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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Reisen

wickelt, als die Gegenden sicherer, die Straßen besser und die großartigsten Scenerien zugänglich gemacht waren. Doch sind einzelne Männer auch schon früher, einem wissenschaftlichen Dränge folgend, ins Hochgebirge eingedrungen. Es waren namentlich Botaniker. Joachim von Watt oder Vadianus (1484-1551) bestieg 1518 den Pilatus bei Luzern. Ägidius Tschudi (1505-72) bereiste 1523 einen großen Teil der Schweiz und überstieg dabei zahlreiche Pässe. Konrad Gesner (1516-65), der erste Botaniker seiner Zeit, war ein begeisterter Alpenfreund. Die Gebirgswanderungen sollten "nicht allein seine Kenntnis der alpinen Pflanzenwelt erweitern, sondern auch seinen Körper stärken und seinem Geiste die edelste Erholung gestatten". Mit Gesner besuchte Johann Bauhin (1541-1613) die Alpen und botanisierte auch im Jura und Schwarzwald. Im 16. Jahrh. werden auch die ersten R. in deutsche Mittelgebirge erwähnt. Joh. Thalius, Arzt in Nordhausen (gest. 1587), botanisierte auf dem Thüringer Walde; 1591 besuchte Herzog Heinrich Julius von Braunschweig den Brocken. Sonst wissen die Humanisten des 16. Jahrh., wenn sie auf ihren R. genötigt sind, Gebirge zu übersteigen, nur die Schrecknisse derselben in übertriebener Weise zu schildern. 1615 bestieg der Student David Fröhlich zuerst mit zwei Kommilitonen die Hohe Tatra. David Pareus (1548-1622) wird als der erste genannt, der die Riesenkoppe erreichte, wo 1667-81 die noch bestehende Laurentiuskapelle erbaut wurde. In der Schweiz wurden mit Beginn des 18. Jahrh. die R. häufiger. J. J.^[Johann Jakob] Scheuchzer (1672-1733) bereiste seit 1702 fast jährlich, zuerst mit mathem. und physik. Instrumenten versehen, die Alpen, blieb aber auf den gut gebahnten Wegen und drang nicht in das einsame Hochgebirge ein. Jede Reise wurde beschrieben ("Itinera per Helvetiae alpinas regiones", Lond. 1708; 4 Bde., Leid. 1723). J.^[Johannes] Geßner (1709-90) setzte diese R. mit jungen Leuten fort, um die Jugend "in der Frische des Naturlebens zu ursprünglicher Selbständigkeit anzuregen". Auf seinen Wanderungen kam er auch auf den damals noch ziemlich unbekannten Rigi. Von noch größerm Einfluß war Albr. von Haller (s. d.), der von 1728 bis 1736 25 alpine Wanderungen ausführte und in seinem bekannten Gedicht "Die Alpen" zuerst eine ästhetische Würdigung der Hochgebirge versucht. Dadurch angeregt, begann, wenn auch anfangs durch den Mangel an jeder Bequemlichkeit des Reisens gehemmt, der Touristenzug in die Alpen und zwar zunächst in die Schweiz. William Windham und Pierre Martel machten 1741 und 1742 die frühesten Touristenreisen zu den Gletschern von Chamonix und Chr. Jetzler (1734-91) bestieg zuerst zu wissenschaftlichen Zwecken vergletscherte Gipfel. Doch wurden erst durch Saussures (s. d.) und Bourrits Schriften die Alpen populärer gemacht. Noch nachhaltiger wirkten das Beispiel und die Schriften J. J.^[Jean Jacques] Rousseaus. Schon in seinem 16. Jahre wanderte er zu Fuß durch die Savoyer Alpen. Seinen Empfindungen über den Genuß einer Alpenreise zu Fuß gab er wiederholt den lebhaftesten Ausdruck. Seine Worte: "Ich bin erstaunt, daß die Bäder in heilsamer und wohlthuender Gebirgsluft nicht unter die größten Heilmittel der Medizin und Moral gehören", gaben den eigentlichen Anstoß zu den Wanderungen und Sommerfrischen im Hochgebirge. Ihm folgten 1775 Goethe und die Brüder Stolberg und eröffneten den bis jetzt stetig anwachsenden Strom von Reisenden, die Erholung und Genesung in den Bergen suchen. (Vgl. auch den Abschnitt über Alpenkunde in Alpen, Bd. 1, S. 445.) Den lebhaftesten Aufschwung gewannen aber die Gebirgsreisen nach der seit 1863 erfolgten Gründung der Gebirgsvereine (s. Gebirgserschließung und Alpenvereine).

