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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Reichsgesetzblatt

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Reichsgesetzblatt

scheidung in Streitigkeiten über Rechtshilfe (s. d.) und gemäß §. 36 der Civilprozeßordnung und §. 9 der Strafprozeßordnung die Bestimmung des zuständigen Gerichts. Die Senate des R. entscheiden in der Besetzung von sieben Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden. In den Fällen des Hoch- und Landesverrats gegen Kaiser und Reich findet das Hauptverfahren, dessen Eröffnung gleich den sonstigen Entscheidungen in der Voruntersuchung dem ersten Strafsenat zusteht, vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenat statt. In diesen Fällen sowie bei Entscheidungen der vereinigten Civil- oder Strafsenate oder des ganzen Plenums im Interesse der Rechtseinheit (s. d.) müssen mindestens zwei Dritteile aller Mitglieder, jedoch in ungerader Zahl, welche nötigenfalls durch Ausscheiden des jüngsten herzustellen ist, teilnehmen. In gleicher Besetzung entscheidet das Plenum in den Fällen der §§. 128‒131 des Gerichtsverfassungsgesetzes über den Amtsverlust, die vorläufige Amtsenthebung und Versetzung von Mitgliedern des R. in den Ruhestand, sofern letzterer nicht von dem betreffenden Mitglied beantragt ist. Die Verteilung der Mitglieder und der Geschäfte unter die Senate findet nach denselben Vorschriften wie bei den Landgerichten und Oberlandesgerichten (s. Oberlandesgerichtspräsident) statt, nur mit der Maßgabe, daß zum Präsidium außer dem Präsidenten und den Senatspräsidenten die vier ältesten Mitglieder gehören. Dem Präsidium des R. steht nach §. 99 der Rechtsanwaltsordnung die Entscheidung über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim R. und über deren Zurücknahme, und zwar erstere nach freiem Ermessen dem Präsidenten die Aufsicht über den Geschäftsbetrieb des Vorstandes der Anwaltskammer beim R. zu. Durch besondere Gesetze ist dem R. ferner übertragen die Verhandlung und Entscheidung über Beschwerden und Berufungen gegen Entscheidungen der Konsulargerichte (Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879), über Berufungen gegen Entscheidungen des Patentamtes betreffend die Nichtigkeitserklärung oder Zurücknahme eines Patents (Patentgesetz vom 7. April 1891), über Revisionen und Beschwerden in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gegen Mitglieder des preuß. Königshauses, des fürstl. Hauses Hohenzollern, des großherzoglich hess. Hauses und des fürstlich waldeckschen Hauses (s. Geheimer Justizrat), die Gerichtsbarkeit letzter Instanz für die bei den preuß. Auseinandersetzungsbehörden bei Gelegenheit von Separationen, Ablösungen, Gemeinheitsteilungen u. s. w. verhandelten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Verordnung vom 26. Sept. 1879). Wegen der Zuständigkeit des R. zu Entscheidungen über die Zulässigkeit des Rechtsweges s. Rechtsweg. Durch die Hamburgische Verfassung vom 13. Okt. 1879 und Reichsgesetz vom 14. März 1881 ist den vereinigten Zivilsenaten des R. die Entscheidung der in Art. 71, Ziffer 1 und Art. 76 der Verfassung bezeichneten Streitfragen zwischen dem Senat und der Bürgerschaft in Hamburg zugewiesen. Der Präsident und drei Mitglieder des R. gehören zu dem Ehrengerichtshof (s. Ehrengericht), welcher über die Berufung gegen Entscheidungen der Ehrengerichte für Rechtsanwälte entscheidet (§. 90 der Rechtsanwaltsordnung). Von den vom Kaiser zu ernennenden Mitgliedern des Disciplinarhofs (s. Disziplinargewalt) für Reichsbeamte müssen der Präsident und wenigstens fünf Mitglieder zu den Mitgliedern des R. gehören (§§. 91 und 93 des Reichsbeamtengesetzes vom 31. März 1873). Der Geschäftsgang des R. ist durch eine vom Plenum ausgearbeitete, vom Bundesrat genehmigte Geschäftsordnung geregelt.

