette von R., ferner sind R. die Eheschließung, die Adoption, die Testamentserrichtung u. s. w. Die R. sind einseitige (s. Einseitiges Rechtsgeschäft) oder zweiseitige (Verträge), lästige oder wohlthätige, je nachdem dem andern ein vermögensrechtlicher Vorteil allein oder gegen eine Aufopferung zugewendet wird; sie werden abgeschlossen unter Lebenden mit der Bestimmung, daß die beabsichtigten Wirkungen noch bei Leben des Abschließenden eintreten oder von Todes wegen. Ihrem Inhalt nach sind sie Veräußerungen (einschließlich der Verzichte), und von der andern Seite Erwerbungen, wie die Auflassung (s. d.) von Grundeigentum und die Cession (s. d.), und wenn man das wirtschaftliche Motiv, die Causa (s. d.) hinzunimmt, Kauf, Tausch, Schenkung, Vermächtnis u. s. w., oder sie begründen Forderungsrechte (s. d.), wie das Schenkungsversprechen, der Wechsel, der Kreditbrief, das Darlehn, der Auftrag, das Verlöbnis u. s. w., oder sie tilgen solche, wie die Zahlung, die Kompensation, Hinterlegung u. s. w. Zu ihrer Gültigkeit gehört Handlungsfähigkeit (s. d.) des Erklärenden, ein der Erklärung zu Grunde liegender Wille, welcher in Wort, Schrift oder konkludenter Handlung einen seinem Inhalt entsprechenden Ausdruck findet, Übereinstimmung der Willenserklärungen der im R. einander gegenüberstehenden Personen, und wenn das Gesetz solches erfordert, die Innehaltung einer gewissen (schriftlichen, notariellen oder gerichtlichen) Form. Die R. können auch durch Stellvertreter (s. d.) abgeschlossen werden. Irrtum (s. d.), Betrug (s. d.), Zwang (s. d.), Simulation (s. d.) haben Ungültigkeit oder Anfechtbarkeit von R. zur Folge. Die Anfechtbarkeit kann auch durch das Verhältnis zu den Gläubigern begründet werden. (S. Anfechtung.)

Rechtsgeschichte, s. Rechtswissenschaft.

Rechtsgut, ein Sachgut, Zustand oder Verhältnis, an welchem der Einzelne oder die Gesamtheit ein rechtliches Interesse hat, das, sei es direkt durch eine Klage, sei es indirekt durch Bestrafung dessen, welcher das R. verletzt, geschützt ist: Leben, Freiheit, Ehre, körperliche Integrität, Geschlechtsehre, Vermögensrechte, Besitz, Innehabung, die Autorität der Beamten, das Staatsgebiet u. s. w. Die Verschiedenheit der einzelnen Rechtsgütergruppen giebt den Grund zur Einteilung der Strafgesetzbücher in verschiedene Abschnitte, und auch sonst ist die Bedeutung des R. für die Entscheidung mancher strafrechtlichen Fragen wichtig.

Rechtshängigkeit, Litispendenz, Litigiosität, derjenige Zustand eines Rechtsverhältnisses, welcher durch Einleitung des Civilprozesses, nach der Deutschen Civilprozeßordnung durch die Klagerhebung oder eine gleichwertige Prozeßhandlung begründet wird. Die R. hat folgende Wirkungen: Wenn während der Dauer der R. von einer Partei die Streitsache anderweit anhängig gemacht wird, so kann der Gegner die Einrede der R. erheben. Die Zuständigkeit des Prozeßgerichts wird durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt. Der Kläger ist nicht berechtigt, ohne Einwilligung des Beklagten die Klage zu ändern. Die R. schließt das Recht der Parteien nicht aus, die in Streit befangene Sache zu veräußern oder den geltend gemachten Anspruch zu cedieren. Doch hat die Veräußerung oder Cession auf den Prozeß keinen Einfluß. Der Erwerber kann ohne Zustimmung des Gegners nicht an Stelle des Veräußerers treten oder eine Hauptintervention (s. d.) erheben. Die Entscheidung ist in der Sache selbst auch gegen ihn wirksam und vollstreckbar. Handelt es sich jedoch um Feststellung von Rechten für Grundstücke oder um Belastungen von Grundstücken zwischen Besitzer und Dritten, so ist der Erwerber berechtigt und auf Antrag des Gegners verpflichtet, den Prozeß an Stelle des Veräußerers zu führen. Civilrechtliche Vorschriften über sonstige Wirkungen der R., wohin namentlich die Unterbrechung der Verjährung gehört, sind unberührt gelassen; jedoch treten diese sowie alle Wirkungen, welche nach Civilrecht an Anstellung, Mitteilung oder gerichtliche Anmeldung der Klage, bez. an die Ladung oder Einlassung des Beklagten geknüpft sind, nunmehr mit der Erhebung der Klage ein. Die R. dauert bis zur Beendigung des Prozesses durch Dispositionsakt (Zurücknahme der Klage, Verzicht, Vergleich) oder durch rechtskräftiges Urteil. Wird die Klage zurückgenommen, so kommen die Wirkungen der R. wieder in Wegfall. Ist über den geklagten Anspruch rechtskräftig entschieden worden, so tritt an die Stelle der Einrede der R. die der rechtskräftig entschiedenen Sache. (S. auch Klage und Mahnverfahren.)