In demselben Maße wie die Verkehrsverhältnisse in den letzten Jahrzehnten besser und bequemer geworden sind, hat das Reisen zugenommen. Durch die Einführung von Extrafahrten und Vergnügungsreisen sind die Verkehrsanstalten veranlaßt worden, verschiedene Erleichterungen zur Verbilligung der R. eintreten zu lassen; z. B. Rückfahrt-, Rundreise-, Sommerfahrkarten u. dgl. Ebenso ist für die Bequemlichkeit der Reisenden, besonders auf langen Fahrstrecken durch Einführung von Schlaf-, Salon-, Speisewagen u. s. w. gesorgt worden. Die Firma: Cook & Son in London hat in England für die Ausbreitung des internationalen Verkehrs in hervorragender Weise bahnbrechend gewirkt. (S. Cooks Rundreisekarten.) In Deutschland war es an erster Stelle Stangens Reisebureau (s. d.) in Berlin, das der Erleichterung des Reiseverkehrs, besonders nach dem Auslande, seine ganze Thätigkeit zugewandt hat. In beiden genannten Bureaus kann sich jetzt der Reisende alle Arten Fahrkarten für Eisenbahnen und Dampfschiffe, Hotelcoupons mit Anweisung auf Zimmer, Verpflegung, Licht und Bedienung u. dgl. für die weitgehendsten R. zusammenstellen lassen und sich über alle Länder der Erde informieren. Diese Unternehmungen veranstalten auch Gesellschaftsreisen und machen das Reisen auf diese Art in kleinern oder größern Gruppen unter Führung sprachkundiger, mit den Verhältnissen der zu besuchenden Länder vertrauter Leiter dem reiselustigen Publikum zugänglich. Den ersten Versuch zu solchen R. machte Galignani in Paris zu Anfang des 19. Jahrh. und diesen haben sich wohl Cook, Stangen u. a. zum Muster genommen. Carl Stangen leitete 1878/79 die erste deutsche Gesellschaftsreise um die Erde persönlich und schrieb auf derselben "Eine Reise um die Erde" (Berl. 1880), das zuerst erschienene derartige Buch, das über die Verkehrsverhältnisse, Hotels u. a. auf einer großen Reise Auskunft giebt.

Auch Schülerreisen unter Leitung von Lehrern sind in neuester Zeit empfohlen (vgl. Ziller, Zur Theorie pädagogischer R., im "Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik", II, und ausgeführt: Bach, Wanderungen, Turnfahrten und Schülerreisen, Lpz. 1877; s. auch Ferienkolonien); sie sind namentlich in der Schweiz und Frankreich üblich. Die größte Pariser Privatlehranstalt benutzt solche zum Erlernen fremder Sprachen, indem sie eine Gesellschaft Schüler für einige Monate nach einem fremden Lande schickt. Ähnlichen Aufschwung haben in neuester Zeit die R. zu hygieinischen Zwecken genommen (R. nach Bädern und Sommerfrischen sowie auf der See). Gegenwärtig wird die Heilkräftigkeit größerer Seereisen sehr betont. Ebenso wird die Heilwirksamkeit der R. in Hochgebirgen und südl. Klimaten bereits stark benutzt. Eine Folge davon ist das rasche Aufblühen kleiner, selbst das Entstehen neuer Ortschaften in günstigen Lagen. Neuerdings entstand auf Anregung des Schiffslieutenants Biard die Société française des voyages autour du monde unter Leitung Levasseurs, die periodische Unterrichtsreisen um die Welt hervorrufen will; die Reisezeit beträgt ein Jahr, die Teil-^[folgende Seite]