Am 1. Okt. 1879 wurde das R. mit fünf Civil- und drei Strafsenaten (abgesehen von den 1883 wieder aufgelösten, unter Zuziehung von preuß. Oberlandesgerichtsräten zur Erledigung der bereits anhängigen, nach den frühern Prozeßgesetzen zu entscheidenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gebildeten Hilfssenaten), in der Besetzung mit 1 Präsidenten, 7 Senatspräsidenten und 60 Räten eröffnet. Nachdem inzwischen ein vierter Straf- und ein sechster Civilsenat gebildet worden, ist die Zahl der Senatspräsidenten auf 9, der Räte auf 74 erhöht worden. An Gehalt beziehen der Präsident 25000 M. nebst freier Dienstwohnung, die Senatspräsidenten 14000 M. und die Räte 12000 M. nebst 900 M. Wohnungszuschuß. Das Ruhegehalt ist durch §. 130 des Gerichtsverfassungsgesetzes günstiger als für die übrigen Reichsbeamten geordnet, insofern dasselbe bis zur Vollendung des 10. Dienstjahres zwanzig Sechzigstel des Gehalts beträgt und sich mit jedem Dienstjahr um ein Sechzigstel erhöht, bis es bei Vollendung des 50. Dienstjahres die Höhe des Gehalts erreicht. Dagegen haben die Mitglieder des R. nicht die Berechtigung der andern Reichsbeamten, nach zurückgelegtem 65. Lebensjahr ohne Nachweis der Untauglichkeit in den Ruhestand zu treten.

Zunächst wurde das R. in von der Stadt Leipzig gemieteten Räumlichkeiten untergebracht; das neue Reichsgerichtsgebäude (s. den Plan von Leipzig D4, Bd. 11, S. 58), zu dem 31. Okt. 1888 in Anwesenheit des Kaisers Wilhelm Ⅱ., des Königs Albert von Sachsen und zahlreicher Mitglieder des Bundesrats der Grundstein gelegt wurde, soll 1895 eingeweiht werden. Der erste Präsident des R. (1879‒91) war Martin Eduard Simson (s. d.); seit 1891 ist sein Nachfolger Otto Karl von Öhlschläger (s. d.).

Die «Entscheidungen des R.» (in Civil- und in Strafsachen, Lpz. 1880 fg.) werden von Mitgliedern des Gerichtshofs und der Reichsanwaltschaft herausgegeben. Vgl. außerdem: Rechtsprechung des Deutschen R. in Strafsachen (10 Bde., Münch. 1879‒88); Bolze, Die Praxis des R. in Civilsachen (Lpz. 1886 fg.); Henrici, Das Deutsche R. (Jena 1886).

In Österreich ist durch Staatsgrundgesetz vom 21. Dez. 1867 und Gesetz vom 18. April 1869 ein R. zur Entscheidung bei Kompetenzkonflikten und in streitigen Angelegenheiten öffentlichen Rechts gebildet; dem Deutschen R. entspricht dagegen der Oberste Gerichts- und Kassationshof in Wien für die im Reichsrat vertretenen Länder (s. Oberster Gerichts- und Kassationshof).

Reichsgesetzblatt. Im Deutschen Reiche erhalten nach Art. 2 der Reichsverfassung die Reichsgesetze ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichs wegen, welche vermittelst des R. (1866‒70 «Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes») geschieht. Eine Verkündigung durch die Einzelstaaten mit Rechtswirkung erfolgt nicht. Im R. müssen auch die kaiserl. Verordnungen laut Verordnung vom 26. Juli 1867 verkündigt werden. Das R. erscheint unter Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, welche sich auf die oben bezeichneten Punkte erstreckt. Die Geltung der Gesetze beginnt, wo nicht ein anderer Termin ausdrücklich bezeichnet ist, 14 Tage, in den Konsulargerichtsbezirken 4 Mo- ^[folgende Seite]