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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Rechtshilfe; Rechtsirrtum; Rechtskraft

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Rechtshilfe - Rechtskraft

Rechtshilfe, die Vornahme gerichtlicher Handlungen auf Ersuchen eines andern Gerichts oder einer andern Behörde. Nach dem Deutschen Gerichtsverfassungsgesetz darf jedes Gericht Amtshandlungen der Regel nach nur innerhalb seines Sprengels vornehmen, außerhalb desselben nur, wenn Gefahr im Verzuge obwaltet, in welchem Falle dem Amtsgericht des Orts Anzeige zu machen ist, und sonst nur mit dessen Zustimmung. Demzufolge muß, wenn im Laufe eines Prozesses eine richterliche Handlung notwendig wird, die in einem andern Gerichtsbezirk vorzunehmen ist (z. B. Augenschein, Vernehmung eines Zeugen), das Gericht dieses Bezirks um Vornahme der Handlung ersucht (requiriert) werden. Diese R. im Bereich der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit, d. h. im Civil- und Strafprozeß, ist durch das Gerichtsverfassungsgesetz geregelt, während sonst noch das Bundes-Rechtshilfegesetz vom 21. Nov. 1869 gilt. Die R. zwischen deutschen und außerdeutschen Gerichten bestimmt sich nach internationalem Vertrag oder Brauch (Princip der Gegenseitigkeit). Nach dem Gerichtsverfassungsgesetz sind die deutschen Gerichte einander zur R. verpflichtet, das Ersuchen darf nur abgelehnt werden, wenn das ersuchte Gericht für die Handlung örtlich unzuständig oder diese nach dem Recht des ersuchten Gerichts verboten ist. Unbedingt ist aber stattzugeben dem Ersuchen eines im Instanzenzug vorgesetzten Gerichts. Das Ersuchen ist immer an das Amtsgericht zu richten, in dessen Bezirk die Amtshandlung vorzunehmen ist. Streitigkeiten in betreff der R. entscheidet, auf Antrag einer Partei oder des ersuchenden Gerichts, das dem ersuchten Gericht vorgesetzte Oberlandesgericht, in letzter Instanz das Reichsgericht. Da Urteile und Beschlüsse eines deutschen Gerichts im ganzen Reichsgebiete wirksam sind, so bedarf es zum Zweck von Vollstreckungen, Zustellungen, Ladungen nicht erst des Ersuchens um R.; vielmehr kann ein Gerichtsvollzieher unmittelbar damit beauftragt werden. Freiheitsstrafen, welche die Dauer von sechs Wochen nicht übersteigen, sind in demjenigen Bundesstaate zu vollstrecken, in welchem der Verurteilte sich befindet. Soll eine Freiheitsstrafe im Bezirk eines andern Gerichts vollstreckt oder ein daselbst befindlicher Verurteilter zwecks der Strafverbüßung ergriffen und abgeliefert werden, so ist die Staatsanwaltschaft am Landgericht des Bezirks zu requirieren. Die Sicherheitsbeamten eines Bundesstaates sind zur Verfolgung und Ergreifung eines Flüchtigen auf dem Gebiet eines andern Bundesstaates ermächtigt. Bei R. unter Behörden verschiedener Bundesstaaten sind Kosten der R., abgesehen von baren Auslagen für Ablieferung oder Strafvollstreckung, nicht zu erstatten. Ist jedoch eine zahlungspflichtige Partei vorhanden, so sind die Kosten von dieser durch das ersuchende Gericht einzuziehen.

Rechtsirrtum, s. Irrtum und Ignorantia juris nocet.

Rechtskraft, die einer Anfechtung nicht mehr unterworfene Gültigkeit einer gerichtlichen Entscheidung. Gegen manche Entscheidungen, z. B. die Urteile höchster Instanz, giebt es überhaupt kein Rechtsmittel mehr; sie sind mit ihrem Erlaß rechtskräftig. Andere werden rechtskräftig, wenn das dagegen eingelegte Rechtsmittel von dem zuständigen Gericht endgültig zurückgewiesen ist, oder wenn die gesetzliche Frist für eine Anfechtung abgelaufen oder auf ein Rechtsmittel verzichtet ist. Das Rechtsmittel hemmt den Eintritt der R., hat Suspensiveffekt, aber nur zu Gunsten desjenigen, der dasselbe einlegt; das Urteil wird rechtskräftig gegen die Partei, die es innerhalb der gesetzlichen Frist nicht angefochten hat. Dieser Grundsatz der relativen R., das Verbot, zum Nachteil des Einlegenden abzuändern, hat indes weder im Civil- noch im Strafprozeß uneingeschränkte Geltung. (Wegen der Civilprozeßordnung s. Anschließung.) Nach §. 343 der Deutschen Strafprozeßordnung ist die relative R. nur eine einseitige, da jedem von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittel die Wirkung beigelegt ist, daß die angefochtene Entscheidung auch zu Gunsten des Angeklagten abgeändert oder aufgehoben werden kann. Andererseits schließt das Verbot, zu seinem Nachteil zu ändern («reformatio in pejus»), nur die Verhängung einer härtern Strafe, nicht die Verurteilung wegen einer schwerern Strafthat, z. B. wegen Diebstahls statt wegen Unterschlagung, aus. (Vgl. §§. 372, 398.) – Daß eine richterliche Entscheidung überhaupt nicht mehr anfechtbar ist, bezeichnet man als formelle R. Den dadurch festgestellten, für die Parteien, zwischen welchen die Entscheidung ergangen ist, maßgeblichen Inhalt bezeichnet man als materielle R. Die Deutsche Civilprozeßordnung bestimmt in §. 293, daß Urteile der R. nur insoweit fähig seien, als sie über den durch Klage oder Widerklage erhobenen Anspruch entscheiden; daß die Entscheidung über eine durch Kompensationseinrede geltend gemachte Forderung der R. fähig sei bis zur Höhe des aufzurechnenden Betrags. Die R. ist hiernach einerseits nicht ausdrücklich auf die Urteilsformel beschränkt, welche häufig und zwar sowohl bei Verurteilungen zu Summen als namentlich bei Abweisungen gar nicht erkennen läßt, wie über die erhobenen Ansprüche und Gegenansprüche erkannt ist, erstreckt sich aber andererseits weder auf die Feststellung von Thatsachen noch auf die über die Anträge der Parteien hinausgehende Feststellung von Rechtsverhältnissen. Sind z. B. Zinsen eines Darlehens eingeklagt und ist vom Beklagten der Bestand der Darlehensschuld selbst bestritten, so muß der Richter zwar über letztern entscheiden; die darüber in den Gründen zu gebende Entscheidung wird aber nicht rechtskräftig, weil ein Anspruch auf das Darlehenskapital nicht erhoben ist; liegt den Parteien an einer Entscheidung über den Bestand des Darlehens selbst, so kann Kläger diese durch Erweiterung des Klageantrags, Beklagter durch Widerklage (sog. Incidentfeststellungsklage) erwirken; ebenso kann Beklagter eine weiter gehende Entscheidung über seine Gegenforderung erlangen, wenn er dieselbe nicht bloß durch Einrede, sondern zum vollen Betrag durch Widerklage geltend macht. Innerhalb der hiernach durch die Parteianträge gestellten Grenzen und soweit sie durch die Urteilsformel gedeckt werden, können die der materiellen R. fähigen Entscheidungen auch in den Urteilsgründen enthalten sein. Spricht z. B. die Urteilsformel nur die Abweisung der Klage aus und ergiebt sich aus den Gründen, daß die eingeklagte Forderung zwar für begründet, durch eine Gegenforderung aber für aufgehoben erachtet ist, so ist die der materiellen R. fähige Entscheidung in Wahrheit erst in den Gründen gegeben. Ebenso wenn eine Mehrzahl von Geldforderungen in einer Klage erhoben ist, das Gericht einzelne für begründet, andere für unbegründet erachtet und dies in der Urteilsformel nur durch Verurteilung zu einer gewissen Summe und Abweisung